Was Martin Kusejˇ dem Burgtheater bringen kann
Vor allem die Klassiker wollen wir wiedererkennen, wünschen sich manche. Martin Kuˇsej, Intendant des Münchner Residenztheaters, bald Burg-Chef, ist ein bedeutender Regisseur, doch gilt er als cholerisch. Kokett bezeichnete er sich als »alter Sack«, ein a
Mavie!“, flötet der Regisseur Martin K. in sein Handy. Morgen ist er wieder in Wien, am Burgtheater, wo er „Richard III.“von Shakespeare probt. In München hat Martin K. allerhand angerichtet: Eine Gunstgewerblerin, die seine Geliebte ist, holte er auf die Bühne – und schwängerte überdies die Regieassistentin. Jetzt bitte nicht empören! Die Szene stammt aus „Der nackte Wahnsinn“von Michael Frayn im Residenztheater, es handelt sich um die letzte Inszenierung des Intendanten Martin Kusejˇ an der Isar.
Entkleidet von der Hülle einer Theaterklamotte, mag man an dieser oft gespielten Komödie studieren, was im Bühnenleben so alles abgeht: Im ersten Akt sehen wir den Regisseur das Ensemble kurz vor der Premiere bis aufs Blut mit lächerlichen Einfällen quälen. Im zweiten Akt ist die Aufführung auf Tournee. Die Schauspieler machen, was sie wollen. Im dritten Akt ist das Kunstwerk schließlich völlig zerstört – und das Ensemble heillos verheddert in Chaos und Amouren . . . Ex-Handballer und Hobbykoch. Kusej,ˇ sonst meist im ernsten Fach daheim, zeigt bei dieser Inszenierung ungewohnte Selbstironie. Unterlegt ist die Aufführung mit der Kennmelodie der TV-Serie „Dallas“über schaurige Familienintrigen rund um den texanischen Ölmilliardär J. R. (Larry Hagman). 1978 war Kusejˇ 17 Jahre alt. Seine Handballerkarriere beendete er, nachdem er einen brutalen Tritt in die Nieren bekommen hatte. Das erzählte er 2009 Stermann & Grissemann in „Willkommen Österreich“. In der gleichen Sendung sagte er auf die Frage, ob er eines Tages Burgtheaterdirektor werden wird, entschieden: „Nein!“
Jetzt hat der Hüne aus Kärnten doch noch den Theaterolymp erreicht. Was ist von ihm zu erwarten? Wer kommt, wer bleibt – im Ensemble. Zwei gute Nachrichten zuerst: Birgit Minichmayr kehrt zurück, wie gemel-
Martin Kuˇsej
Der Kärntner Slowene wird 1961 in Wolfsberg geboren und wächst in Ruden auf. Er hat vier jüngere Geschwister. Der Vater ist Lehrer.
Inszenierungen
Widmet sich gern österreichischen Klassikern (Grillparzers „Traum ein Leben“, „Ottokar“, Nestroys „Höllenangst“, Schönherrs „Glaube und Heimat“.
Residenztheater
Intendant seit 2011. Inszenierungen: „Faust“mit Werner Wölbern, „Don Karlos“, Schnitzlers „Das weite Land“. Rückblick auf die Intendanz in Buchform (Hanser). det wurde, allerdings hat sie immer wieder an der Burg gespielt, etwa in „Carol Reed“von Rene´ Pollesch oder in „John Gabriel Borkman“nach Ibsen von Simon Stone. Minichmayr war auch Kusejsˇ „Weibsteufel“und seine „Hedda Gabler“, diese Aufführung war als Gastspiel in Wien zu erleben. Auch Joachim Meyerhoff wird die Fans nach seiner Genesung wieder erfreuen . . . Film, TV als Alternative. Kaum war Kusejˇ bestellt, entfuhr ihm der Suppensager, den er rasch als typisch wienerischen Skandal und als Missverständnis abtun wollte, bis ihm klar wurde, dass da nichts mehr zu machen sei und er sich zu Wechseln im Ensemble bekannte. „Ich schütte die Hälfte von diesem Suppentopf aus und koche meine neue Suppe auf“, so Kusejˇ wörtlich in dem ORF-Interview, das bis heute im Internet zu hören ist. Nach dieser Bemerkung mochten sich manche die Hände gerieben und gedacht haben: „Ah! Jetzt geht’s den deutschen Burgschauspielern wie einst den österreichischen unter Claus Peymann!“
Schadenfreude ist freilich nicht angebracht. Vielmehr steht zu hoffen, dass Kusejˇ ein tolles Ensemble formt und sich der Kummer für die Eingesessenen in Grenzen hält. Viele von ihnen haben hart gearbeitet und dazu beigetragen, dass die Burg die Finanzkrise halbwegs überstand. Seit Kusejˇ am Residenztheater Dieter Dorns edles, aber betagtes Ensemble hinauswarf, gilt er als Wüterich. Der Ruf der Unberechenbarkeit eilt ihm seit jeher voraus. Freilich, viele Mimen gehören längst nicht mehr der Burg allein. Sie drehen Filme und TV-Serien, machen Lesungen oder nehmen Hörbücher auf. Junge Leute freuen sich zwar über ein Engagement am Burgtheater, aber sie betrachten den hehren Kunsttempel nicht mehr als ihre Heimat, sondern nur als eine Zierde in ihrem Lebenslauf. Alsbald ziehen sie weiter. Fest steht, die Burg kann eine künstlerische Erfrischung vertragen und vor allem mehr allgemeine Aufmerksamkeit. Da gehören neue Schauspieler einfach dazu. Bekannte Gesichter. Manche in Kusejsˇ Münchner Ensemble sind aus Wien wohlbekannt, etwa Till Firit, der am Volkstheater war, oder Markus Hering, der in Wien den Jedermann (von Ferdinand Schmalz, nicht von Hofmannsthal) spielt und in München zum Beispiel in „Glaube, Liebe, Hoffnung“von Horvath,´ einem Stück, das auch in Wien zu sehen ist, in der Regie von Michael Thalheimer. Die Münchner Aufführung hat David Bösch inszeniert, auch stark präsent am Burgtheater (z. B. „Talisman“, „Die Präsidentinnen“, „Die Glasmenagerie“). Überhaupt ist Kusejsˇ Münchner Spielplan zu Wiener Programmen so unterschiedlich nicht. Die Regisseurin Tina Lanik war in Wien tätig, sie ist jetzt am Resi- denztheater. Ähnliches gilt für Mateja Koleznikˇ (Klagenfurt, Josefstadt, München) oder Robert Borgmann. Ein erfolgreicher Autor aktueller (wenn auch teilweise schematischer) Stücke wie Ayad Akhtar wird am Burgtheater und am Residenztheater gespielt.
Interessant wird sein, ob Kusejˇ die Kraft hat, noch einmal einen Spielplan komplett neu zu erfinden. Angekündigt hat er, dass er sich stärker Nachbarländern Österreichs im Osten und Süden bzw. Europa widmen will. Als Regisseur entwickelt er, was manche freuen wird, seine Ideen zu Klassikern nah am Text. Er schreibt sie nicht um, wie etwa Simon Stone. Die Zukunft freilich dürfte eher im Umdichten liegen, weil immer weniger Menschen der klassische Kanon vertraut ist, vor allem die Sprache. Zwischen Älteren und Jüngeren zu vermitteln, ist eine wichtige Aufgabe des Theaters, das mehr als früher um Zuschauer kämpfen muss. Wenn man sich ansieht, was mit Popkonzerten, Events, Partys an Profit erwirtschaftet wird, muss man sich fragen: Wie lang hält sich das Theater noch, das zuneh-
Zuschauer lieben ihre Stars, aber auch neue Gesichter sind willkommen.