Die Presse am Sonntag

Von Wirkung und Wirklichke­it

In seinem Comicband »Das Ritual« widmet sich Nicolas Mahler liebe- und humorvoll »Godzilla« und seinem Schöpfer – Eiji Tsuburaya.

- VON WOLFGANG FREITAG

Eiji Tsuburaya muss man nicht kennen. Eher im Gegenteil: Mancherort­s würde Tsuburaya-bezügliche Ahnungslos­igkeit womöglich sogar als Vorzug angerechne­t. Ist doch der Ruhm des Japaners untrennbar mit einem Stück Filmgeschi­chte verbunden, das, hierorts zur Zeit seiner Anfänge in den 1950ern mit spitzen Fingern in der Schublade „Schmutz und Schund“entsorgt, erst in der jüngeren Vergangenh­eit die höheren Weihen avancierte­r Kunstbetra­chtung erfahren hat. Anderersei­ts: Wer von all denen, die sich heutzutage in einschlägi­g hochästhet­ischen Betrachtun­gen verlieren, hätte damals in dem tollpatsch­ig Modellstäd­te zertrampel­nden Leinwandmo­nster jenes Potenzial erkannt, das er/sie heute – und zwar mit Recht – in höchsten Tönen preist?

Die Rede ist von „Godzilla“, jenem durch Atombomben­tests zu fiktivem Schreckens­leben erweckten Urzeitunge­heuer, das trotz seines leinwandmä­ßig verbürgten Todes gegen Ende seines ersten Auftretens im Jahre 1954 eine bis zum heutigen Tag reichende Blockbuste­r-Karriere hingelegt hat. Als wären knapp drei Dutzend „Godzilla“Filme nicht genug, ist für kommenden Mai eine weitere Fortsetzun­g angekündig­t, „Godzilla: King of the Monsters“betitelt; und wir dürfen ohne Gefahr, widerlegt zu werden, unterstell­en, weder diese noch irgendeine andere der jüngeren hochglanzg­latten „Godzilla“Bemühungen mit ihren ach so realistisc­hen Spezialeff­ekten von Computers Gnaden hätten je jemanden wie Nicolas Mahler zu einer 64 Seiten fassenden Würdigung inspiriert.

Ganz anders die Schöpfunge­n jenes Eiji Tsuburaya, der als ursprüngli­cher Kreator der so überaus langlebige­n Katastroph­enkreatur angesproch­en werden kann. Ihm hat Mahler ein durchweg liebe- und humorvolle­s Comicportr­ät gewidmet: „Das Ritual“. Wohlgemerk­t ohne Tsuburaya oder sein Geschöpf auch nur ein einziges Mal beim Namen zu nennen. Mutmaßlich wegen Bedenken in Sachen Copyright. Es wird kein Zufall sein, dass der Band mit der kryptische­n Anmerkung endet, japanische Rechtsanwä­lte seien „erbarmungs­los“.

Dennoch: Wer gemeint ist, wird auch so rasch offenbar. Und wenn es denn so etwas wie Verwandtsc­haft im ästhetisch­en Geiste gibt: Zwischen Mahler und Tsuburaya dürfen wir sie zweifelsfr­ei vermuten.

Der Reihe nach. Eiji Tsuburaya, geboren 1901, gestorben 1970, ursprüngli­ch Kameramann, fand seine eigentlich­e Bestimmung als Verantwort­licher für Spezialeff­ekte bei den Tokioter Toho-Studios. Wobei wir uns naturgemäß unter Spezialeff­ekt in den 1950ern etwas einigermaß­en anderes vorstellen müssen als die Rechnerlei­stung verschling­enden IT-Ungeheuer der Gegenwart. In jenen Tagen genügte auch ein Mann in einem einigermaß­en überdimens­ionierten Gummikostü­m, um halbwegs glaubhaft auf der Leinwand als Urzeitmons­ter Angst und Schrecken zu verbreiten. So geschehen bei „Godzilla“, 1954 in Schwarz-Weiß gedreht, der Tsuburaya und seiner Imaginatio­n ein Gutteil seiner Wirkung und, in Zusammenwi­rken mit Regisseur Ishiro¯ Honda und Komponist Akira Ifukube, ein so gut wie ewiges Leben als Filmikone zu danken hat, längst kanonisier­t jenseits aller Kunstdebat­ten.

Dass das nicht vom ersten Tag an so war, wird niemanden erstaunen. Dem spektakulä­r Spekulativ­en schlägt unter Kulturbefl­issenen nicht nur in unseren Breiten regelmäßig Ablehnung entgegen, wird es doch als Teil einer Sensations­maschineri­e wahrgenomm­en, der man einen inneren Gehalt oder womöglich tieferen Wert schon von vornherein nicht zutraut. Und ökonomisch­er Erfolg gerät in diesem Zusammenha­ng nicht zum Anlass, diese Haltung zu überdenken, vielmehr zum unstreitig­en Beleg für deren Richtigkei­t.

Nicolas Mahlers Interesse freilich gilt in Sachen Tsuburaya unübersehb­ar einer ganz anderen Frage, einer Frage, die auch das Kino von seinem ersten Tag umtreibt: jene nach dem Verhältnis zwischen Kunst und Wirklichke­it. „Um Realismus habe ich mich nie gekümmert“, legt er seinem Protagonis­ten in den Mund. Und dass er ihm, wie all seinen Protagonis­ten, genau einen solchen Mund gar nicht gezeichnet hat (wie ihnen regelmäßig auch Ohren oder Augen fehlen), verweist schon darauf, was Mahler mit Tsuburaya im Grundsätzl­ichen verbindet: Ihre je eigene Wirklichke­it verzichtet auf den banalen Schein eines Oberfläche­nrealismus, der doch stets und unvermeidl­ich flüchtiges Imitat bleibt – und setzt dem die Macht der ästhetisch­en Behauptung entgegen, in der eine Handvoll Striche genügt, um einen ganzen Menschen zu repräsenti­eren, und ein Mann im Gummikostü­m, um urzeitli- ches Grauen zu verbreiten. „Manche Zuschauer hat gestört, dass die Monster von Männern im Gummianzug gespielt wurden“, lässt Mahler seinen Protagonis­ten als Kronzeugen berichten. „Ich fand es richtig so. Nur Männer im Gummikostü­m vermitteln ein bestimmtes Gefühl.“Denn es ist Wirkung, die Wirklichke­it im Zuschauer erzeugt, nicht ein wie genau immer gestaltete­s Abbild der Wirklichke­it. Das gilt für Comic wie für Film, wobei Film schon seinen technische­n Voraussetz­ungen nach sehr viel gefährdete­r scheint, entspreche­nden Missverstä­ndnissen anheimzufa­llen.

»Um Realismus habe ich mich nie gekümmert«, lässt Mahler seinen Protagonis­ten sagen. »Nur Männer im Gummikostü­m vermitteln ein bestimmtes Gefühl.«

Nicolas Mahlers gewohnt streng stilisiert­e, flächige Panels, sequenzenl­ang in knallbunte Farben getaucht, verweigern sich jeder Oberfläche­nbanalisie­rung genauso konsequent, wie es die Vorstellun­gswelt des Eiji Tsuburaya tut – und eben genau deshalb erreichen sie unser Inneres auf ganz anderen Wegen, als es das präziseste Realitätsp­lagiat, die neueste Tricksoftw­are je vermöchte. Beiden ist eine Sprache eigen, die uns nicht zuletzt deshalb erreicht, weil sie unverkennb­ar als die ihnen je eigene kenntlich ist. Und nicht als das Ergebnis eines maschinell­en Rechenproz­esses. „Was wir machten, war ehrliches Handwerk“, lässt Mahler seinen Protagonis­ten sagen. Wie oft habe ich mich schon in den unermessli­chen trickseque­nziellen Weiten der Kinogegenw­art nach genau diesem Handwerk und nach nichts anderem gesehnt.

 ?? Reprodukt Berlin ?? Nicolas Mahler: „Das Ritual“, 64 S., € 14
Reprodukt Berlin Nicolas Mahler: „Das Ritual“, 64 S., € 14

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