Nach der Verurteilung: Wie beginnen Straftäter neu?
Wird jemand aus der Haft entlassen, ist für die Justiz der Fall meist erledigt: Doch für Ex-Häftlinge oder Vorbestrafte fängt danach erst die Arbeit an. Wie gelingt einem Verurteilten ein Neustart im Leben? Ein Gespräch mit Klaus Priechenfried, Leiter der
Es passiert rund 31.000 Mal im Jahr: So viele Verurteilungen gab es 2017 – die meisten endeten mit einer bedingten Strafe. Damit hat die Justiz ihr Urteil gesprochen. Für die Verurteilten fängt die Arbeit nach einem (rechtskräftigen) Urteil oder dem Absitzen einer Haftstrafe erst an. Sie sollen wieder in ein geordnetes Leben zurückfinden. Nicht mehr rückfällig werden. Wieder eine konstruktive Rolle in der Gesellschaft übernehmen.
Hilfe bekommen sie dabei vom Verein Neustart, dem die Justiz österreichweit die Aufgabe der Bewährungshilfe übertragen hat. Klaus Priechenfried ist der Leiter von Neustart und ausgebildete Psychoanalytiker. Viele Menschen hat der Mann mit der wohltönenden Stimme schon begleitet: Kleinkriminelle, Gewalttäter, Wirtschaftsverbrecher.
80 Prozent der von Neustart betreuten Klienten sind Männer, der Großteil von ihnen Jugendliche und junge Erwachsene. Sie alle müssen sich mit zwei Dingen auseinandersetzen: Mit ihrer Zukunft, aber auch ihrer Vergangenheit. Denn wenn man sich nicht auf die Handlungsmuster in der Vergangenheit konzentriert, die einen in die Situation gebracht haben, dann holen sie einen immer wieder ein, sagt Priechenfried. Seine Klienten sehen das meist freilich nicht so. „Die setzen sich her und sagen: Ich brauch keine Bewährungshilfe, ich mach das nie mehr wieder.“Priechenfried lächelt, zu oft hat er den Satz schon gehört. „Warum glauben Sie, dass Sie das nicht mehr machen werden? Was ist jetzt anders?“, lautet die Antwort der Bewährungshelfer dann. Dann würden viele erkennen, dass sie sehr wohl wieder in die gleiche Situation kommen können. »Zugeschlagen haben Sie.« Um die Vergangenheit zu bewältigen, müssen die Verurteilten Verantwortung für das Delikt übernehmen. Ein schwieriges Kapitel, sagt Priechenfried. Da gebe es eine Menge Ausflüchte, etwa, dass man provoziert worden sei. „Unsere Aufgabe ist es dann, zu sagen: Ja, jemand hat Sie provoziert, aber zugeschlagen ha- ben Sie.“Oft sei Gesichtsverlust ein Thema in den Gesprächen. Mit den Bewährungshelfern lernen die Straftäter neue Handlungsstrategien für gleiche oder ähnliche Situationen. Etwa in einer Bar einfach zu zahlen und zu gehen – ohne Streit.
Damit sich Verurteilte ein neues Leben aufbauen können, müssen sie es schaffen, ein positives Bild von sich zu kreieren. „Es geht also nicht mehr darum zu sagen: ’Ich bin ein Ex-Straftäter’, sondern ’Ich habe eine Familie, einen Job’,“Um das zu entwickeln, brauche es drei Faktoren: Selbstsicherheit, einen sinnvollen Tagesablauf und stabile Beziehungen. Letzteres, sagt Priechenfried sei der mächtigste Ausstiegsfaktor, den man in der Bewährungshilfe kenne. „Der Klassiker ist: Jemand lernt eine neue Frau kennen. Aber es kann auch ein guter Freund oder eine Mutterfigur sein. Ich habe sogar schon einmal erlebt, dass ein Hund jemanden stabilisiert hat.“
Natürlich findet nicht jeder so eine Person, deswegen sei auch der Beziehungsaufbau zwischen Bewährungshelfer und Klienten so wichtig. Hier sollen sie lernen, dass Beziehungen auch halten, wenn es Ärger gibt. Viele der Vorbestraften hätten schwierige Kindheiten gehabt, von jenen, die in Haft landen, so gut wie alle. „Sie kommen oft aus der Unterschicht und sind in schwierigsten Verhältnissen aufgewachsen.“Beziehungen, sagt er, werden von den meisten Klienten als bedrohlich erlebt. „Wenn die dann merken, dass die Beziehung zum Bewährungshelfer trotzdem hält, auch wenn sie ungut sind, ist das für viele unglaublich. Das kennen sie ja nicht.“
Ein Ortswechsel, sagt Priechenfried, sei übrigens nicht notwendig, um einen Neustart im Leben zu schaffen. „Entweder ist der Ortswechsel eine Folge einer inneren Veränderung oder er hilft nichts.“Wichtiger ist es, den Freundeskreis zu wechseln – gerade wenn jemand noch im Milieu verankert ist. „Solche Peer Groups sind aber oft gar nicht so stabil, weil die Beteiligten oft entweder selbst grad in Haft sind oder in Therapie etc.“Anders sei das mit der Herkunftsfamilie. Manchmal brechen die Menschen mit ihrer Familie, sagt Priechenfried. Er hält das für keine gute Idee. „Ich glaube nicht, dass man seine Wurzlen durch Hass und Ablehnung hinter sich lassen kann.“
Stabile Beziehungen sind der stärkste Ausstiegsfaktor, den die Bewährungshilfe kennt.