Der Blitz aus heiterem Himmel
Alles Ungute zum Geburtstag: Die mobile Radaranlage ist 60 Jahre alt. So lange spielen Polizei und Autofahrer schon Katz und Maus – doch allerspätestens mit dem autonomen Auto wird es mit dem sportlichen Wettstreit vorbei sein.
Um den ersten Temposünder der Welt zu stellen, reichte ein Fahrrad aus. Der Legende nach donnerte ein gewisser Jacob German im Jahr 1899 die New Yorker Lexington Avenue mit unerhörten 12 Meilen pro Stunde (umgerechnet 20 km/h) entlang (wo doch nur acht Meilen erlaubt waren), dies geschätzt nach einer Augenpeilung von Wachtmeister Schuessler, der umgehend sein Dienstrad bestieg, die Verfolgung aufnahm, das Vehikel bald einholte und zum Anhalten anwies. Es war übrigens ein Elektroauto gewesen, eines der tapferen, das sich in das von Kutschen und Fuhrwerken dominierte Verkehrsgeschehen der Stadt gemischt hatte.
Die weiteren Umstände der Amtshandlung – Jacob German sei kurzzeitig inhaftiert worden – sind ebenso von Mythen umrankt wie andere Erzählungen aus der Frühzeit der Temposünde. Erstaunlicherweise wollen viele die Ersten gewesen sein – dazu gibt es Berichte etwa aus England, wo ein noch dampfbetriebenes Vehikel wegen überhöhter Geschwindigkeit von Amts wegen gestoppt worden sein soll, und natürlich aus Deutschland – das Geburtsland des Automobils möchte sich offenbar auch diesen Titel sichern.
„Mit Ihrem Benz-Motor-Pferd sind Sie nachmittags zwei Uhr mit einer derartigen Geschwindigkeit durch Denzlingen gefahren“, zitiert der Autohersteller Mercedes schelmisch in einem Werbespot aus einer Niederschrift, „dass in einer Wirtschaft die Vorhänge geflattert haben“. Das in einem Museum hinterlegte Dokument gelte als erster Strafzettel der Welt. Demnach sei ein Alexander Gütermann aus Gutach am 16. Mai 1895 zu einer Geldstrafe von drei Mark verdonnert worden. Ihn kann man nicht mehr fragen. Niedergestreckt. Man merkt schon: Für Vergehen dieser Art schämt man sich höchstens mit einem Augenzwinkern. Die Auflehnung gegen das Diktat der Geschwindigkeitsbeschränkung gilt meist als heldenhafter, zumindest ehrbar rebellischer Akt.
Und ist es nicht stets eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wenn es einen „erwischt“hat, arglos niedergestreckt wie von einem Heckenschützen? Deshalb warnt man einander auch mit der Lichthupe vor Tempokontrollen. Wer geblitzt wird, kann in aller Regel auf Trost und Mitgefühl seiner Leidensgenossen hoffen.
Auf Milde des Staates zunehmend weniger. Praktisch überall in der westlichen Welt sinken die Toleranzgrenzen ebenso rapide, wie die Pönalen in die Höhe klettern. Dankt man es den Behörden, dass sie sich der Verkehrssicherheit annehmen? Nichts anderes als „Abzocke“würden die Schilde führen, so der Volksmund. Dabei könnte man sich ganz leicht wappnen: Fahren nach Gesetz und Vorschrift, und die Sache wird nicht teurer als notwendig.
Um diesen aufreibenden Lernprozess anzuregen, setzt die Exekutive seit 60 Jahren auf Hightech. Die lange Zeit gepflogene Messung mit Stoppuhr wurde Ende der 1950er obsolet, als die ersten Radargeräte in der Verkehrsüberwachung Einzug hielten. Eine übrigens bis heute zulässige Methode Klassiker des Radarfotos: 107 km/h auf der Grünbergstraße, als Kür auf dem Hinterrad. kommt ganz ohne Apparaturen aus: die freie Schätzung durch das dazu befugte Exekutivorgan, Wachtmeister Schuessler aus New York lässt grüßen. Scheunenfund. Anders als viele Legenden sind die Anfänge der Radarmessung gut belegt. Nicht zuletzt durch einen Scheunenfund in Deutschland: der erste VW Bulli, der als sogenannter Radarblitzer zu Schulungszwecken der Polizei in Niedersachsen im Einsatz war. „Der T1 ist 66 Jahre alt und stand über 54 Jahre in Scheunen und Garagen“, erzählt Tobias Twele, Projektleiter bei VW Nutzfahrzeuge. Die erste offizielle Radarmessung fand am 15. Februar 1959 in Nordrhein-Westfalen an einem Straßenabschnitt bei Düsseldorf statt. Die Radaranlage von Telefunken war im Innenraum untergebracht, in dem Beamte an einem kleinen Schreibtisch die ermittelten Daten aus-
Mit einer derartigen Geschwindigkeit, »dass die Vorhänge geflattert haben«.