Die Elektroingenieure des Pop
Der Electro-Pop ist heute allgegenwärtig. Er hat Fantasien von der Verschmelzung von Mensch und Maschine befördert und schrottige Sounds in die Welt gebracht: ein Überblick.
Passiert ist es zur Geisterstunde. John Foxx von der britischen Band Ultravox berichtet davon, wie der Geist der Maschine über ihn kam: „I slumbered in my shell, in mitternacht die mensch-maschine kissed me on my eyes.“Das Lied sprach von einer Sehnsucht, die so Anti-Hippie war wie nur möglich. An die Stelle der Träume vom Aufgehen in einem Kollektiv und in der Natur traten in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre Künstlichkeit und Einsamkeit. Das sah man auch an der Bekleidung. Weg mit Wolle und Leinen, die Ära der synthetischen Kunstfasern begann: Elasthan, PVC und Polypropylenfasern übernahmen die Regentschaft.
Im August 1978 sang John Foxx, damals Sänger und Liederschreiber von Ultravox, im Marquee Club in der Londoner Wardour Street. Es war gefährlich voll. Stumpfsinnige Punks spuckten ihn an. Er reagierte nicht. Er war auf Mission. Während ihm fremde Spucke vom Gesicht tropfte, formulierte er seinen Wunsch nach Transzendenz: „I want to be a machine.“Die Anzeichen, dass sich ein neuer Sound entwickelte, mehrten sich damals.
Elektronische Musik hatte es schon vorher gegeben. Vor allem in Deutschland mit so unterschiedlichen Bands wie Kraftwerk oder Tangerine Dream und Einzelkämpfern wie dem international gefeierten Synthesizerpionier Klaus Schulze. Die Stücke dauerten aber nicht selten eine LP-Seite lang. Damit war nicht in die Single-Charts zu kommen. Elektronische Musik war in der Ära vor Einführung des Personal Computers kaum für Tourneen prädestiniert. Das Synthesizer-Equipment eines Klaus Schulze wog einige Tonnen. Die Düsseldorfer Elektronikpioniere Kraftwerk begannen ab 1975 kürzere Tracks zu ersinnen. „Radioaktivität“war ein erster Versuch, ans klassische Songformat anzudocken.
1978 mehrten sich die Anzeichen dafür, dass sich ein neuer Sound entwickelte.
Bowie und Iggy Pop. Mit dem 1977 edierten „Trans-Europa-Express“, das Proto-Electro-Pop-Songs wie „Schaufensterpuppen“enthielt, wurden sie einflussreicher denn je. David Bowie und Iggy Pop etwa waren ganz vernarrt in Kraftwerk und diese als deutsch empfundene neue Popästhetik. Man traf einander in Paris, tauschte Komplimente aus. Eine konkrete Zusammenarbeit wurde leider nie daraus. Aber Bowie und Pop zogen nach Berlin und spielten dort düster-elektronische Meisterwerke wie „Low“und „The Idiot“mit Liedern wie „Nightclubbing“, „Sound And Vision“und „Always Crashing in The Same Car“ein.
Damit infizierten sie die britische und die amerikanische Popmusik. Im Mai 1979 erreichte das etwas klobig groovende „Are Friends Electric“, das Gary Numan mit seiner damaligen Band, Tubeway Army, eingespielt hatte, als erster Electro-Pop-Song die Spitze der britischen Charts. Er sollte eine kreative Lawine auslösen. Bands wie The Human League, Soft Cell, Depeche Mode, Cabaret Voltaire und Visage wurden zum verheißungsvollen Ge- sicht eines reurbanisierten Pop. Statt „Zurück zur Natur“lautete die Devise „Hinein in die neueste Technologie“.
Mit Beginn der Achtzigerjahre wurde die Vernetzung von Maschine und Mensch immer dichter. IBM brachte 1981 das Urmodell des PCs auf den Markt, die Instrumentenhersteller Moog, Korg, ARP und Oberheim immer kleinere und preisgünstigere elektronische Instrumente. Die Erzeugung synthetischer Klänge wurde zu einer Art Volkssport. Rasch bildeten sich Subgenres. Das Spektrum des Electro Pop reichte vom düsteren Industrial, den das britische Label Factory der Welt zumutete, bis hin zu frohgemutem Synthie-Pop a` la Pet Shop Boys. In Deutschland und Belgien eroberte die sogenannte Electronic Body Music mit repetitiven Sequencermotiven und minimalen Beats die Tanzböden. Eine Ära der Künstlichkeit. Die alte Idee von Authentizität war entsorgt, ein Zeitalter der neuen Künstlichkeit angebrochen. Ausgeklügelte Posen und aufwendige Selbstinszenierungen waren der letzte Schrei. Viele wollten das Hinfällige, das Menschliche hinter sich lassen, manche hatten auch kein Problem mehr damit, Popmusik als Industrieprodukt zu definieren. Die Düsseldorfer Elektronikformation Kraftwerk hat auch „I want to be a machine“– John Foxx auf dem Cover des ersten Albums seiner Band Ultravox! (noch mit Rufzeichen) aus dem Jahr 1977. hier die Richtung schon in den Siebzigerjahren vorgegeben, als sie ein Bühnenkonzept entwickelte, bei dem Roboter die Musiker ersetzten. Statt Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür standen lebensgroße Roboterpuppen auf der Bühne.
Die kommerziellen Spielarten waren für viele Künstler ein kreativer Stimulus.
Die Magie der frühen, monophon klingenden Synthesizer verklang Ende der Achtzigerjahre. Sampler und polyphon spielbare Gerätschaften veränderten den Sound der elektronischen Musik. Neue Genres wie House, Trance und Techno entstanden. Daneben entwickelten sich kommerzielle Spielarten elektronischer Musik, etwa Italo Disco und Eurodance a` la Scooter. Was den einen als Inbegriff von Billigkeit galt, lobten andere als kreativen Stimulus. Seriöse zeitgenössische Elektronic-Dance-Künstler wie die Schwedin Robyn nannten schrottige Kombos wie Snap als Einfluss.
Lange Zeit blieb die Hochkonjunktur der Maschinenmusik auf Europa beschränkt. Es gab vereinzelte japanische Protagonisten wie etwa Pizzicato