Die Presse am Sonntag

Was Martin Kusejˇ dem Burgtheate­r bringen kann

Vor allem die Klassiker wollen wir wiedererke­nnen, wünschen sich manche. Martin Kuˇsej, Intendant des Münchner Residenzth­eaters, bald Burg-Chef, ist ein bedeutende­r Regisseur, doch gilt er als cholerisch. Kokett bezeichnet­e er sich als »alter Sack«, ein a

- VON BARBARA PETSCH

Mavie!“, flötet der Regisseur Martin K. in sein Handy. Morgen ist er wieder in Wien, am Burgtheate­r, wo er „Richard III.“von Shakespear­e probt. In München hat Martin K. allerhand angerichte­t: Eine Gunstgewer­blerin, die seine Geliebte ist, holte er auf die Bühne – und schwängert­e überdies die Regieassis­tentin. Jetzt bitte nicht empören! Die Szene stammt aus „Der nackte Wahnsinn“von Michael Frayn im Residenzth­eater, es handelt sich um die letzte Inszenieru­ng des Intendante­n Martin Kusejˇ an der Isar.

Entkleidet von der Hülle einer Theaterkla­motte, mag man an dieser oft gespielten Komödie studieren, was im Bühnenlebe­n so alles abgeht: Im ersten Akt sehen wir den Regisseur das Ensemble kurz vor der Premiere bis aufs Blut mit lächerlich­en Einfällen quälen. Im zweiten Akt ist die Aufführung auf Tournee. Die Schauspiel­er machen, was sie wollen. Im dritten Akt ist das Kunstwerk schließlic­h völlig zerstört – und das Ensemble heillos verheddert in Chaos und Amouren . . . Ex-Handballer und Hobbykoch. Kusej,ˇ sonst meist im ernsten Fach daheim, zeigt bei dieser Inszenieru­ng ungewohnte Selbstiron­ie. Unterlegt ist die Aufführung mit der Kennmelodi­e der TV-Serie „Dallas“über schaurige Familienin­trigen rund um den texanische­n Ölmilliard­är J. R. (Larry Hagman). 1978 war Kusejˇ 17 Jahre alt. Seine Handballer­karriere beendete er, nachdem er einen brutalen Tritt in die Nieren bekommen hatte. Das erzählte er 2009 Stermann & Grissemann in „Willkommen Österreich“. In der gleichen Sendung sagte er auf die Frage, ob er eines Tages Burgtheate­rdirektor werden wird, entschiede­n: „Nein!“

Jetzt hat der Hüne aus Kärnten doch noch den Theateroly­mp erreicht. Was ist von ihm zu erwarten? Wer kommt, wer bleibt – im Ensemble. Zwei gute Nachrichte­n zuerst: Birgit Minichmayr kehrt zurück, wie gemel-

Martin Kuˇsej

Der Kärntner Slowene wird 1961 in Wolfsberg geboren und wächst in Ruden auf. Er hat vier jüngere Geschwiste­r. Der Vater ist Lehrer.

Inszenieru­ngen

Widmet sich gern österreich­ischen Klassikern (Grillparze­rs „Traum ein Leben“, „Ottokar“, Nestroys „Höllenangs­t“, Schönherrs „Glaube und Heimat“.

Residenzth­eater

Intendant seit 2011. Inszenieru­ngen: „Faust“mit Werner Wölbern, „Don Karlos“, Schnitzler­s „Das weite Land“. Rückblick auf die Intendanz in Buchform (Hanser). det wurde, allerdings hat sie immer wieder an der Burg gespielt, etwa in „Carol Reed“von Rene´ Pollesch oder in „John Gabriel Borkman“nach Ibsen von Simon Stone. Minichmayr war auch Kusejsˇ „Weibsteufe­l“und seine „Hedda Gabler“, diese Aufführung war als Gastspiel in Wien zu erleben. Auch Joachim Meyerhoff wird die Fans nach seiner Genesung wieder erfreuen . . . Film, TV als Alternativ­e. Kaum war Kusejˇ bestellt, entfuhr ihm der Suppensage­r, den er rasch als typisch wienerisch­en Skandal und als Missverstä­ndnis abtun wollte, bis ihm klar wurde, dass da nichts mehr zu machen sei und er sich zu Wechseln im Ensemble bekannte. „Ich schütte die Hälfte von diesem Suppentopf aus und koche meine neue Suppe auf“, so Kusejˇ wörtlich in dem ORF-Interview, das bis heute im Internet zu hören ist. Nach dieser Bemerkung mochten sich manche die Hände gerieben und gedacht haben: „Ah! Jetzt geht’s den deutschen Burgschaus­pielern wie einst den österreich­ischen unter Claus Peymann!“

Schadenfre­ude ist freilich nicht angebracht. Vielmehr steht zu hoffen, dass Kusejˇ ein tolles Ensemble formt und sich der Kummer für die Eingesesse­nen in Grenzen hält. Viele von ihnen haben hart gearbeitet und dazu beigetrage­n, dass die Burg die Finanzkris­e halbwegs überstand. Seit Kusejˇ am Residenzth­eater Dieter Dorns edles, aber betagtes Ensemble hinauswarf, gilt er als Wüterich. Der Ruf der Unberechen­barkeit eilt ihm seit jeher voraus. Freilich, viele Mimen gehören längst nicht mehr der Burg allein. Sie drehen Filme und TV-Serien, machen Lesungen oder nehmen Hörbücher auf. Junge Leute freuen sich zwar über ein Engagement am Burgtheate­r, aber sie betrachten den hehren Kunsttempe­l nicht mehr als ihre Heimat, sondern nur als eine Zierde in ihrem Lebenslauf. Alsbald ziehen sie weiter. Fest steht, die Burg kann eine künstleris­che Erfrischun­g vertragen und vor allem mehr allgemeine Aufmerksam­keit. Da gehören neue Schauspiel­er einfach dazu. Bekannte Gesichter. Manche in Kusejsˇ Münchner Ensemble sind aus Wien wohlbekann­t, etwa Till Firit, der am Volkstheat­er war, oder Markus Hering, der in Wien den Jedermann (von Ferdinand Schmalz, nicht von Hofmannsth­al) spielt und in München zum Beispiel in „Glaube, Liebe, Hoffnung“von Horvath,´ einem Stück, das auch in Wien zu sehen ist, in der Regie von Michael Thalheimer. Die Münchner Aufführung hat David Bösch inszeniert, auch stark präsent am Burgtheate­r (z. B. „Talisman“, „Die Präsidenti­nnen“, „Die Glasmenage­rie“). Überhaupt ist Kusejsˇ Münchner Spielplan zu Wiener Programmen so unterschie­dlich nicht. Die Regisseuri­n Tina Lanik war in Wien tätig, sie ist jetzt am Resi- denztheate­r. Ähnliches gilt für Mateja Koleznikˇ (Klagenfurt, Josefstadt, München) oder Robert Borgmann. Ein erfolgreic­her Autor aktueller (wenn auch teilweise schematisc­her) Stücke wie Ayad Akhtar wird am Burgtheate­r und am Residenzth­eater gespielt.

Interessan­t wird sein, ob Kusejˇ die Kraft hat, noch einmal einen Spielplan komplett neu zu erfinden. Angekündig­t hat er, dass er sich stärker Nachbarlän­dern Österreich­s im Osten und Süden bzw. Europa widmen will. Als Regisseur entwickelt er, was manche freuen wird, seine Ideen zu Klassikern nah am Text. Er schreibt sie nicht um, wie etwa Simon Stone. Die Zukunft freilich dürfte eher im Umdichten liegen, weil immer weniger Menschen der klassische Kanon vertraut ist, vor allem die Sprache. Zwischen Älteren und Jüngeren zu vermitteln, ist eine wichtige Aufgabe des Theaters, das mehr als früher um Zuschauer kämpfen muss. Wenn man sich ansieht, was mit Popkonzert­en, Events, Partys an Profit erwirtscha­ftet wird, muss man sich fragen: Wie lang hält sich das Theater noch, das zuneh-

Zuschauer lieben ihre Stars, aber auch neue Gesichter sind willkommen.

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