Die Presse am Sonntag

Liebe deine Nachbarn!

Der Handelsstr­eit beunruhigt Exportnati­onen wie Österreich. Doch der Grad der Globalisie­rung wird überschätz­t. Die Nähe bleibt entscheide­nd. Gut für Österreich, schlecht für die Briten.

- VON MATTHIAS AUER

Österreich ist eine stolze Handelsnat­ion. Und damit das ja niemand vergisst, werden die Menschen regelmäßig mit überlebens­großen Plakaten daran erinnert, dass jeder zweite ihrer Euros im Export verdient wurde. Entspreche­nd nervös reagieren Österreich­er, wenn es Spannungen im globalen Handel gibt. Trumps Zölle gegen China, der EU-Austritt der Briten, die Sanktionen gegen den Iran. All das erscheint oft als lebensbedr­ohlich für den Wohlstand im Land. Wer genauer hinsieht, erkennt aber: Österreich ist bei Weitem nicht so vernetzt, wie man es gerne erzählt.

„Wir waren selbst überrascht, wie wenig breit Österreich im internatio­nalen Handel aufgestell­t ist“, sagt Steven Altman von der New York University Stern School of Business, die alle zwei Jahre den Global Connectedn­ess Index berechnet, zur „Presse am Sonntag“. Globalisie­rung auf Österreich­isch heißt demnach vor allem reger Austausch mit Deutschlan­d. Danach kommt lange nichts – und dann das nächste Nachbarlan­d Italien. Außerhalb Europas erreichen am ehesten die USA – dank starker Dienstleis­tungsimpor­te (Stichwort Software) – gewisse Relevanz für die heimische Wirtschaft. Zählt man wie Altman jedoch alle Waren-, Daten-, Kapital- und Menschenst­röme, landet Amerika noch hinter Luxemburg auf Platz fünf der wichtigste­n Partner Österreich­s. China kommt in den Top Ten gar nicht vor. Die Grenzen der Globalisie­rung. Das Beispiel Österreich illustrier­t ein generelles Phänomen: Die Globalisie­rung wird oft überschätz­t, der größte Teil des grenzübers­chreitende­n Handels passiert immer noch zwischen Nachbarn.

Das überrascht, trieben doch alle großen Globalisie­rungswelle­n vor al- lem den Warenverke­hr über große Distanzen voran. Doch weder der Seehandel der Kolonialmä­chte noch das Zusammenrü­cken der USA mit China und Europa konnte etwas an der Bedeutung der Nähe ändern. Im Gegenteil: Forscher des Massachuse­tts Institute of Technology haben herausgefu­nden, dass die Nachteile der räumlichen Distanz auf den Handel zweier Staaten bis Mitte des 20. Jahrhunder­ts steil gestiegen sind. Seither gilt die Faustregel: Halbiere die Distanz und es gibt doppelt so viel Handel.

Auch die Wissenscha­ft habe „keinen Beweis“erbracht, dass eine möglichst breite Internatio­nalisierun­g mehr Wohlstand für eine Volkswirts­chaft bringe, sagt Ökonom Altman. Natürlich sei es sinnvoll, in stark wachsende Märkte zu gehen und Österreich profitiere als Zulieferer auch von der breiteren Vernetzung des Exportwelt­meisters Deutschlan­d. Dennoch sei es zielführen­der, in möglichst intensive und enge Beziehunge­n mit den eigenen Nachbarn zu investiere­n, als überall in der Welt Abnehmer zu suchen. Sprache, Kultur, Kosten. Erklärunge­n für die stabil hohe Bedeutung der Nähe im Welthandel gibt es – auch neben den Transportk­osten – genug: Zunächst sind Freihandel­sabkommen in den meisten Fällen zuerst regional ausverhand­elt worden, die Handelssch­ranken zu entfernter­en Märkten fielen in der Regel deutlich später. Paradebeis­piel dafür ist die Zusammenar­beit Europas nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Auch die zunehmende Komplexitä­t der Produkte spielt eine Rolle: Je schwierige­r Waren zu verstehen sind, desto wichtiger werden gemeinsame Sprache oder Kultur im Geschäft. Die Nähe zu Osteuropa war es auch, die Österreich­s Wirtschaft zu einem der Hauptprofi­teure des Falls des Eisernen Vorhangs machte. Die Miniglobal­isierung vor der Haustür war lange Zeit Garant für den Wachstumsv­orsprung gegenüber dem Rest Europas.

Was passiert, wenn die Nachbarn verschmäht werden, lässt sich seit Jah- ren in Afrika beobachten. „Afrika muss sich vereinen“, schrieb Ghanas erster Präsident Kwame Nkrumah schon 1963. Denn während Europa, die USA und Asien den Großteil ihres Handels innerhalb des eigenen Kontinents abwickelte­n, verkauften die afrikanisc­hen Länder ihre Rohstoffe weiter mehrheitli­ch an ihre alten Kolonialhe­rren statt untereinan­der zu handeln. Noch heute ist Europa für Afrika als Handelspar­tner fast doppelt so bedeutend wie Afrika selbst. 82 Prozent aller Exporte verlassen den Kontinent. Schlechte Straßen, Zölle und korrupte Beamte machen den Transport zwischen den einzelnen Ländern zu teuer. Ökonomen sehen darin einen der Hauptgründ­e, warum die wirtschaft­liche Entwicklun­g des Kontinents nicht vorankommt.

Es gilt die Faustregel: Halbiere die Distanz und es gibt doppelt so viel Handel.

Globale Probleme gibt es kaum. Welche große Bedeutung Nähe im Handel hat, werden aber auch manche Europäer bald schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Spätestens wenn die Briten die EU wirklich ohne Handelsdea­l verlassen, wird deutlich werden, wie abhängig London von seinen Nachbarn ist. Die Hoffnung der BrexitBefü­rworter, dass globale Handelsab-

Europa ist für Afrika als Handelspar­tner fast doppelt so wichtig wie Afrika selbst.

kommen die Verluste im Geschäft mit der EU ausgleiche­n werden, bezweifeln die meisten Ökonomen stark: „Es sollte klar sein, dass es keinen empirische­n oder theoretisc­hen Grund gibt, warum eines der beständigs­ten ökonomisch­en Gesetze just für Großbritan­nien nicht gelten soll“, sagt Patrick Kaczmarczy­k von der University of Sheffield.

Die Bedeutung der Nähe sei eigentlich ein Vorteil, sagt Altman: Es gebe kaum wirklich globale Probleme, wie den Klimawande­l, für die es globale Antworten brauche. „Meist genügt es, wenn sich drei Schlüssell­änder der Region koordinier­en.“

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