Maia allein gegen die Mafia
Am Rande Europas, in der Republik Moldau, geht heute ein schmutziger Wahlkampf zu Ende. Behinderungen und Verleumdungen gegen die einzige proeuropäische Kandidatin standen an der Tagesordnung. Ein Lokalaugenschein.
Wahlplakate begrüßen sie. Es sind nicht ihre eigenen. Alle paar Meter hängen im Dorf Peresecina Transparente, als Banner quer über die Straße gespannt, festgebunden an Eigenheimen und Geschäftslokalen, und schließlich auch auf dem Platz vor dem Kulturhaus, ganze fünf, blau sind sie mit weißer Schrift, und es stehen überall die gleichen Worte darauf: „Wir unterstützen Pavel Filip.“Peresecina liegt eine halbe Stunde von der moldauischen Hauptstadt Chisin¸au˘ entfernt, ein Dorf zwischen sanften Hügeln, ebenerdige Häuser mit Holzbänken davor und Weingärten dahinter. Zwei orthodoxe Kirchen, ein lachsfarbenes Kulturhaus, löchrige Straßen.
An diesem Tag will die Oppositionspolitikerin Maia Sandu in Peresecina auftreten. Sie ist Spitzenkandidatin des proeuropäischen Wahlblocks Acum. Tags darauf wird der Premier, Pavel Filip, erwartet. Der Politiker der regierenden Demokratischen Partei tritt in dem Wahlkreis als Direktkandidat an. Für seinen Besuch ist bereits eine Bühne im Ortszentrum aufgebaut.
Für Oppositionspolitikerin Sandu hingegen gibt es keinen festlichen Empfang. Die im Kulturhaus beantragte Wahlveranstaltung kann nicht stattfinden. Leider alles besetzt mit sehr dringenden Veranstaltungen, heißt es. Im Vorraum werden Mitglieder der örtlichen Wahlkommission instruiert, im großen Saal tanzen Mädchen zu Popsongs. „So ist es fast überall, wo wir hinkommen“, sagt Sandu. „Wir müssen unsere Treffen auf der Straße durchführen.“Helfer verteilen Wahlwerbung, bringen einen Verstärker herbei. 53 Dorfbewohner sind gekommen. Immerhin. Darunter sind auch zwei Männer, die an ihren Mobiltelefonen hängen. Polizisten in Zivil, die rapportieren, sagt ein Vertrauter Sandus. Für das Acum-Team ein vertrauter Anblick: Lokale Aktivisten werden eingeschüchtert, Teilnehmer von Meetings erhalten am Abend Besuch. Man wolle doch nicht etwa für Sandu stimmen?
Wer Sandu kurz vor der Wahl am heutigen Sonntag begleitet, der versteht schnell, dass dies kein normaler Wahlkampf ist. Fair Play gilt nicht. Foul Play dominiert. TV-Sender, die der Regierungspartei nahestehen, behaupten, sie wolle die Republik Moldau an Rumänien anschließen. Sie stehe hinter dem gigantischen und ungeahndeten Diebstahl von einer Milliarde Dollar aus moldauischen Banken. Auch vor dem Privatleben der erfolgreichen Politikerin (Umfragen sehen Acum auf Platz zwei hinter den Sozialisten) machen die Diffamierungen nicht Halt. Unlängst musste Sandu öffentlich erklären, dass sie nicht lesbisch sei. Fotos waren aufgetaucht, die eine ihr ähnlich sehende Frau Händchen haltend mit einer anderen Frau zeigten. Ein Fake, sagt Sandu, ein Trollfabrikat. Sie ist Mitte 40 und unverheiratet – in einem Land mit traditionellem Rollenverständnis wie der Republik Moldau wird dieser Umstand zum verwundbaren Punkt, zum politischen Kapital ihrer Gegner.
Jetzt ist sie ständig auf der Hut, checkt ihren Facebook-Account und antwortet persönlich auf Kommentare. Auch auf die Februarkälte ist die zarte Frau vorbereitet: Sie steckt in einer dunkelblauen Steppjacke und dicken schwarzen Fellstiefeln. Selbst wenn man Sandu in der Provinz in eines der Kulturhäuser lässt, ist es dort bitterkalt. Es sind in die Jahre gekommene Veranstaltungsorte mit schiefen Sitzreihen, knallbunten Vorhängen und Plastikblumenbouquets. Den Gemeinden, die sie auf ihrer Wahlkampftour besucht, fehlt das Geld für die Heizung. Frühere Ministerin. Reichlich ungemütlich ist der Wahlkampf in der Republik Moldau, dem früheren Moldawien, einem dreieinhalb Millionen Einwohner zählenden Land in Osteuropa. Zumindest für eine proeuropäische Oppositionskandidatin wie Sandu.
Sandu stammt aus einem Dorf im Westen der Moldau. Als Kind schaute sie Trickfilme des rumänischen Fernsehens, das man in der Grenzregion empfangen konnte. Es war ihr Fenster zum Westen in der Sowjetunion. „Mein Rumänisch war besser als das von anderen Bürgern in unserem Land“, sagt sie. Sandu war von 2012 bis 2015 Bildungsministerin in einer prowestlichen Koalitionsregierung, die von den Liberaldemokraten angeführt wurde. Ihr damaliger Chef sitzt heute im Gefängnis. Die Demokratische Partei ist nunmehr einflussreichster Player im Land. Sandu bezeichnet sie als „Mafia“. Im Zuge der Protestbewegung wegen des ungeahndeten „Bankenraubs“positionierte sie sich als Oppositionspolitikerin. 2016 trat sie als Präsidentschaftskandidatin an und unterlag nur knapp dem heutigen Amtsinhaber, Igor Dodon, einem Sozialisten, der regelmäßig zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Moskau pilgert.
Während Dodon früher drohte, das EU-Assoziierungsabkommen Moldaus aufzulösen, fordert er heute eine neutrale Außenpolitik für die kleine Republik zwischen Rumänien und der Ukraine und ein besseres Verhältnis zum Kreml.
Um eine Weichenstellung geht es heute auch in der Republik Moldau. Zunächst scheint es, als finde der entscheidende Kampf zwischen Demokraten und Sozialisten statt – eine Richtungswahl zwischen Ost und West. Die Sozialisten führen in den Umfragen. Die Demokraten werben mit Stabilität und Regierungserfahrung. Würden die Sozialisten gewinnen, drohe der Moldau Chaos. Doch hinter den Kulissen haben beide Player in der Vergangenheit immer wieder kooperiert. Das könnten sie auch in Zukunft tun oder gar eine Koalition schließen, denn keine von beiden Parteien wird allein regieren können. Beide haben sie einen gemeinsamen Feind: Maia Sandu. Weiter Weg nach Brüssel. Bei ihren Treffen nennt Sandu die Probleme des Landes beim Namen: Sie prangert intransparente Privatisierungen an, die hohen Medikamentenpreise, Folge eines Preiskartells, sie erklärt, wie sie die Korruption im Staat bekämpfen will. Die EU erwähnt sie selten. Bis nach Brüssel ist es ein weiter, ungewisser Weg für die Republik. Dennoch hält sie fest: „Wenn die Korruption endlich wirkungsvoll bekämpft wird, wird sich auch das Lebensniveau verbessern.“
Wieder geht es weiter, mit dem Auto über verschlammte Straßen. Noch vier Termine bis zum Abend. Sandu nippt vom Tee aus der Thermoskanne und beißt in einen Apfel. „So einen traurigen Wahlkampf habe ich noch nie erlebt“, sagt sie. „Überall Angst und Hoffnungslosigkeit.“Und Behinderungen: Während die Wahlteilnahme für Moldauer im Ausland erschwert wird, werden an der Grenze zum abtrünnigen Landesteil Transnistrien viele Wahllokale eingerichtet. Der Transfer zur Abstimmung wird organisiert. Wahlempfehlung inklusive.
Wird die Parlamentswahl frei und fair sein? Sandu schüttelt den Kopf. Die bisherigen Unregelmäßigkeiten lassen nichts Gutes vermuten. „Es kann sein, dass wir protestieren müssen. Lang.“Für Montag ist vorsorglich eine Kundgebung angemeldet. Alles scheint möglich: eine Regierungskrise, wie sie die Republik schon oft erlebt hat, oder sogar eine Wiederholung der Wahl.
Es ist dunkel, als Sandu nach dem letzten Treffen ins Auto steigt. Sie kontrolliert noch einmal ihr Facebook-Profil. Chisin¸aus˘ Lichter glänzen in der Ferne. Ein paar Kilometer vor der Stadtgrenze hält ihr Fahrer an und verabschiedet sich. Er wohnt hier. „Er hilft mir in diesem Monat kostenlos“, sagt sie. „Einen Chauffeur kann ich mir nicht leisten.“Sandu öffnet die Beifahrertür und geht um den Wagen herum. Sie setzt sich ans Steuer und fährt los.
Aktivisten werden bedrängt, Teilnehmer von Meetings erhalten abends Besuch. Hinter den Kulissen haben sich Demokraten und Sozialisten schon länger verbrüdert.