Liebe deine Nachbarn!
Der Handelsstreit beunruhigt Exportnationen wie Österreich. Doch der Grad der Globalisierung wird überschätzt. Die Nähe bleibt entscheidend. Gut für Österreich, schlecht für die Briten.
Österreich ist eine stolze Handelsnation. Und damit das ja niemand vergisst, werden die Menschen regelmäßig mit überlebensgroßen Plakaten daran erinnert, dass jeder zweite ihrer Euros im Export verdient wurde. Entsprechend nervös reagieren Österreicher, wenn es Spannungen im globalen Handel gibt. Trumps Zölle gegen China, der EU-Austritt der Briten, die Sanktionen gegen den Iran. All das erscheint oft als lebensbedrohlich für den Wohlstand im Land. Wer genauer hinsieht, erkennt aber: Österreich ist bei Weitem nicht so vernetzt, wie man es gerne erzählt.
„Wir waren selbst überrascht, wie wenig breit Österreich im internationalen Handel aufgestellt ist“, sagt Steven Altman von der New York University Stern School of Business, die alle zwei Jahre den Global Connectedness Index berechnet, zur „Presse am Sonntag“. Globalisierung auf Österreichisch heißt demnach vor allem reger Austausch mit Deutschland. Danach kommt lange nichts – und dann das nächste Nachbarland Italien. Außerhalb Europas erreichen am ehesten die USA – dank starker Dienstleistungsimporte (Stichwort Software) – gewisse Relevanz für die heimische Wirtschaft. Zählt man wie Altman jedoch alle Waren-, Daten-, Kapital- und Menschenströme, landet Amerika noch hinter Luxemburg auf Platz fünf der wichtigsten Partner Österreichs. China kommt in den Top Ten gar nicht vor. Die Grenzen der Globalisierung. Das Beispiel Österreich illustriert ein generelles Phänomen: Die Globalisierung wird oft überschätzt, der größte Teil des grenzüberschreitenden Handels passiert immer noch zwischen Nachbarn.
Das überrascht, trieben doch alle großen Globalisierungswellen vor al- lem den Warenverkehr über große Distanzen voran. Doch weder der Seehandel der Kolonialmächte noch das Zusammenrücken der USA mit China und Europa konnte etwas an der Bedeutung der Nähe ändern. Im Gegenteil: Forscher des Massachusetts Institute of Technology haben herausgefunden, dass die Nachteile der räumlichen Distanz auf den Handel zweier Staaten bis Mitte des 20. Jahrhunderts steil gestiegen sind. Seither gilt die Faustregel: Halbiere die Distanz und es gibt doppelt so viel Handel.
Auch die Wissenschaft habe „keinen Beweis“erbracht, dass eine möglichst breite Internationalisierung mehr Wohlstand für eine Volkswirtschaft bringe, sagt Ökonom Altman. Natürlich sei es sinnvoll, in stark wachsende Märkte zu gehen und Österreich profitiere als Zulieferer auch von der breiteren Vernetzung des Exportweltmeisters Deutschland. Dennoch sei es zielführender, in möglichst intensive und enge Beziehungen mit den eigenen Nachbarn zu investieren, als überall in der Welt Abnehmer zu suchen. Sprache, Kultur, Kosten. Erklärungen für die stabil hohe Bedeutung der Nähe im Welthandel gibt es – auch neben den Transportkosten – genug: Zunächst sind Freihandelsabkommen in den meisten Fällen zuerst regional ausverhandelt worden, die Handelsschranken zu entfernteren Märkten fielen in der Regel deutlich später. Paradebeispiel dafür ist die Zusammenarbeit Europas nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Auch die zunehmende Komplexität der Produkte spielt eine Rolle: Je schwieriger Waren zu verstehen sind, desto wichtiger werden gemeinsame Sprache oder Kultur im Geschäft. Die Nähe zu Osteuropa war es auch, die Österreichs Wirtschaft zu einem der Hauptprofiteure des Falls des Eisernen Vorhangs machte. Die Miniglobalisierung vor der Haustür war lange Zeit Garant für den Wachstumsvorsprung gegenüber dem Rest Europas.
Was passiert, wenn die Nachbarn verschmäht werden, lässt sich seit Jah- ren in Afrika beobachten. „Afrika muss sich vereinen“, schrieb Ghanas erster Präsident Kwame Nkrumah schon 1963. Denn während Europa, die USA und Asien den Großteil ihres Handels innerhalb des eigenen Kontinents abwickelten, verkauften die afrikanischen Länder ihre Rohstoffe weiter mehrheitlich an ihre alten Kolonialherren statt untereinander zu handeln. Noch heute ist Europa für Afrika als Handelspartner fast doppelt so bedeutend wie Afrika selbst. 82 Prozent aller Exporte verlassen den Kontinent. Schlechte Straßen, Zölle und korrupte Beamte machen den Transport zwischen den einzelnen Ländern zu teuer. Ökonomen sehen darin einen der Hauptgründe, warum die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents nicht vorankommt.
Es gilt die Faustregel: Halbiere die Distanz und es gibt doppelt so viel Handel.
Globale Probleme gibt es kaum. Welche große Bedeutung Nähe im Handel hat, werden aber auch manche Europäer bald schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Spätestens wenn die Briten die EU wirklich ohne Handelsdeal verlassen, wird deutlich werden, wie abhängig London von seinen Nachbarn ist. Die Hoffnung der BrexitBefürworter, dass globale Handelsab-
Europa ist für Afrika als Handelspartner fast doppelt so wichtig wie Afrika selbst.
kommen die Verluste im Geschäft mit der EU ausgleichen werden, bezweifeln die meisten Ökonomen stark: „Es sollte klar sein, dass es keinen empirischen oder theoretischen Grund gibt, warum eines der beständigsten ökonomischen Gesetze just für Großbritannien nicht gelten soll“, sagt Patrick Kaczmarczyk von der University of Sheffield.
Die Bedeutung der Nähe sei eigentlich ein Vorteil, sagt Altman: Es gebe kaum wirklich globale Probleme, wie den Klimawandel, für die es globale Antworten brauche. „Meist genügt es, wenn sich drei Schlüsselländer der Region koordinieren.“