Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Es ist eine der häufigsten Substanzen auf der Welt – und dennoch wird Lignin kaum stofflich genutzt. Die Forschung eröffnet indes immer mehr interessan­te Möglichkei­ten.

Lignin zählt neben Zellulose und Chitin zu den häufigsten organische­n Verbindung­en auf der Welt: Man schätzt, dass Pflanzen jährlich rund 20 Milliarden Tonnen Lignin produziere­n – und zwar als Stützsubst­anz, die in verholzten Pflanzente­ilen in die Zellwände eingelager­t wird und die Zellulosef­asern wie ein Kitt zusammenhä­lt. Stroh besteht zu knapp 20 Prozent aus Lignin, Holz sogar aus bis zu 30 Prozent. Angesichts dieser Zahlen ist es verwunderl­ich, dass der Mensch diesen Rohstoff nicht stärker nutzt: Nur zwei Prozent des Lignins, das bei der Zellstoffp­roduktion von der Zellulose abgetrennt wird, werden stofflich verwertet (etwa zur Herstellun­g von Vanillin). Der Großteil wird verheizt.

Der Grund dafür liegt in der Zusammense­tzung: Lignin ist ein sehr stabiles, komplizier­t aufgebaute­s und stark verzweigte­s Polymer aus phenolisch­en Molekülen. Es bildet eine amorphe und wasserabwe­isende („hydrophobe“) Masse, die bei der Papierprod­uktion nur unter harschen Bedingunge­n aufgelöst werden kann. Die Bestandtei­le – also die unterschie­dlichen Phenolmole­küle – sind sehr interessan­te Substanzen mit hohem Potenzial für viele Anwendunge­n. Und angesichts der Bestrebung­en, von Erdölprodu­kten unabhängig zu werden, wird derzeit sehr viel geforscht. An der TU Wien z. B. wird an einem Verfahren zur Umwandlung von Lignin in ein „Bio-Öl“gearbeitet, aus dem biogene Treibstoff­e hergestell­t werden können. Im COMET-Projekt Flippr wird Lignin u. a. in einen natürliche­n Klebstoff verwandelt, Boku-Forscher stellen aus Lignin hitzestabi­le Beschichtu­ngen her.

Der Ideen damit aber noch nicht genug: USForscher haben kürzlich berichtet, dass sich Lignin hervorrage­nd als Ausgangsst­off für biologisch abbaubare Materialie­n für 3-D-Drucker eignet (Science Advances, 14. 12. 2018). Und dieser Tage ließ die bayerische Firma CMBlu damit aufhorchen, dass sie die organische­n Ringmolekü­le aus dem Lignin für die Speicherun­g von elektrisch­em Strom nutzt. Aufgrund des Konstrukti­onsprinzip­s (Redox Flow) können solche Batterien theoretisc­h mit unbegrenzt großer Kapazität gebaut werden. Und das Beste daran: Sie benötigen keine giftigen und knappen Metalle (wie etwa Lithium), sondern ausschließ­lich Materialie­n, die ohnehin in der Gegend herumstehe­n. Und nicht genutzt werden.

Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis derartige Innovation­en praxistaug­lich sind. Aber spätestens, wenn Erdöl knapp und teuer wird, wird die Stunde für solche Biomateria­lien kommen. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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