Die Heilige Familie und die Oligarchen
Drei Könige kommen aus dem Morgenland, um die Heilige Familie im Stall von Bethlehem anzubeten. Warum haben sie bei Sandro Botticelli die Physiognomie der Medici? Ist das Jesuskind etwa in die Geiselhaft der Geldmagnaten geraten? Und Josef und Maria? Sind
Der Stolz auf die eigene Stadt war in Italiens Geschichte verbreitet, doch die Florentiner waren überzeugt, noch mehr Grund dafür zu haben als alle anderen. Wie wenn sie gewusst hätten, dass die Nachwelt das Florenz des 15. Jahrhunderts als Wiege der Renaissance und eines der mythischen Kapitel der europäischen Geschichte sehen wird. Sie waren stolz darauf, Republik zu sein, so wie Venedig und Genua. Sie verachteten Mailand, das einem „Tyrannen“gehorchte, während sie allein den Gesetzen gehorchten, die für alle „auf die gleiche und gerechte Weise“in Kraft waren.
Freilich galt für diese Republik der Satz aus George Orwells „Animal Farm“: Alle waren gleich, nur manche waren gleicher. Es gab eine schmale und sehr wohlhabende Oberschicht, die die gesamte politische und wirtschaftliche Macht in Händen hielt. An der Spitze dieser ausbalancierten, wenn auch nicht immer konfliktfreien Gesellschaft stand ab 1434 die Patrizierfamilie der Medici.
Zwar stagnierte die Bevölkerung von Florenz damals bei nur 50.000. Es gab zu viele Ordensleute und Dienstpersonal, beide waren in der Regel kinderlos. Auch die Künstler blieben oft unverheiratet. Das Künstlerregister der italienischen Renaissance – eine Liste von Junggesellen. Sie arbeiteten auch oft in dem Haus, in dem sie aufgewachsen waren. Warten auf den großen Auftrag. Auch der gerade erst 25-jährige Alessandro Filipepi, den wir als Sandro Botticelli kennen, wurde von seinem Vater, einem Gerber, 1470 in seiner Steuererklärung als Haushaltsmitglied angeführt. Sandros Malerwerkstatt wurde wegen der verwendeten Materialien als Apotheke bezeichnet, die dazugehörige Zunft war die der Ärzte und Apotheker. Künstler wie Sandro warteten in der Regel auf den ersten großen Auftrag aus der Oberschicht, von den Mäzenen. Angesehen war ihr Berufsstand von vornherein nicht. Dennoch wimmelte es in Florenz davon, 50 Werkstätten gab es, fast so viele wie Bäcker und Fleischhauer.
Florenz und seine Maler: Von Giotto bis Leonardo da Vinci
Die Ausstellung in der Alten Pinakothek München wurde wegen des großen Publikumsandrangs bis 3. Februar 2019 verlängert. Sie bringt 129 Meisterwerke aus einer Zeit bahnbrechender künstlerischer Innovationen. Mit großem didaktischen Geschick liefert die Ausstellung Einblicke in die Arbeitsmethoden und die Ideenwelt der Florentiner Maler des Quattrocento. Das dazugehörige Katalogbuch (herausgegeben von Andreas Schumacher) ist im Hirmer Verlag erschienen. 384 Seiten, 226 Abbildungen. 36 €
Das Gerberviertel war wenig angesehen und stank. Dennoch gehörte eine vornehme Familie zu Sandros Nachbarn, die Vespucci, erklärte Parteigänger der Medici, zu deren Kreis sie unmittelbaren Zugang hatten. Sie wurden zu seinen wichtigsten Auftraggebern und vermutlich stellten sie auch die entscheidenden Kontakte her, die ein Künstler brauchte. Anfang der 1470er-Jahre war Botticelli bereits ein sehr gefragter Maler. Die Gunst der Familie Medici und ihres Umfeldes bildete die Grundlage für seinen lebenslangen Erfolg. Im Dunstkreis der gebildeten Florentiner Bankiers und ihrer intellektuellen Freunde konnte er die mythologischen Gemälde verwirklichen, für die er heute in erster Linie berühmt ist.
Um die Mitte der 1470er-Jahre trat der Geldmakler Guaspare di Zanobi del Lama an Sandro Botticelli heran. Er bestellte für seine Grabstelle in der Dominikanerkirche Santa Maria Novella ein über ein Meter hohes Bild. Das Thema, das er wünschte: Die Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige. In der Regel war so ein Auftrag für die Reichen eine fromme Investition in das erhoffte Leben im Jenseits. Zugleich wollten sie sich damit für ihre Geldgeschäfte rechtfertigen. Auch die Finanztransaktionen von Zanobi del Lama waren nicht immer sauber, die religiöse Motivation können wir bei ihm ruhig hintanstellen, nein: Der Auftraggeber wollte seinen Status als wohlhabender Bürger und vor allem seine Nähe zum machthabenden Patriziat demonstrieren.
Daher kommt es zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass das spirituelle Erlebnis der Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige zu einer Huldigung an die Familie Medici wird. Sie zählte zu den besonderen Förderern der „Compagnia de’ Magi“, die am 6. Jänner sehr aufwendige Prozessionen organisierte, die den Zug der Könige
Solche Aufträge waren für die Reichen eine Investition in das erhoffte Leben im Jenseits.
mit aller Pracht nachempfanden. Die Patrizier nahmen selbst zu Pferde daran teil. Bei Botticelli sind sie nun auch bildlich bei einem Geschehen der christlichen Heilsgeschichte anwesend.
Seit Giorgio Vasaris Künstlerbiografien wissen wir nämlich, dass die drei Könige bei Botticelli Porträts von drei bereits verstorbenen Medici sind: Von Cosimo, genannt „Il Vecchio“, er ist unmittelbar zu Füßen des Jesuskindes, und seiner Söhne Piero und Giovanni, sie sind unterhalb der Gottesmutter. In herrschaftlicher Pose dahinter Lorenzo il Magnifico, der Enkel Cosimos, zu Botticellis Zeit das Oberhaupt der Familie und des größten Bankhauses der damaligen Welt. Nicht alle Figuren wenden ihre Aufmerksamkeit der Heiligen Familie zu, manche wirken sehr distanziert und versuchen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Mann im gelben Mantel im Vordergrund ganz rechts, der uns direkt anschaut, dürfte