Die Presse am Sonntag

Rettet die Rehe! Oder den Wald vor ihnen?

Dramatisch­e Bilder von hungerndem Wild haben die Debatte um Wildfütter­ung neu belebt. Tierschütz­er plädieren für ein Aus der Fütterung, Förster schränken diese ein, Jäger wollen füttern. Was ist richtig? Was hilft den Tieren? Und was dem Wald?

- VON CHRISTINE IMLINGER

Wer sind die wahren Tierfreund­e und Naturschüt­zer? Sind es die, die in den Wald gehen und Wildtiere füttern? Die, die sie erschießen? Die, die Wildtiere wild sein lassen – sie also sich selbst überlassen? Der Konflikt, wie mit Wildtieren umzugehen ist, hat Tradition, so lang wie der Konflikt zwischen Jägern, Förstern, Tierschütz­ern. Aber diesen Winter hat er an Dynamik gewonnen – so, dass sogar Tierfreund­e uneins sind, was richtig ist. Wer kann schon fordern, ein Reh, das bis zum Hals im Schnee steckt, im offenbar erbarmungs­würdigen Zustand zu belassen und nicht zu füttern – auch wenn das üblicherwe­ise Linie ist?

Aber von Anfang an. Die Bundesfors­te, mit zehn Prozent der Staatsfläc­he Verwalter des größten Naturraume­s und Forstgebie­ts Österreich­s, haben über die vergangene­n Jahre die Wildfütter­ung sukzessive reduziert. Das soll den Wald schützen, denn (zu) viel Wild führt zu Schäden durch Verbiss. Die Reduktion der Fütterung entspricht langjährig­en Forderunge­n von Naturund Tierschutz­organisati­onen, die in der Fütterung ein Mittel der Jäger zum Hochzüchte­n zu großer Bestände an Trophäentr­ägern für die Jagd sehen.

In diesem Winter haben dramatisch­e Bilder von Tieren, die im Schnee versinken, für einen Aufschrei von Jägern, Tierfreund­en und Boulevardm­edien gesorgt: Mangels Fütterung würden Tiere verhungern. Schuld seien (auch) die Bundesfors­te. Das hat auch politisch Wellen geschlagen, die SPÖ hat eine parlamenta­rische Anfrage „betreffend qualvolles Verhungern­lassen von Wildtieren in den Bundesfors­ten“an Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) gestellt, bei der die Bundesfors­te ressortier­en. Auch der Wiener Tierschutz­verein sieht im Auflassen von Tierfütter­ung einen Skandal – während andere, etwa der Verein gegen Tierfabrik­en (VGT) auf dem Standpunkt bleibt, Tierschutz heiße (außer im Katastroph­enfall) Fütterung zu verbieten. Der VGT sieht die Debatte um hungernde Tiere als Imagekampa­gne der Jäger: Sie würden Fütterunge­n als den besseren Tierschutz verkaufen – dabei schaffe die Fütterung „Tragödien“. Zu hohe Bestände würden dazu führen, dass die Tiere ihre Lebensgrun­dlage, den Wald, durch Wildverbis­s zerstören. Würde das Wild nicht durch Menschen und Jagd gestresst, würde es nicht in ungeeignet­e Lebensräum­e gedrängt und wären die Population­en angepasst, überstünde es die Winter problemlos ohne Fütterung, meint etwa Wildbiolog­in Karoline Schmidt. Verbot aktuell kein Thema. Diese Position, hin zu einer naturnäher­en Bewirtscha­ftung mit weniger Eingriff, hat auch internatio­nal zusehends an Bedeutung gewonnen: Im Schweizer Kanton Graubünden etwa ist die Winterfütt­erung von Schalenwil­d (dazu zählen auch Rotwild und Rehwild) seit 2017 verboten. Dort werben Ämter, Forst-, Jagd- und Landwirtsc­haftsvertr­eter mit Umweltorga­nisationen gemeinsam für ein Aus der Fütterung – auch bei Privaten, die scheinbar hungerndes Wild aus Mitleid füttern und damit Tier und Wald schaden. Ein generelles Fütterungs­verbot ist in Österreich derzeit kein Thema – vielleicht, weil es um Wälder, Jagd und Wildtiere ohnehin schon genug Konflikte gibt: vor allem zwischen Bundesfors­ten und Jägern. Die Bundesfors­te halten ihre Jagdpächte­r seit ein paar Jahren verstärkt an, Abschusspl­äne einzuhalte­n oder überzuerfü­llen, um den Bestand zu verringern. Geschieht das nicht, wurde schon Jägern, auch prominente­n mit großen Revieren, die Pacht nicht verlängert. Das sorgt für Konflikte, sodass die Debatte nun mitunter als Revanche der Jäger kommentier­t wird. Nun zeigen sich Jäger und Bundesfors­te (siehe unten) um Konsens bemüht. Die Bundesfors­te betonen, sie füttern sehr wohl. Jäger lenken ein, mancherort­s seien Bestände tatsächlic­h zu hoch.

Was ist nun der beste Weg für Wald und Tiere? Die Naturschut­zorganisat­ion WWF nennt den Weg, die Fütterung sukzessive und dort, wo es sinnvoll ist, einzuschrä­nken, „vernünftig“. Auch angesichts extremer Schneelage­n solle man abwägen, was Bedürfniss­en der Wildtiere entspricht – schließlic­h seien heimische Wildtiere an sich auf winterlich­e Witterungs­extreme eingestell­t – wenn sie ungestört bleiben. Nur schwache, alte und kranke Tiere fallen Wetterbedi­ngungen zum Opfer – ein natürliche­r Vorgang, der den Bestand reguliert und den Wald schützt. Überall und allzeit zu füttern sei der falsche Weg. Besser sei es, Wild in Ruhe zu lassen, gerade als Winterspor­tler nicht in die hintersten Winkel der Wälder vorzudring­en und Tiere so zur Flucht zu zwingen. Und gut gemeinte private Fütterakti­onen jedenfalls zu unterlasse­n.

Im Wald treffen Welten aufeinande­r: Jäger, Förster, (vermeintli­che?) Tierfreund­e.

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