Einsatz am Limit: Die Retter im Schnee
Sie gehen dahin, wo angesichts drohender lawinenabgänge derzeit eigentlich niemand etwas verloren hätte, sie suchen tagelang Vermisste, schaufeln unermüdlich, analysieren Gefahren: Über Bergretter und Andere EinsAtzkräfte eines dramatischen Winters, wie e
Meterhoher Schnee, mehrere Menschen, die in den Schneemassen bereits tödlich verunglückt sind, unzählige Straßensperren, zahlreiche Orte, die von der Außenwelt abgeschnitten sind, blockierte Bahnstrecken, die Stromversorgung ist in Gefahr – und noch kein Ende ist in Sicht. Ein guter Teil des Landes ist seit Tagen im Ausnahmezustand – und viele Tausende Menschen arbeiten, damit dieser Wintereinbruch halbwegs glimpflich überstanden wird.
Von ehrenamtlichen Feuerwehrleuten, Mitarbeitern der Straßendienste über Bundesheer-Soldaten bis zu den Freiwilligen der Lawinenwarndienste, des Roten Kreuzes, und so weiter. Bis zu denen, die kommen, um jene zu retten oder nur mehr tot zu bergen, die im Schnee verunfallt sind. Die Alpinpolizisten, die Lawinenhundestaffel, die Pistenretter (sie sind im Auftrag der Seilbahnunternehmer aktiv) – und die Bergretter. Sie stehen dieser Tage besonders im Fokus. Sind sie es doch, die dorthin gehen, wo die Gefahr am größten ist, wo in den letzten Tagen oft schwierigste Entscheidungen getroffen werden mussten. Gehen sie hinauf? Gibt es noch Hoffnung? Oder ist die Gefahr, die Helfer könnten in eine Lawine geraten, zu groß? Suche gegen die Zeit. Martin Gurdet musste diese Frage zuletzt in Niederösterreich mitentscheiden. Im Fall der beiden Tourengeher, zweier Männer, 54 und 58 Jahre, aus dem Bezirk Krems, die am Samstag vor einer Woche von einer Tour in Hohenberg im Bezirk Lilienfeld nicht zurückgekehrt sind.
Bergretter, Alpinpolizei, Flugpolizei, Spezialisten des Bundesheeres und des Lawinenwarndienstes Niederösterreich, sie waren an der Großaktion beteiligt, während das Akutteam Niederösterreich Angehörige der Alpinisten betreute, die nicht und nicht gefunden wurden. Immer wieder musste unterbrochen werden, schlechte Sicht, immenser Schneefall und die hohe Gefahr, die Retter könnten selbst in eine Lawine geraten. Zuletzt wurde die Suche auf unbestimmte Zeit gestoppt, bis sich die Wetterverhältnisse bessern und die Lawinengefahr sinkt.
„Wir haben auch nach mehreren Tagen noch Hoffnung, dass es positive Ergebnisse geben kann. Auch, wenn der zeitliche Verlauf oder Statistiken dagegen sprechen. Die Hoffnung lässt uns immer weiter suchen. Aber können wir es verantworten, zehn, 15, 20 Leute an denselben Ort zu schicken, an dem schon etwas passiert ist und weitere Lawinen zu erwarten sind? Das sind hoch schwierige Entscheidungen, die Experten aller Organisationen gemeinsam treffen“, sagt Martin Gurdet. Er ist seit 20 Jahren Bergretter in Niederösterreich, mittlerweile ist er Landeseinsatzleiter für Niederösterreich/ Wien und seit vier Jahren auch bundesweiter Geschäftsführer.
»Die Hoffnung außerhalb jeder Überlebensstatistik lässt uns weitersuchen.«
„Derzeit ist die Situation besonders herausfordernd. Man weiß nie, was in der nächsten Minute ist.“Aktuell sind Bergretter in allen betroffenen Bundesländern im Einsatz oder einsatzbereit. In Summe stehen dafür mehr als 12.700 Ehrenamtliche zur Verfügung.
Die Einsätze der Bergretter reichen in diesen Tagen von der Rettung Eingeschneiter aus Hütten oder blockierten Seilbahngondeln, von Unterstützung beim Freischaufeln von Dächern bis zu den Such-, Rettungs- und Bergeaktionen verunglückter Wintersportler. Angesichts der Massen an Schnee und der hohen Lawinenwarnstufen sind besonders das die gefährlichen Aktionen – und Einsätze, die in einigen Fällen zu vermeiden wären, begeben sich doch manche ins Gelände, obwohl andauernd eindringlich davor gewarnt wird. Leichtsinn trotz Aller WArnungen. Am Mittwoch etwa waren neun Variantenfahrer auf der Schmittenhöhe in Zell am See abseits der Piste in einen Graben geraten und stecken geblieben, trotz Warnstufe vier hatte sich die Gruppe aus Osteuropa ins Gelände gewagt. Die Bergrettung konnte sie trotz akuter Lawinengefahr erreichen und ins Tal zu bringen. Am Donnerstag mussten Bergretter in Bad Hofgastein einen Snowboarder retten, der abseits der Piste Tiefschneefahren wollte, bis er im steilen Gelände nicht mehr weiterkam. Die 20 Retter, die ausrückten, berichten von widrigsten Bedingungen: Ein Gelände mit bis zu 50 Meter hohen Felsabbrüchen, die ein bis zwei Meter hoch mit Schnee bedeckt waren, Bergretter, die selbst bis zur Brust im Schnee einsanken, bis sie den Polen nach Stunden erreichen konnten. Und am Freitagabend musste ein Niederländer in Saalbach von der Bergrettung aus einem Graben geborgen werden. Der 36-Jährige war von der Piste abgekommen; auch diese Aktion ging gut aus.
In vielen Fällen ist das nicht so, die Zahl der Todesopfer durch das extreme Wetter steigt fast täglich: In St. Anton am Arlberg wurde ein 16-Jähriger im freien Skiraum von einer Lawine mitgerissen und konnte nur noch tot geborgen werden. Auf der Mariazeller Bürgeralpe ist ein Lehrer im Schnee erstickt, er war über den Pistenrand in einen steilen Wald gestürzt. In Abtenau wurden zwei Jäger, die beim Nachfüllen der Wildfütterung unter eine Staublawine geraten waren, tot geborgen. In Zauchensee erstickte ein Skifahrer nach einem Sturz bei einer Variantenabfahrt. Obwohl Bergretter binnen Minuten bei ihm waren, konnte er nicht mehr reanimiert werden. Auch in Vorarlberg sind bereits drei Menschen durch Lawinen zu Tode gekommen, und die Gefahr durch Lawinen droht nicht nur im Gelände. Die Stadt Innsbruck hat jüngst für 80 Gebäude in der Lawinengefahrenzone Sicherheitswarnungen ausgegeben: Türen schließen, Aufenthalte im Freien vermeiden. „Dort hAt niemAnd etwAs verloren.“Für das Gelände sind die Anweisungen klar: Auch wenn der Tiefschnee noch so lockt, Fahrten abseits der Piste oder Skitouren sind bei Lawinenwarnstufe fünf absolut zu unterlassen. „Bei Stufe fünf hat dort niemand etwas verloren. Punkt“, sagt Gurdet, und in Wahrheit gilt das für Hobby-Wintersportler bei Stufe vier längst genauso. Die Gefahr hält an: Besonder gefährlich werden die ersten Schönwettertage nach den Schneefällen.
Ist die Gefahr zu groß, gehen auch Bergretter nicht ins Gelände. Eigenschutz geht vor Fremdschutz. Gefahrlos sind die Einsätze trotzdem nicht, immer wieder machen Berichte von Einsätzen an der Grenze des Vertretbaren die Runde. Mit drastischen Berichten über Einsätze, die durch fahrlässiges Verhalten ausgelöst werden, warnen Bergretter, den Bergsport zu unterschätzen. Wer ins Gelände will, muss sich vorbereiten, meist jahrelang, Kurse machen, in der Praxis lernen. Sich auf dem Papier vorzubereiten reicht nicht. Aber angesichts des großen Trends zum Bergsport und der reizvollen Bilder vom unberührten Schnee in der Sonne wird das zu gern überhört. SchuldfrAgen klären Andere. Wie geht es den Rettern damit, sich in Gefahr zu bringen, weil andere fahrlässig handeln? „Im Einsatz geht es um die Rettung, nicht um Unmut oder eine Verschuldensfrage. Die hat die Staatsanwaltschaft zu klären. Wir sind der Meinung, der eine oder andere Unfall wäre zu verhindern, aber unsere Aufgabe ist es, zu retten. Wir appellieren an die Eigenverantwortung und eine Ausbildung im Vorfeld. Wir wissen aber auch, jedem kann etwas passieren. Vom Anfänger bis zum erfahrenen Bergretter, ein Restrisiko ist dabei“, sagt Gurdet.
Wer sind die Männer und Frauen (ihr Anteil ist zwar noch gering, aber er steigt), die unter Bedingungen, die mit einer schönen Sonnenskitour nichts zu tun haben, in die Berge steigen, um mühsam und ehrenamtlich im exponierten Gelände Fremden zu helfen?
Gurdet spricht von einem „breiten Querschnitt der Gesellschaft“, vom Studenten bis zum Arbeiter oder Akademiker, sie eint die Begeisterung für den Bergsport – und langjährige Erfahrung. Man muss, sagt er, schon ein sehr guter Alpinist sein, bevor die drei bis fünfjährige Ausbildung starten kann. Bezahlt werden Bergretter nicht. Die Bergrettung verrechnet den Verunfallten zwar jeden Einsatz (eine Stunde eines Bergretters wird mit etwa 38 Euro verrechnet, nach Aufwand kostet eine Aktion ein paar Hundert Euro, ein mehrtägiger Sucheinsatz inklusive Hubschrauber kann in die Hunderttausenden gehen – aber das Geld fließt in