Rettet die Rehe! Oder den Wald vor ihnen?
Dramatische Bilder von hungerndem Wild haben die Debatte um Wildfütterung neu belebt. Tierschützer plädieren für ein Aus der Fütterung, Förster schränken diese ein, Jäger wollen füttern. Was ist richtig? Was hilft den Tieren? Und was dem Wald?
Wer sind die wahren Tierfreunde und Naturschützer? Sind es die, die in den Wald gehen und Wildtiere füttern? Die, die sie erschießen? Die, die Wildtiere wild sein lassen – sie also sich selbst überlassen? Der Konflikt, wie mit Wildtieren umzugehen ist, hat Tradition, so lang wie der Konflikt zwischen Jägern, Förstern, Tierschützern. Aber diesen Winter hat er an Dynamik gewonnen – so, dass sogar Tierfreunde uneins sind, was richtig ist. Wer kann schon fordern, ein Reh, das bis zum Hals im Schnee steckt, im offenbar erbarmungswürdigen Zustand zu belassen und nicht zu füttern – auch wenn das üblicherweise Linie ist?
Aber von Anfang an. Die Bundesforste, mit zehn Prozent der Staatsfläche Verwalter des größten Naturraumes und Forstgebiets Österreichs, haben über die vergangenen Jahre die Wildfütterung sukzessive reduziert. Das soll den Wald schützen, denn (zu) viel Wild führt zu Schäden durch Verbiss. Die Reduktion der Fütterung entspricht langjährigen Forderungen von Naturund Tierschutzorganisationen, die in der Fütterung ein Mittel der Jäger zum Hochzüchten zu großer Bestände an Trophäenträgern für die Jagd sehen.
In diesem Winter haben dramatische Bilder von Tieren, die im Schnee versinken, für einen Aufschrei von Jägern, Tierfreunden und Boulevardmedien gesorgt: Mangels Fütterung würden Tiere verhungern. Schuld seien (auch) die Bundesforste. Das hat auch politisch Wellen geschlagen, die SPÖ hat eine parlamentarische Anfrage „betreffend qualvolles Verhungernlassen von Wildtieren in den Bundesforsten“an Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) gestellt, bei der die Bundesforste ressortieren. Auch der Wiener Tierschutzverein sieht im Auflassen von Tierfütterung einen Skandal – während andere, etwa der Verein gegen Tierfabriken (VGT) auf dem Standpunkt bleibt, Tierschutz heiße (außer im Katastrophenfall) Fütterung zu verbieten. Der VGT sieht die Debatte um hungernde Tiere als Imagekampagne der Jäger: Sie würden Fütterungen als den besseren Tierschutz verkaufen – dabei schaffe die Fütterung „Tragödien“. Zu hohe Bestände würden dazu führen, dass die Tiere ihre Lebensgrundlage, den Wald, durch Wildverbiss zerstören. Würde das Wild nicht durch Menschen und Jagd gestresst, würde es nicht in ungeeignete Lebensräume gedrängt und wären die Populationen angepasst, überstünde es die Winter problemlos ohne Fütterung, meint etwa Wildbiologin Karoline Schmidt. Verbot aktuell kein Thema. Diese Position, hin zu einer naturnäheren Bewirtschaftung mit weniger Eingriff, hat auch international zusehends an Bedeutung gewonnen: Im Schweizer Kanton Graubünden etwa ist die Winterfütterung von Schalenwild (dazu zählen auch Rotwild und Rehwild) seit 2017 verboten. Dort werben Ämter, Forst-, Jagd- und Landwirtschaftsvertreter mit Umweltorganisationen gemeinsam für ein Aus der Fütterung – auch bei Privaten, die scheinbar hungerndes Wild aus Mitleid füttern und damit Tier und Wald schaden. Ein generelles Fütterungsverbot ist in Österreich derzeit kein Thema – vielleicht, weil es um Wälder, Jagd und Wildtiere ohnehin schon genug Konflikte gibt: vor allem zwischen Bundesforsten und Jägern. Die Bundesforste halten ihre Jagdpächter seit ein paar Jahren verstärkt an, Abschusspläne einzuhalten oder überzuerfüllen, um den Bestand zu verringern. Geschieht das nicht, wurde schon Jägern, auch prominenten mit großen Revieren, die Pacht nicht verlängert. Das sorgt für Konflikte, sodass die Debatte nun mitunter als Revanche der Jäger kommentiert wird. Nun zeigen sich Jäger und Bundesforste (siehe unten) um Konsens bemüht. Die Bundesforste betonen, sie füttern sehr wohl. Jäger lenken ein, mancherorts seien Bestände tatsächlich zu hoch.
Was ist nun der beste Weg für Wald und Tiere? Die Naturschutzorganisation WWF nennt den Weg, die Fütterung sukzessive und dort, wo es sinnvoll ist, einzuschränken, „vernünftig“. Auch angesichts extremer Schneelagen solle man abwägen, was Bedürfnissen der Wildtiere entspricht – schließlich seien heimische Wildtiere an sich auf winterliche Witterungsextreme eingestellt – wenn sie ungestört bleiben. Nur schwache, alte und kranke Tiere fallen Wetterbedingungen zum Opfer – ein natürlicher Vorgang, der den Bestand reguliert und den Wald schützt. Überall und allzeit zu füttern sei der falsche Weg. Besser sei es, Wild in Ruhe zu lassen, gerade als Wintersportler nicht in die hintersten Winkel der Wälder vorzudringen und Tiere so zur Flucht zu zwingen. Und gut gemeinte private Fütteraktionen jedenfalls zu unterlassen.
Im Wald treffen Welten aufeinander: Jäger, Förster, (vermeintliche?) Tierfreunde.