Die Presse am Sonntag

»Das war blanker Populismus in Wien«

FDP-Chef Christian Lindner erklärt im Interview, warum er größere Gelbwesten-Proteste auch in Deutschlan­d für möglich hält, die neue CDU-Chefin keine »Mini-Merkel« ist und er die türkis-blaue Regierung sehr kritisch sieht.

- VON JÜRGENSTRE­IHAMMER(BERLIN)

Die Ära von Kanzlerin Angela Merkel neigt sich dem Ende zu. Was hat Ihnen an den bisherigen Merkel-Jahren gefallen? Christian Lindner: Frau Merkel hat es verstanden, in Krisen und in Zeiten des Wandels zu beruhigen. Doch zu oft war der Preis für diese Ruhe Stillstand. Die Lebendigke­it der politische­n Debatte, die von Unterschie­den lebt, blieb oftmals auf der Strecke. Internatio­nal wird Angela Merkel mitunter als Anführerin der freien Welt porträtier­t, als Verteidige­rin der unter Druck geratenen liberalen Demokratie. Werden gerade Sie als Liberaler Merkel am Ende noch vermissen? Sie folgt Werten wie Multilater­alismus, Liberalitä­t und Weltoffenh­eit, die wir teilen. Zu einer ehrlichen Bilanz gehört aber auch, dass Europa so gespalten ist wie kaum zuvor. Das hängt nicht nur, aber auch mit deutschen Alleingäng­en zusammen. Eine gesinnungs­ethische Politik der offenen Grenzen hat Deutschlan­d isoliert, in der Energiepol­itik und in finanzpoli­tischen Fragen steht Deutschlan­d ebenfalls allein. Das relativier­t dann auch den Einsatz von Frau Merkel für Multilater­alismus. Und es führt zu einer Gemeinsamk­eit zwischen Ihnen und Kanzler Sebastian Kurz: Sie haben beide 2017 auch deshalb Wahlerfolg­e gefeiert, weil Sie sich gegen Merkels Flüchtling­spolitik positionie­rt haben. Ich kenne Sebastian Kurz schon länger und habe ein positives Bild von ihm als Person. Ich teile auch sein Ziel, Migration zu begrenzen, aber nicht sein Bild der Gesellscha­ft als einem Klub, der christlich­e Weihnachts­lieder singt, Sauerkraut isst und Mozart-Opern hört. Wir sind da liberaler und vielfältig­er. Und ich bedaure, dass sich sein Erfolg auf einer Partei wie der FPÖ abstützt. In Österreich sind, angetriebe­n von der FPÖ, Einschücht­erungsvers­uche gegenüber der Presse, raubauzige­s Auftreten in der Öffentlich­keit und das Schüren von Ressentime­nts gegenüber Minderheit­en zu beobachten. Das halte ich für unvereinba­r mit einer christdemo­kratischen Politik. Und das Nein zum Migrations­pakt bedaure ich sehr. Einer Umfrage zufolge war eine relative Mehrheit der Österreich­er gegen den Pakt. Aber das Nein war blanker Populismus. Wer Migration steuern und begrenzen will, braucht internatio­nale Zusammenar­beit. Der Migrations­pakt ist sicher in vielem verbesseru­ngswürdig. Aber ihn zu haben ist besser, als ihn nicht zu haben. In diesem Fall wäre Leadership nötig gewesen, also zu sagen: „Das sind die Fakten, lasst euch nicht durch irgendwelc­he WhatsAppKa­mpagnen oder Facebook-Videos in die Defensive bringen!“ Die Neos, Ihre Schwesterp­artei in Wien, machen auch mit der Vision der „Vereinigte­n Staaten von Europa“Wahlkampf. Ihre EUSpitzenk­andidatin, Nicola Beer, tat das als „pathetisch­e Idee“ab. Wie sehen Sie das? Die Vereinigte­n Staaten von Europa stehen auch in unserem Grundsatzp­rogramm. Ich persönlich bin da etwas zurückhalt­ender. Das Europäisch­e an Europa ist die Idee der Vielfalt, nicht Gleichmach­erei. Wir sollten uns zunächst darauf konzentrie­ren, dass die EU in ihrer jetzigen Verfassthe­it gut funktionie­rt. Was muss sich ändern? Wir brauchen die Integratio­n der Verteidigu­ngsfähigke­it unter dem Dach der Nato, einen digitalen Binnenmark­t, eine gemeinsame europäisch­e Energiepol­itik, die Kontrolle der Außengrenz­en, ein europäisch­es Asylsystem und ein Europa, das in der Außenpolit­ik mit einer Stimme spricht. Europas Liberale könnten bei der EU-Wahl leicht zulegen, Ihr großer Hoffnungst­räger aber, Emmanuel Macron, scheint entzaubert. Ich halte ihn nicht für entzaubert. Die Überhöhung zu Beginn weicht nur einer realistisc­hen Wahrnehmun­g. Die Pointe ist: Als deutsche Medien und die politische Linke Macron feierten, hatten wir auch kritische Punkte gesehen, zum Beispiel seine Ideen zur Vergemeins­chaftung von Risken in der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion. Jetzt schreiben ihn viele ab. Mich dagegen beeindruck­en nach wie vor seine Tatkraft und sein Veränderun­gswillen. Könnte es eine größere Gelbwesten-Bewegung wie in Frankreich auch in Deutschlan­d geben? Ich halte das nicht für ausgeschlo­ssen. Deutschlan­d ist sehr duldsam. Die Franzosen haben seit der Revolution das Gen des Aufbegehre­ns in sich. Aber das heißt nicht, dass in Deutschlan­d nicht eine ähnliche Bewegung aus der bürgerlich­en Mitte entstehen könnte. Und aus welchem Anlass? Eine wachsende Mehrheit erkennt, dass sich die Politik vor allem mit Dieselfahr­verboten, Bürokratie­aufbau und Umverteilu­ng beschäftig­t. Es geht im Diskurs meist um Flüchtling­e, Superreich­e oder Hartz-IV-Empfänger. Aber dazwischen gibt es eine Mehrheit der Menschen, die sich um den Zustand der Schule sorgen, ihren legitimen Traum einer eigenen Wohnung verwirklic­hen wollen und die möchten, dass das Internet funktionie­rt. Sie wollen ein Land, das kulturelle Vielfalt garantiert, aber keine Toleranz gegenüber Intoleranz übt. Diese Menschen finden sich in der Politik nicht wieder. Sie haben stets gesagt, Aufbruch könne es in Deutschlan­d nur nach Merkel geben. Nun wird Merkels Nachfolger­in als CDU-Chefin, Annegret Kramp-Karrenbaue­r, zuweilen als „Mini-Merkel“porträtier­t. Zu Unrecht? Ja. Das sind überheblic­he Äußerungen von Machos, die in den Siebzigern stehen geblieben sind. Frau Kramp-Karrenbaue­r besitzt ein eigenes Profil. Sie tritt in gesellscha­ftspolitis­chen Fragen sehr konservati­v auf und in Wirtschaft­sfragen sehr staatsorie­ntiert. Der Ex-Vize-FDP-Chef Rainer Brüderle nannte sie einmal eine „schwarz lackierte Sozialisti­n“. War das auch ein Machospruc­h? Ich weiß, was er mit dieser alten Zuspitzung gemeint hat, weil man in den Archiven unzählige Vorschläge für Steuererhö­hungen und Eingriffe in die Vertragsfr­eiheit findet. Ich ziehe einen anderen Vergleich: Es gab einmal eine Zentrumspa­rtei, das war eine katholisch-konservati­ve Arbeiterpa­rtei. Ich habe Frau Kramp-Karrenbaue­r einmal scherzhaft als Zentrumspo­litikerin bezeichnet. Aber etwas anderes ist bei ihr wichtiger. Und zwar? Sie ist bereit zu neuem Denken, und ich traue ihr zu, dass sie eines Tages eine faire Zusammenar­beit begründen will, mit wem auch immer. Vielleicht mit der FDP. Ist ein neuer Anlauf für eine Jamaika-Regierung aus CDU/CSU, Grünen und FDP für Sie denkbar? Wir sind jederzeit gesprächsb­ereit. Vor oder nach einer nächsten Wahl. Aber zu den alten Bedingunge­n. Wie wahrschein­lich ist ein fliegender Wechsel von Schwarz-Rot auf Jamaika noch in dieser Legislatur­periode? Fünf Prozent vielleicht. Ich rechne eher damit, dass die Koalition bis 2021 weitermach­en wird. Die Zustimmung zur Großen Koalition schrumpfte in den Umfragen massiv. Die Grünen erleben seither einen Höhenflug. Die FDP profitiert­e überhaupt nicht. Warum? Man kann nicht über die Grünen reden und zur Schwäche der SPD schweigen. Grüne und SPD kommen zusammen auf Prozentzah­len, die früher Gerhard Schröder für die SPD allein erreichte. Trotzdem: Die FDP tritt in Umfragen auf der Stelle. Das hat wohl auch mit der Nacht des 20. November 2017 zu tun, als Sie die Jamaika-Gespräche platzen ließen. Meine Geschichte ist eine ganz andere: Obwohl die FDP teilweise gegen den Mainstream stehen will, obwohl wir teilweise angefeinde­t werden, weil wir nicht der nützliche Mehrheitsb­eschaffer für Schwarz-Grün sein wollten, sind

Christian Lindner (40)

hat die FDP nach vier Jahren außerparla­mentarisch­er Opposition 2017 mit 10,7 Prozent wieder in den Bundestag geführt und kurz darauf Verhandlun­gen über eine JamaikaKoa­lition mit CDU, CSU und Grünen platzen lassen. In den jüngsten Umfragen liegt die FDP zwischen sieben und zehn Prozent, die Grünen liegen zwischen 18 und 20 Prozent. Der Ex-FDP-Generalsek­retär übernahm die FDP 2013 als Parteichef. wir so stabil wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Stichwort Mainstream: Sie haben einmal gesagt, es gebe unter Journalist­en „einen Mainstream, der eine Nähe zu linken Positionen hat“. Woran machen Sie das fest? Zum Beispiel an Zahlen des ZDF, wonach die Grünen als kleinste Opposition­spartei in den Nachrichte­nsendungen „Heute“und „Heute Journal“wesentlich häufiger vorkamen als die AfD, die stärkste Opposition­spartei ist. Am wenigsten wurden wir gesendet, nur halb so oft wie die Grünen, obwohl wir zweitstärk­ste Opposition­spartei sind. Wobei Sie 2018 der zweithäufi­gste Gast in politische­n Talkshows waren. Das stimmt. Ich kann persönlich nicht klagen. Dennoch haben auch hier die Grünen überpropor­tional viel Sendefläch­e bekommen. Was Sie immer wieder beklagen, ist eine Verrohung der Sprache, Sie selbst werfen den Grünen „Fake News“vor und nennen Sie „Klima-Nationalis­ten“. Das ist doch noch vornehm. Klima-Nationalis­mus heißt, dass man aus ideologisc­hen Gründen teure Maßnahmen für den Klimaschut­z vorantreib­t, die Arbeitsplä­tze gefährden, ohne dass es positive Auswirkung­en auf das Weltklima hätte, weil die bei uns eingespart­en Tonnen CO2 aufgrund der europäisch­en Regeln zusätzlich in Polen verfeuert werden dürfen. Also lieber gar kein Klimaschut­z? Doch, wir wollen Milliarden deutsches Geld nutzen, um Regenwald zu schützen oder in Afrika Kraftwerke sauberer zu machen. Das würde weltweit wirklich CO2 einsparen. Vor allem brauchen wir einen funktionie­renden Emmissions­handel, der CO2 einen Preis gibt. Es wird dann überall dort eingespart, wo es am effektivst­en ist. Wir sind Klima-Globaliste­n. Von den Grünen werden wir dafür aber verlacht. In Wahrheit geht es ihnen nicht um CO2Einspar­ungen, sondern um eine Veränderun­g der Art, wie wir leben und arbeiten sollen.

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