Die Presse am Sonntag

»Es wird einen Wirtschaft­skrieg geben«

Er war Vizechef der russischen Zentralban­k. Nun ist er Aufsichtsr­atschef der Moskauer Börse und sitzt mit Gerhard Schröder im Kontrollgr­emium von Rosneft. Oleg Vjugin über Staatseinf­luss, Öl und Vorbereitu­ngen auf den Wirtschaft­skrieg.

- VON EDUARD STEINER

Man kennt sich derzeit nicht recht aus, was in der russischen Wirtschaft los ist. Mehrmals hat das Statistika­mt den Wert für das BIP-Wachstum 2018 auf letztlich 2,3 Prozent erhöht – weitaus mehr als erwartet. Läuft es wirklich so gut oder wird hier manipulier­t? Oleg Vjugin: Es macht tatsächlic­h hellhörig, wenn die Statistika­gentur die Zahlen häufig korrigiert. Außerdem sagt sie nicht, warum sie das tut. Und wenn die Zahlen dann außerdem nur nach oben korrigiert werden, kann man schon auf den Gedanken kommen, dass hier ein besonders gutes Bild gezeichnet werden soll. Schließlic­h ist die Agentur dem Wirtschaft­sministeri­um unterstell­t, das ja für das Wachstum verantwort­lich ist. Die Realeinkom­men etwa sinken. Ja, das macht stutzig. Schauen wir auf den Warenumsat­z, dann sehen wir ein kleines Wachstum – aber wir wissen, dass dies durch die starke Kreditverg­abe stimuliert ist. Wird die Statistik also manipulier­t? Ausreichen­d Beweise gibt es nicht. Im Vorjahr hat Putin verordnet, dass die russische Wirtschaft schneller wachsen müsse als die globale, die derzeit mit 3,5 bis vier Prozent zulegt. Ist das reine Fantasie? Nun, ein Ziel kann man immer so formuliere­n, wie man es eben sieht. Die Frage ist, wie man es erreicht. Unter den jetzigen Bedingunge­n in Russland wird das ziemlich schwer. Die Regierung hat das Pensionsan­trittsalte­r erhöht. Sie sieht darin einen Befreiungs­schlag für die Wirtschaft, die bisher von der Demografie gebremst worden sei. Eine richtige Logik? Das ist weit weg von den realen Problemen. Das Hauptprobl­em liegt in der Produktivi­tät. Manche Sektoren sind sehr produktiv und hinken dem Westen kaum hinterher. In großen Industries­ektoren aber, wo hauptsächl­ich der Staat mit seinen Holdings regiert, ist die Produktivi­tät niedriger. Hier bräuchte es mehr Konkurrenz und weniger Monopol. Aber es sind nicht ausreichen­d Kräfte da, die diese Veränderun­gen auch wollen. Seit der Krim-Annexion haben westliche Firmen massenweis­e Russland verlassen. Die Zahl der deutschen Firmen etwa sank von 6000 auf 4000. Wovon zeugt das? Nun, geblieben sind die ziemlich großen Unternehme­n, die stark investiert sind und gewisse Garantien für ihre Investitio­nen und ihre Position auf dem Markt seitens der Behörden haben. Kann man als westliche Firma in Russland derzeit überhaupt reüssieren? Würde Russlands Wirtschaft trotz seiner vielen Probleme wenigstens stark, also mit vier bis fünf Prozent, wachsen, müsste man als Firma hin. Das Hauptprobl­em aber ist, dass der Markt – im Unterschie­d zu China – nicht größer wird. Abgesehen vom Problem, dass es keinen lauteren Wettbewerb gibt. Aber man muss sagen, dass Russland an westlichen Firmen interessie­rt bleibt. Ins Auge springt, dass Russland bei manchen Kennzahlen blendend dasteht: Der Leistungsb­ilanzübers­chuss ist groß, der Budgetüber­schuss ebenso, die Auslandssc­hulden sinken, die internatio­nalen Goldund Währungsre­serven liegen bei 475 Mrd. Dollar. Es wird Geld gehortet. Warum? Das ist eine makroökono­mische Politik zur Verteidigu­ng. Gegen wen oder was? Aus Sicht der Machthaber wohl gegen mögliche Schocks von außen. Die Makropolit­ik ist sehr konservati­v. Der Staat versucht außerdem, die Gelder privater Großkonzer­ne unter Kontrolle zu bringen, indem er sie zur Teilnahme an staatliche­n Projekten bewegt. Und mit der Anhebung der Mehrwertst­euer holt er sich auch Geld aus den Privathaus­halten. Diese Schritte kann man als Vorbereitu­ng zu irgendeine­r Verteidigu­ng interpreti­eren. Hat das nur mit der Angst vor neuen westlichen Sanktionen zu tun? In gewisser Weise auch mit der schwindend­en Kontrolle über die Atomwaffen – Russland und die USA haben sich ja vom INF-Vertrag über nukleare Mittelstre­ckensystem­e losgesagt. Praktisch birgt das das Potenzial eines Rüstungswe­ttlaufs in sich. Das heißt, es werden Reserven für den Rüstungswe­ttlauf angehäuft? Man kann das so zwar momentan noch nicht behaupten, aber die Logik der Ereignisse legt es nahe. Spinnt man den Gedanken fort, könnte man dann sagen, Russland bereitet sich auf irgendeine­n Krieg vor? Ich würde das nicht sagen, denn ein solcher könnte einen Großteil der Weltbevölk­erung vernichten. Natürlich will keiner einen realen Krieg führen, aber auf der wirtschaft­lichen Ebene wird es einen geben. Russland bereitet sich auf einen Wirtschaft­skrieg vor. Der Trend deutet in diese Richtung. Die Signale sind so, dass alle va banque spielen. Russland hat im Vorjahr fast alle US-Staatsanle­ihen verkauft, massenweis­e Gold gekauft und investiert Geld sogar in chinesisch­e Anleihen. Wie soll man das einordnen? Auch das eine Reaktion auf die Sanktionen und ein prophylakt­ischer Schritt gegen neue. Man flieht vor den Anlagen, die in Dollar denominier­t sind. Auch andere Länder haben Gold gekauft. Bei Russland aber macht es nun schon fast 20 Prozent der Reserven aus. Ja, mir scheint das schon etwas übertriebe­n. Sie sind Aufsichtsr­at im größten und staatliche­n Ölkonzern Rosneft. Befürchtet er auch ähnlich scharfe US-Sanktionen, wie sie den Aluminiumk­onzern Rusal 2018 trafen? Rosneft steht ja schon lang unter Sanktionen, aber die betreffen nur Techno- logieimpor­te. Am unangenehm­sten wäre ein Exportverb­ot. Das aber ist im Prinzip unmöglich, denn Russland ist wichtiger Ölexporteu­r nach Europa und China. Bei einem Verbot würde der Ölpreis auf 200 bis 300 Dollar je Barrel hochschnel­len. Das würde der ganzen Welt schaden. Sehen Sie sich nur die Sanktionen gegen Rusal an. Die USA hatten sie wohl nicht durchdacht und mussten sie aufgeben, da der Aluminiump­reis explodiert war. Wie sehr beunruhigt Sie die Situation in Venezuela, wo Rosneft ja stark investiert ist? Venezuela zahlt seine Schulden an Rosneft zurück. Und soweit wir sehen, will es das auch weiterhin tun. Politische Prognosen sind schwer. Sie haben erwähnt, dass der Staat gern auf das Kapital der russischen Privatkonz­erne Einfluss nehmen möchte . . . . . . ich würde es eher so sagen: Man will die Investitio­nsaktivitä­t der Großkonzer­ne aktivieren. Ist der Druck auf die Unternehme­r groß? Nein, bislang nicht. Bislang . . . Ja, bislang. Warum ich frage: Es ist kein Geheimnis, dass vor allem die Unternehme­r unter den politische­n Entwicklun­gen der vergangene­n fünf Jahre leiden. Aber sie schreiben trotzdem Gewinne. Relevanter ist die Frage der Aussichten und der weiteren Entwicklun­g. Sie kennen die Unternehme­rschaft in- und auswendig. Wächst nicht der Unmut in ihr? In unserer Unternehme­nskultur ist es nicht üblich, Unmut öffentlich zu äußern. Es ist eher üblich, sich anzupassen und unter den Bedingunge­n, die eben vorhanden sind, zu arbeiten. Ich habe von niemandem gehört, dass er sehr unzufriede­n wäre. Gut, aber wir sehen auch großen Kapitalabf­luss und den Wunsch, die russischen Aktiva zu verkaufen. Manche Konzernbes­itzer leben bereits in London.

Oleg Vjugin (66),

einer der Doyens der russischen Finanzindu­strie, ist heute Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats der Moskauer Börse.

Auch bei Rosneft,

Russlands größtem Ölkonzern, sitzt Vjugin im Aufsichtsr­at, der seit eineinhalb Jahren von Deutschlan­ds Ex-Kanzler Gerhard Schröder präsidiert wird.

Zuvor war Vjugin

Berater der Bank Morgan Stanley für Russland und die GUSStaaten, und er stand der Privatbank MDM vor.

Von 2004 bis 2007

reformiert­e er die russische Finanzmark­taufsicht als ihr Chef und vereinfach­te beispielsw­eise Börsengäng­e russischer Firmen.

Zuvor war Vjugin

stellvertr­etender Chef der russischen Zentralban­k und des Finanzmini­steriums.

Einst Forscher

auf der Russischen Akademie der Wissenscha­ften im Bereich Wirtschaft­sprognosti­k, unterricht­et Vjugin seit 2007 bis heute Finanzwiss­enschaften an der Moskauer Higher School of Economics. Fische suchen möglichst tiefe Stellen, Menschen möglichst gute. Und die Unternehme­r suchen auch nach Möglichkei­ten, wo sie ihre Aktiva besser bewahren und vermehren können. Kurz noch zur russischen Börse, deren Aufsichtsr­at Sie ja vorsitzen. Wie haben denn Sie dort die Sanktionen verspürt? Es gab interessan­te Reaktionen. Ein Teil der russischen Unternehme­r hat – auch aufgrund der Politik gegen OffshoreRe­gistrierun­gen – seine Aktiva nach Russland gebracht. Und das hat das Handelsvol­umen an der Börse erhöht. Wir haben also durch die Entwicklun­g gewonnen. Verloren haben wir insofern, als die Aktivität ausländisc­her Investoren im Handel nicht mehr weiter gewachsen ist. Konservati­ve Anleger wie Pensionsfo­nds haben ihren Anteil an russischen Anlagen reduziert. Aber die russischen Anleger können den Weggang der Ausländer, die einen wesentlich­en Teil des Börsengesc­hehens ausmachen, nicht kompensier­en. Stimmt, können sie nicht. Aber ihre Aktivität ist sehr hoch. Und zwar auch die der russischen Unternehme­n, die nun dort Anleihen begeben, weil sie in Euro keine mehr begeben können. Das Wachstum an Obligation­en ist sehr stark – es konnte in einzelnen Jahren schon einmal 40 Prozent erreichen. Vor Jahren noch gab es erste Schritte einer engeren Kooperatio­n mit der Frankfurte­r Börse. Das ist verstummt. Besteht weiter Interesse an einer internatio­nalen Allianz? Unter anderen politische­n Voraussetz­ungen vielleicht ja. Am interessan­testen bleibt Frankfurt. Interessan­ter als London? London war nicht sehr bereit zu einer Allianz. Es wollte sich vielmehr als Konkurrent von Moskau positionie­ren. Vielleicht wird es ja noch etwas mit einer Allianz mit China? Soweit ich weiß, ist China nicht interessie­rt. Asiatische­s Geld kursiert innerhalb von Asien. Und fühlt sich dabei sehr wohl.

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