Gestrandet in Ägypten
In der EU hofft man, die Regierung in Kairo könne Europas Problem mit Migration lösen. Doch schon jetzt leben viele Flüchtlinge unter prekären Umständen im Land am Nil.
In Europa ist Ägyptens Präsident, Abdel Fatah al-Sisi, ein oft und gern gesehener Gast. Der General und Ex-Militärchef weiß, welche Knöpfe er dort drücken muss. Seit Jahren vermarktet er sein Land als Partner im Antiterrorkampf und Eindämmen der Migration nach Europa. Dafür erntete er Lob etwa von Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, und Österreichs Kanzler, Sebastian Kurz.
In der Tat fahren seit 2016 kaum noch Migrantenboote von Ägyptens Küste los, weil sie stark kontrolliert wird. Gegen „Anlandezentren“als Auffangbecken für Flüchtlinge wehrte sich Kairo zwar effektiv, nun aber heißt es, die Marine und Küstenwache könnte auch in libyschen Gewässern operieren. Ob man aus dem Meer geholte Menschen nach Ägypten bringen würde, oder eher nach Libyen, ist unklar.
Unklar ist auch, wie viele Flüchtlinge und Migranten eigentlich in Ägypten leben. 240.000 aus 58 Ländern sind bei der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR in Ägypten registriert, meist Syrer, Ira- ker, Sudanesen, Eritreer, Äthiopier, Somalier. Schätzungen gehen von mindestens einer Million aus. Die Regierung des Landes, das heuer die 100-Millionen-Einwohner-Marke überspringen dürfte, spricht gar von fünf Millionen, ohne das zu belegen. Es gibt keine Flüchtlingscamps. Die Menschen sind privat untergebracht, meist in Kairos Slums. Flüchtlingslager gibt es nicht. In Ägypten ist nicht der Staat, sondern die UNO für die Registrierung und Versorgung der Flüchtlinge zuständig. Bei UNHCR Ägypten aber herrscht chronischer Geldmangel, kaum 60 Prozent des geforderten Budgets seien gedeckt, sagt UNHCR-Sprecherin Christine Beshay in Kairo. „Leider können wir nicht jedem das Notwendigste geben“, sagt sie, „wir müssen auswählen und Prioritäten setzen.“
Welche konkreten Folgen das hat, weiß die Salzburgerin Pamela Groder, die bei einer NGO im Zentrum Kairos arbeitet. „Eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern bekommt keine Unterstützung. Das beginnt erst, wenn sie vier hat.“Dann bekommen die Mütter von UNHCR 30 Dollar (jetzt umgerechnet etwa 26 Euro) im Monat. Also müssten die Mütter zusätzlich arbeiten gehen. „Oft sperren sie ihre kleinen Kinder während der Arbeitszeit allein zu Hause ein“, schildert Groder. Der sudanesische Kindergarten. Die Sudanesin Umm Hussein Harorun zählt zu den glücklicheren Alleinerzieherinnen. Ein Kind hat sie auf dem Arm, eines an der Hand. Das dritte geht selbst. So lavieren sich die vier täglich zu Fuß durch Kairos Verkehr, ein Verkehrsmittel können sie sich nicht leisten. Ihr Ziel ist ein von der sudanesischen Gemeinde organisierter Kindergarten im Kairoer Armenviertel Ain Shams. Hier geben einige Frauen ihre Kinder ab, bevor sie meist als Hausmädchen arbeiten gehen.
Entweder die Kinder beaufsichtigen oder das Überleben finanziell sichern, waren ihre Optionen, bevor es den Kindergarten gab. „Meine Kinder sind psychisch angeschlagen, weil ich sie früher eingesperrt habe“, erinnert sich Umm Haroun. „Besonders einer, der ist wirklich labil, wollte mich nie gehen gelassen. Er hat Anfälle gekriegt, geschrien, wenn ich das Haus verlassen wollte.“Nicht selten hätten sich die Kinder unabsichtlich verletzt.
Wenn die Mütter ihre Kinder abholen, verschnaufen sie erst einmal, sagt Shazlia El-Naim Muhammad, die Chefin des Hortes. Dann passiere es bisweilen, dass eine zu weinen beginne, etwa, weil sie in der Arbeit sexuell belästigt oder um ihren Lohn betrogen wurde. Ihr rechtloser Status macht manche der Frauen verwundbar. Sexuelle Belästigung ist nicht selten. „Alleinerziehende Mütter haben es besonders schwer“, sagt die Eritreerin Elsa (Name geändert) zur „Presse am Sonntag“. Sie lebe in ständiger Angst vor Vergewaltigung.
Viele alleinerziehende Mütter würden bei einer Einrichtung von Ärzte
Millionen Menschen
sollen bereits in Ägypten leben. Exakte Zahlen dazu gibt es aber nicht.
Tausend
Flüchtlinge sind in Ägypten offiziell beim UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR registriert.
Million
Flüchtlinge leben laut Schätzungen in Ägypten. Die Regierung in Kairo spricht sogar von fünf Millionen. Die Menschen kommen vor allem aus Staaten wie dem Irak, Syrien, Somalia und Eritrea. ohne Grenzen um eine Abtreibung bitten; oft sei nicht einmal klar, wer denn genau der Vater sei. Manche Frauen fordern sogar die Errichtung eines Camps zu ihrem Schutz.
Elsa erzählt die Geschichte einer Bekannten. Ein Motor-Rikschafahrer, der sie zur Arbeit gefahren hat, habe ihr auf dem Nachhauseweg aufgelauert und sie vergewaltigt. „Als sie erfuhr, dass sie schwanger war, hat sie Chlorreiniger getrunken, um sich umzubringen.“Elsa macht eine lange Pause. Tränen laufen über ihr Gesicht. „Zuvor war sie bei mir, um sich zu verabschieden.“Sie selbst sei übrigens auch vergewaltigt worden. Heute habe sie Angst um ihre 13-jährige Tochter. Sie hole sie jeden Tag von der Schule ab, sonst lasse sie sie nicht auf die Straße.
„Weil es so wenig Unterstützung gibt“, sagt Groder, „müssen Frauen, die in der Arbeit vergewaltigt werden, oft dort weitermachen. Sie haben keine andere Wahl, um zu überleben.“
Eine weitere Folge des Geldmangels von UNHCR ist die begrenzte me-
Als alleinerziehende Mutter bekommt man erst ab vier Kindern Geld vom UNHCR. Für teure Therapien ist kein Geld da. Das ist dann oft wie ein Todesurteil.
dizinische Versorgung. Man müsse dabei oft schwierige Entscheidungen treffen, meint UNHCR-Sprecherin Beshay. Was das bedeutet, schildert wieder die Salzburgerin Groder, die seit mehr als fünf Jahren in Kairo arbeitet. Eine medizinische Grundleistung sei zwar für alle gewährleistet, aber, abgesehen von Notoperationen, mehr nicht. Langwierige und teure Therapien seien weitgehend ausgeschlossen, etwa bei Krebs. Das sei oft wie ein Todesurteil.
Ist Ägypten als Endstation auf dem Weg nach Europa eine realistische Vision? Groder schüttelt den Kopf. „Ägypten ist ein Land mit wenigen Ressourcen. Nun soll es nicht nur Flüchtlinge aus umliegenden Krisengebieten aufnehmen und integrieren, und dann wird auch noch diskutiert, Flüchtlinge vom Mittelmeer dorthinzuschicken. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.“