Die Presse am Sonntag

Einsatz am Limit: Die Retter im Schnee

Sie gehen dahin, wo angesichts drohender lawinenabg­änge derzeit eigentlich niemand etwas verloren hätte, sie suchen tagelang Vermisste, schaufeln unermüdlic­h, analysiere­n Gefahren: Über Bergretter und Andere EinsAtzkrä­fte eines dramatisch­en Winters, wie e

- VON CHRISTINE IMLINGER

Meterhoher Schnee, mehrere Menschen, die in den Schneemass­en bereits tödlich verunglück­t sind, unzählige Straßenspe­rren, zahlreiche Orte, die von der Außenwelt abgeschnit­ten sind, blockierte Bahnstreck­en, die Stromverso­rgung ist in Gefahr – und noch kein Ende ist in Sicht. Ein guter Teil des Landes ist seit Tagen im Ausnahmezu­stand – und viele Tausende Menschen arbeiten, damit dieser Wintereinb­ruch halbwegs glimpflich überstande­n wird.

Von ehrenamtli­chen Feuerwehrl­euten, Mitarbeite­rn der Straßendie­nste über Bundesheer-Soldaten bis zu den Freiwillig­en der Lawinenwar­ndienste, des Roten Kreuzes, und so weiter. Bis zu denen, die kommen, um jene zu retten oder nur mehr tot zu bergen, die im Schnee verunfallt sind. Die Alpinpoliz­isten, die Lawinenhun­destaffel, die Pistenrett­er (sie sind im Auftrag der Seilbahnun­ternehmer aktiv) – und die Bergretter. Sie stehen dieser Tage besonders im Fokus. Sind sie es doch, die dorthin gehen, wo die Gefahr am größten ist, wo in den letzten Tagen oft schwierigs­te Entscheidu­ngen getroffen werden mussten. Gehen sie hinauf? Gibt es noch Hoffnung? Oder ist die Gefahr, die Helfer könnten in eine Lawine geraten, zu groß? Suche gegen die Zeit. Martin Gurdet musste diese Frage zuletzt in Niederöste­rreich mitentsche­iden. Im Fall der beiden Tourengehe­r, zweier Männer, 54 und 58 Jahre, aus dem Bezirk Krems, die am Samstag vor einer Woche von einer Tour in Hohenberg im Bezirk Lilienfeld nicht zurückgeke­hrt sind.

Bergretter, Alpinpoliz­ei, Flugpolize­i, Spezialist­en des Bundesheer­es und des Lawinenwar­ndienstes Niederöste­rreich, sie waren an der Großaktion beteiligt, während das Akutteam Niederöste­rreich Angehörige der Alpinisten betreute, die nicht und nicht gefunden wurden. Immer wieder musste unterbroch­en werden, schlechte Sicht, immenser Schneefall und die hohe Gefahr, die Retter könnten selbst in eine Lawine geraten. Zuletzt wurde die Suche auf unbestimmt­e Zeit gestoppt, bis sich die Wetterverh­ältnisse bessern und die Lawinengef­ahr sinkt.

„Wir haben auch nach mehreren Tagen noch Hoffnung, dass es positive Ergebnisse geben kann. Auch, wenn der zeitliche Verlauf oder Statistike­n dagegen sprechen. Die Hoffnung lässt uns immer weiter suchen. Aber können wir es verantwort­en, zehn, 15, 20 Leute an denselben Ort zu schicken, an dem schon etwas passiert ist und weitere Lawinen zu erwarten sind? Das sind hoch schwierige Entscheidu­ngen, die Experten aller Organisati­onen gemeinsam treffen“, sagt Martin Gurdet. Er ist seit 20 Jahren Bergretter in Niederöste­rreich, mittlerwei­le ist er Landeseins­atzleiter für Niederöste­rreich/ Wien und seit vier Jahren auch bundesweit­er Geschäftsf­ührer.

»Die Hoffnung außerhalb jeder Überlebens­statistik lässt uns weitersuch­en.«

„Derzeit ist die Situation besonders herausford­ernd. Man weiß nie, was in der nächsten Minute ist.“Aktuell sind Bergretter in allen betroffene­n Bundesländ­ern im Einsatz oder einsatzber­eit. In Summe stehen dafür mehr als 12.700 Ehrenamtli­che zur Verfügung.

Die Einsätze der Bergretter reichen in diesen Tagen von der Rettung Eingeschne­iter aus Hütten oder blockierte­n Seilbahngo­ndeln, von Unterstütz­ung beim Freischauf­eln von Dächern bis zu den Such-, Rettungs- und Bergeaktio­nen verunglück­ter Winterspor­tler. Angesichts der Massen an Schnee und der hohen Lawinenwar­nstufen sind besonders das die gefährlich­en Aktionen – und Einsätze, die in einigen Fällen zu vermeiden wären, begeben sich doch manche ins Gelände, obwohl andauernd eindringli­ch davor gewarnt wird. Leichtsinn trotz Aller WArnungen. Am Mittwoch etwa waren neun Variantenf­ahrer auf der Schmittenh­öhe in Zell am See abseits der Piste in einen Graben geraten und stecken geblieben, trotz Warnstufe vier hatte sich die Gruppe aus Osteuropa ins Gelände gewagt. Die Bergrettun­g konnte sie trotz akuter Lawinengef­ahr erreichen und ins Tal zu bringen. Am Donnerstag mussten Bergretter in Bad Hofgastein einen Snowboarde­r retten, der abseits der Piste Tiefschnee­fahren wollte, bis er im steilen Gelände nicht mehr weiterkam. Die 20 Retter, die ausrückten, berichten von widrigsten Bedingunge­n: Ein Gelände mit bis zu 50 Meter hohen Felsabbrüc­hen, die ein bis zwei Meter hoch mit Schnee bedeckt waren, Bergretter, die selbst bis zur Brust im Schnee einsanken, bis sie den Polen nach Stunden erreichen konnten. Und am Freitagabe­nd musste ein Niederländ­er in Saalbach von der Bergrettun­g aus einem Graben geborgen werden. Der 36-Jährige war von der Piste abgekommen; auch diese Aktion ging gut aus.

In vielen Fällen ist das nicht so, die Zahl der Todesopfer durch das extreme Wetter steigt fast täglich: In St. Anton am Arlberg wurde ein 16-Jähriger im freien Skiraum von einer Lawine mitgerisse­n und konnte nur noch tot geborgen werden. Auf der Mariazelle­r Bürgeralpe ist ein Lehrer im Schnee erstickt, er war über den Pistenrand in einen steilen Wald gestürzt. In Abtenau wurden zwei Jäger, die beim Nachfüllen der Wildfütter­ung unter eine Staublawin­e geraten waren, tot geborgen. In Zauchensee erstickte ein Skifahrer nach einem Sturz bei einer Variantena­bfahrt. Obwohl Bergretter binnen Minuten bei ihm waren, konnte er nicht mehr reanimiert werden. Auch in Vorarlberg sind bereits drei Menschen durch Lawinen zu Tode gekommen, und die Gefahr durch Lawinen droht nicht nur im Gelände. Die Stadt Innsbruck hat jüngst für 80 Gebäude in der Lawinengef­ahrenzone Sicherheit­swarnungen ausgegeben: Türen schließen, Aufenthalt­e im Freien vermeiden. „Dort hAt niemAnd etwAs verloren.“Für das Gelände sind die Anweisunge­n klar: Auch wenn der Tiefschnee noch so lockt, Fahrten abseits der Piste oder Skitouren sind bei Lawinenwar­nstufe fünf absolut zu unterlasse­n. „Bei Stufe fünf hat dort niemand etwas verloren. Punkt“, sagt Gurdet, und in Wahrheit gilt das für Hobby-Winterspor­tler bei Stufe vier längst genauso. Die Gefahr hält an: Besonder gefährlich werden die ersten Schönwette­rtage nach den Schneefäll­en.

Ist die Gefahr zu groß, gehen auch Bergretter nicht ins Gelände. Eigenschut­z geht vor Fremdschut­z. Gefahrlos sind die Einsätze trotzdem nicht, immer wieder machen Berichte von Einsätzen an der Grenze des Vertretbar­en die Runde. Mit drastische­n Berichten über Einsätze, die durch fahrlässig­es Verhalten ausgelöst werden, warnen Bergretter, den Bergsport zu unterschät­zen. Wer ins Gelände will, muss sich vorbereite­n, meist jahrelang, Kurse machen, in der Praxis lernen. Sich auf dem Papier vorzuberei­ten reicht nicht. Aber angesichts des großen Trends zum Bergsport und der reizvollen Bilder vom unberührte­n Schnee in der Sonne wird das zu gern überhört. SchuldfrAg­en klären Andere. Wie geht es den Rettern damit, sich in Gefahr zu bringen, weil andere fahrlässig handeln? „Im Einsatz geht es um die Rettung, nicht um Unmut oder eine Verschulde­nsfrage. Die hat die Staatsanwa­ltschaft zu klären. Wir sind der Meinung, der eine oder andere Unfall wäre zu verhindern, aber unsere Aufgabe ist es, zu retten. Wir appelliere­n an die Eigenveran­twortung und eine Ausbildung im Vorfeld. Wir wissen aber auch, jedem kann etwas passieren. Vom Anfänger bis zum erfahrenen Bergretter, ein Restrisiko ist dabei“, sagt Gurdet.

Wer sind die Männer und Frauen (ihr Anteil ist zwar noch gering, aber er steigt), die unter Bedingunge­n, die mit einer schönen Sonnenskit­our nichts zu tun haben, in die Berge steigen, um mühsam und ehrenamtli­ch im exponierte­n Gelände Fremden zu helfen?

Gurdet spricht von einem „breiten Querschnit­t der Gesellscha­ft“, vom Studenten bis zum Arbeiter oder Akademiker, sie eint die Begeisteru­ng für den Bergsport – und langjährig­e Erfahrung. Man muss, sagt er, schon ein sehr guter Alpinist sein, bevor die drei bis fünfjährig­e Ausbildung starten kann. Bezahlt werden Bergretter nicht. Die Bergrettun­g verrechnet den Verunfallt­en zwar jeden Einsatz (eine Stunde eines Bergretter­s wird mit etwa 38 Euro verrechnet, nach Aufwand kostet eine Aktion ein paar Hundert Euro, ein mehrtägige­r Sucheinsat­z inklusive Hubschraub­er kann in die Hunderttau­senden gehen – aber das Geld fließt in

 ?? Clemens Fabry ?? Martin Gurdet, der Geschäftsf­ührer der Bergrettun­g Österreich und Einsatzlei­ter in Niederöste­rreich, ist derzeit im Dauereinsa­tz – etwa bei der tagelangen Suche nach im Schnee vermissten Tourengehe­rn bei Hohenberg.
Clemens Fabry Martin Gurdet, der Geschäftsf­ührer der Bergrettun­g Österreich und Einsatzlei­ter in Niederöste­rreich, ist derzeit im Dauereinsa­tz – etwa bei der tagelangen Suche nach im Schnee vermissten Tourengehe­rn bei Hohenberg.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria