Boom bei den Jägern
In Österreich wurden im vergangenen Jahr 130.149 Jagdkarten ausgestellt. Aber das heißt nicht automatisch, dass es mehr Jäger gibt.
Mischwald aufwachsen kann. Da kann man forstlich einiges tun, das geschieht auch. Oder mit alternativen Jagdmethoden, etwa Präsenz eines Jägers, der Wild von sensiblen Flächen vergrämt, aber Fütterung ist ein Faktor. Warum haben die ÖBF ihre Linie geändert und die Fütterung eingeschränkt? Hat sich der Zustand des Waldes so verschlechtert? Putzgruber: Der Zustand ist seit Jahrzehnten nicht überall zufriedenstellend. Wir bewirtschaften den Wald der Republik und haben den Auftrag, in der Wildschadensfrage weiterzukommen, den Schaden zu reduzieren. Der Rechnungshof hat 2017 festgestellt, dass die Schutzwälder wegen des Verbisses in einem schlechten Zustand sind, und empfohlen, mehr zu tun. Auch andere Institutionen haben erkannt, dass eine Kurskorrektur notwendig ist. Scherhaufer: Das sehe ich anders. Besonders bei Rotwild ist es wichtig, dass es eine ständige Fütterung gibt. Auch vor dem Winter, das Wild muss sich daran gewöhnen. Wenn ich Fütterungen auflasse, kommt es erst recht zu Schälschäden. Es gibt auch artenreiche Wälder und artgerechte Fütterung. Putzgruber: Bei Rotwild gibt es eine Auflassung nur in Abstimmung mit der Jägerschaft, mit Zustimmung der Behörde und flankierenden Maßnahmen. Daneben gibt es auch die Fütterung, bei der Jäger Trophäenträger in ihr Revier locken, indem sie nicht geeignetes Futter auslegen, Kartoffeln usw. Was kann man da tun? Scherhaufer: Kontrolliert wird das durch die Behörde, die Bezirkshauptmannschaften und die Förster in deren Auftrag. Ausschließen kann man nichts. Aber ich bin überzeugt, dass der Großteil der Jäger die Fütterungen korrekt abwickelt. Seitens des Verbandes sprechen wir uns klar gegen Mästen von Trophäenträgern aus, uns geht es um artgerechte Futtermittel in der Notzeit. Das entspricht wohl auch dem Zeitgeist – beobachten Sie eine Abkehr von der Trophäenjagd, hin zu naturnäherer Bejagung? Scherhaufer: Jeder Jäger freut sich über eine Trophäe, das ist auch nichts Negatives. Nichtsdestotrotz ist es ein Wildtier, wir haben auch Abschusspläne, nach denen Nicht-Trophäenträger zu erlegen sind. Ich glaube, dass mittlerweile das große Ganze gesehen wird, auch in der jagdlichen Bewirtschaftung. Putzgruber: Es spricht nichts dagegen, dass sich ein Jäger über Trophäen freut. Aber man tut den Tieren nichts Gutes, wenn sie im Winter, wenn sie weniger Energie brauchen, eiweißreiches Futter bekommen. Das kann sogar zum Tod führen. Wenn Menschen für so viel Stress sorgen – wäre es sinnvoll, gewisse Naturräume in Notzeiten als Rückzugsräume zu meiden? Scherhaufer: Das wäre traumhaft! Das betrifft ja jeden, der sich in der Natur bewegt. Es wäre sinnvoll, Ruhegebiete Man nennt sie „grüne Matura“, weil die Jagdprüfung ähnlich schwer und umfangreich ist wie die Abschlussprüfung in der AHS. Man muss etwa 150 Stunden über vier bis sechs Monate in Theorie und Praxis investieren, muss sich mit rechtlichen Fragen auskennen, mit den Lebensgewohnheiten verschiedener Wildtiere, muss ein Gewehr in seine Einzelteile zerlegen und sogar Hunderassen erkennen und ihre Eigenschaften aufzählen können.
Trotzdem tun sich genau das immer mehr Menschen an, um eine Jagdkarte zu erlangen. 130.149 wurden laut Statistik Austria im vergangenen Jahr ausgestellt. 2014 waren es noch 119.360 Jagdkarten.
Die Jagd ist nicht mehr nur ein Hobby der Oberschicht und der finanziellen Elite, sondern findet auch in der Mittelschicht immer mehr Anhänger. Auf dem Land war das schon immer der Fall, wo die Jagd zum Alltag der Menschen gehört. Doch jetzt sitzen in den ausgebuchten Kursen in Wien und Niederösterreich neben Ärzten und Rechtsanwälten auch Elektriker, Automechaniker und mittelständische Geschäftsleute. Denn der Einstieg ist leistbar: 500 bis 1000 Euro kosten Ausbildung und Prüfung – und das war’s dann schon wieder für viele.
Denn mehr Jagdkarten bedeuten nicht automatisch auch mehr Jäger. Nicht wenige machen die Jagdprüfung in erster Linie aus Interesse an Wild und Natur. Man merkt es laut Statistik bei den Frauen. In den Kursen machen sie etwa 30 bis 35 Prozent der Teilnehmer aus. Am Ende gehen vielleicht zehn Prozent tatsächlich auf die Jagd. zu respektieren, im Winter wie im Sommer, auch Trockenheit kann eine Notzeit bedeuten. Und nicht nur in den Alpen: Wenn in den Ebenen des Weinviertels Spaziergänger querfeldein gehen, vielleicht noch mit Hund, nehmen Rehe dies über Hunderte Meter wahr und flüchten. Die Tiere fahren im Winter den Stoffwechsel herunter, die Unruhe kann dazu führen, dass sie am Ende des Winters ein Problem haben. Eine Beschränkung auf vorgegebene Routen wäre wünschenswert. Putzgruber: Das können wir nur voll unterstützen, aber da muss jeder Akteur mitmachen und Rücksicht nehmen, dann ist es machbar. Es gibt in Österreich genug Möglichkeiten, Skitouren zu gehen, das Land ist groß genug – aber vielleicht geht es nicht immer und überall. Bedeuten die Wetterextreme, dass Menschen noch mehr eingreifen müssen? Scherhaufer: Die Kombination Eingriffe
Sylvia Scherhaufer,
Jahrgang 1981, ist seit 2001 Jägerin und seit 2018 Geschäftsführerin des Niederösterreichischen Landesjagdverbandes. Zuvor war die Juristin Referentin in der Landwirtschaftskammer Niederösterreich.
Norbert Putzgruber
ist der Leiter der Abteilung Wald, Naturraum, Nachhaltigkeit bei den Österreichischen Bundesforsten. Putzgruber ist überdies Vizepräsident des Österreichischen Forstvereins. Das kann freilich auch mit einem Mangel an Angeboten zusammenhängen. In Österreich gibt es 12.227 Jagdreviere, wer das Geld für ein eigenes Revier nicht hat oder sich die Arbeit nicht antun will, muss sich einen Abschuss kaufen. Im Jagdjahr 2017/2018 wurden insgesamt 758.000 Stück Wild erlegt, darunter 286.000 Rehe, 61.500 Hirsche (männliche und weibliche) und 40.300 Wildschweine. Aus für Firmenjagd. Die hohen Kosten einer eigenen Jagd garantierten in der Vergangenheit einen exklusiven Kreis – Industrielle, Wirtschaftstreibende und einige Politiker waren unter sich. Das brachte die Jagd, vor allem die Vorfälle rund um den burgenländischen Lobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly in Verruf. Mittlerweile gibt es eine strenge Corporate Governance – zum Leidwesen vieler Verpächter. Denn einst unterhielten Firmen große Jagden in Österreich, etwa Siemens oder Krupp im Tiroler Zillertal, und luden Geschäftspartner ein. Diese Zeiten sind vorbei.
Die Jagd profitiert auch vom Interesse an Ökologie und Nachhaltigkeit. Viele schwören auf das Fleisch von Wildtieren, die eben keinem Stress ausgesetzt gewesen seien und nicht in Massen auf kleinem Raum gehalten wurden. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg aß für einige Zeit nur das Fleisch von Tieren, die er selbst getötet hatte. Twitter-Co-Gründer Jack Dorsey erzählte in einem Interview mit dem „Rolling Stone“von einer Einladung bei Zuckerberg. „Es gab Ziege“, berichtete Dorsey. „Zuckerberg hatte sie getötet.“ durch den Menschen und Wetterextreme durch den Klimawandel setzt dem Wild auf jeden Fall zu. Putzgruber: Freilich muss man in Extremsituationen managen. Aber es gibt Gebiete, in denen eine Reduktion nötig ist, auch das gehört zum Managen. Vielfach wird auch die Rückkehr der Beutegreifer als Regulativ begrüßt. Werden Wolf oder Luchs die Bestände dezimieren? Putzgruber: Das wird im Wildbestand wenig auffallen. Man spricht davon, dass ein Luchs ein Reh pro 100 Hektar pro Jahr schlagen würde, das fällt nicht auf. Die Landwirtschaft hat mit den Beutegreifern viel eher ein Problem. Scherhaufer: Der Wolf ist sicher ein anderes Kaliber, er wirkt auch auf den Wildbestand. Die Idee, dass sich damit alles natürlich von selbst regelt, ist utopisch. Dieser Bestand an Wölfen wäre sozial in Österreich nicht verträglich – denken wir an Landwirtschaft, Nutztier-Risse, Freizeitnutzung. Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Trotzdem ändert sich der Umgang mit Wildtieren. Sind Fütterungen mit handzahmem Wild als Attraktion noch zeitgemäß? Putzgruber: Nein. Aus unserer Sicht ist es eben Wild. Es sollte nicht handzahm gemacht werden, man nimmt dem Wild damit die Würde, wenn man es in diese Abhängigkeit vom Menschen bringt. Kein Rothirsch würde aktiv auf Menschen zugehen, aus der Hand fressen und sich streicheln lassen, das macht er nur unter Bedingungen, die nicht seiner Natur entsprechen. Auf BundesforstFlächen gibt es nur noch eine Schaufütterung, da werden die Tiere nicht gestreichelt, man kann sie aus 100 Metern Entfernung beobachten. Scherhaufer: Beobachtungen bei Fütterungen aus der Weite sind nicht schlecht, man kann Menschen an Wildtiere heranführen. Das sehe ich positiv. Handzahmmachen sehe ich kritisch.