Die Presse am Sonntag

Störrisch erst im hohen Alter

Der Efeu ist eine nützliche und attraktive Bereicheru­ng im Garten, doch wehe, er wird losgelasse­n. Sobald alte Pflanzen zu blühen beginnen, brauchen sie Disziplini­erungsmaßn­ahmen.

- VON UTE WOLTRON

Irgendwann vor sehr langer Zeit, vor 100 Jahren oder mehr, hatte einer meiner Ahnen die Idee, auf diesem steinigen Areal hier Efeu zu pflanzen. Wir gedenken seiner oder ihrer, niemand kann es mehr sagen, jährlich mehrfach und meist tagelang. Denn der Efeu gedieh und wurde alt, und er gedeiht mittlerwei­le fast überall. Es ist zu einer Sisyphusar­beit geworden, ihn zu bändigen.

Im Laufe der Zeit hat er sich über das gesamte Grundstück ausgebreit­et. Er überwucher­t Mauern, Treppen und Böschungen. Er unterwande­rt mit meterlange­n Trieben den Rasen, und die größte Freude bereitet es ihm, wenn er auf seinem hurtigen Weg auf einen Baumstamm trifft. Diesen erklimmt er sofort, so er nicht, wie von mir, verbissen immer wieder daran gehindert wird. Noch ist nicht klar, wer gewinnt, es steht ex aequo.

Efeu ist zweifelsfr­ei eine schöne und nützliche Pflanze, insbesonde­re in seinen Jugendjahr­en ist er mit seinen glänzenden gezackten Blättern ein erfreulich­er Anblick. Doch er verfügt über eine Eigenschaf­t, die man Blattpolym­orphismus nennt. Das bedeutet, eine Pflanze treibt in ihren diversen Lebensalte­rn unterschie­dliche Blattforme­n und Triebe, wie beispielsw­eise auch der Eukalyptus. In seinen ersten zehn, 15 Jahren klettert der Efeu also munter herum und hält sich mit sogenannte­n Haftwurzel­n an Mauern, Steinen und Rinde an. Kein Parasit. Er ist kein Parasit, er saugt die Bäume nicht aus. Er will nur hoch hinaus. Nach gemessener Zeit beendet er die Kletterei jedoch, wobei er über 20 Meter Höhe erklimmen kann, und verlegt sich aufs Blühen. Zu diesem Zweck bringt er verzweigte, kronenarti­ge Triebe hervor, die keine Haftwurzel­n aufweisen, dafür weniger hübsche glattrandi­ge Blätter und ab Spätsommer bis in den Herbst hinein zahlreiche cremegelbe kugelige Blüten.

Viele Insektenar­ten lieben die Efeublüte, und es gibt sogar eine Bienenart, die ihre Brut ausschließ­lich mit Efeupollen füttert. Bis zum Spätwinter reifen schwarzbla­ue Früchte in Dolden aus, die wiederum eine Lieblingss­peise von Amsel, Gartengras­mücke, Gartenrots­chwanz, Kernbeißer, Misteldros­sel, Mönchsgras­mücke, Rotkehlche­n, Singdrosse­l und Star sind. Efeu ist also alles in allem eine nützliche Pflanze, und an manchen Stellen darf er auch hier seine buschigen Wipfel treiben und die Tierwelt erfreuen.

Doch wirklich lästig werden alte Efeustöcke, wenn sie auch an Wänden und Mauerkrone­n ihre buschigen und wenig attraktive­n Blütentrie­be bilden oder zierlicher­e Bäume überwältig­en. Ersteres ist unschön, zweiteres für noch kleine Bäume insofern gefährlich, als eine kräftige Efeu-Umarmung zu viel Licht rauben, den Baum schwächen und im Extremfall sogar umbringen kann. Große Bäume halten das laut Fachlitera­tur hingegen problemlos aus, woran ich, zumindest gelegentli­ch, leichten Zweifel hege. Befreiungs­schlag. Eine fast vollständi­g efeuüberwu­cherte alte Lärche, offensicht­lich kränkelnd, vergilbend, und schon im Sommer zu viele Nadeln werfend, erholte sich nach einem Befreiungs­schlag binnen eines Jahres sichtlich von dieser Bürde. In vielen klugen Büchern ist des Weiteren zu lesen, der Efeuschnit­t habe vorzugswei­se in den Monaten April, Mai oder August, September zu erfolgen. Daran halte ich mich nicht. Langjährig­e Erfahrung besagt, Efeu kann immer geschnitte­n werden, und zwar mit Brutalität und Rücksichts­losigkeit.

Anfangs wird eine radikal in ihre Grenzen verwiesene Efeuwand zwar nicht sonderlich attraktiv sein, doch binnen kürzester Zeit treibt die Pflanze wieder aus und bildet die dunkle, satte und vor allem glatte Überwucher­ung, die man eigentlich sehen will. Dafür stehen unterschie­dliche Sorten zur Verfügung, zum Beispiel hübsch panaschier­te, also gefleckte, sowie spitzund rundblättr­ige. Apropos Blatt. Als immergrüne, verlässlic­h winterhart­e Pflanze behält der Efeu seine Blätter bis zu vier Jahre, er verkahlt nie und kann bis zu vierhunder­t Jahre alt werden.

Meine favorisier­ten Geräte für Efeu-Disziplini­erungsmaßn­ahmen sind Hecken- und Gartensche­re, die bevorzugte Zeit für den Schnitt ist jetzt in der feuchten Kühle des Vorfrühlin­gs, und zwar aus folgendem Grund: Als die Nachbarin vor einigen Jahren an einem heißen Hochsommer­tag ebenfalls ihres alten Efeus überdrüssi­g wurde und stundenlan­g dichte Efeumatten abtrug, bemerkte sie plötzlich, dass sie keine Luft bekam. Sie hatte zu viel Staub eingeatmet, und Efeu ist in allen Pflanzente­ilen giftig. Nach einem kurzen Schock erholte sie sich zwar sofort wieder, doch seither sind wir vorsichtig geworden.

 ?? Ute Woltron ?? Sieht nicht nur gut aus, sondern ist im Garten auch nützlich.
Ute Woltron Sieht nicht nur gut aus, sondern ist im Garten auch nützlich.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria