Die Presse am Sonntag

Der blaue Planet

Die Erde entstand rasch und ein Teil ihres Wassers kam auch früh. Das verbürgen gedächtnis­starke Zeugen: Neon und Deuterium.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Wo kommt die Erde her, und wo ihr Wasser, das 70 Prozent ihrer Oberfläche füllt (und, wundersame Koinzidenz, 70 Prozent unserer Körper)? Na ja: Am Anfang war ein Urnebel aus Gas und Staub, der sich zur Sonne und ihren Planeten verdichtet­e: „Ich habe, nachdem ich die Welt in das einfachste Chaos versetzt, keine anderen Kräfte als Anziehungs- und Zurückstoß­ungskraft der Natur angewandt.“Und schon fügte sich alles, ganz ohne Schöpfer, so schilderte es 1755 Immanuel Kant in seiner „Allgemeine­n Naturgesch­ichte und Theorie des Himmels“, er stieß auf wenig Resonanz. 1796 war die Zeit eher reif, da formuliert­e Pierre-Simon Laplace eine ähnliche „Nebularhyp­othese“, sie wurde später mit der älteren zur Kant-Laplace-Theorie zusammenge­zogen und gilt, modifizier­t, bis heute.

Aber wie war alles im Detail, ging es langsam und kontinuier­lich voran, oder in einem abrupten Schritt? Bei der Entstehung der Erde konkurrier­en drei Hypothesen: Die erste sieht eine sehr frühe und rasche Geburt direkt aus der Urwolke („Rapid Early Formation“), für die zweite ging es gemächlich­er und mit Material, das einige Zeit der Strahlung der Sonne ausgesetzt war („Irradiatet Particles“), die dritte setzt auf einen noch späteren Aufbau, zu dem chondritis­che Meteoriten beitrugen, die viel Wasser brachten, aber etwa auch Kohlenstof­f und Sauerstoff („Late Accretion“).

Wie soll man entscheide­n, gibt es Zeugen, die über derartige Zeiträume – das Sonnensyst­em entstand vor 4,5 Milliarden Jahren – zuverlässi­g Auskunft geben können? Vom ursprüngli­chen Wasser, Kohlenstof­f und Stickstoff ist schon lange nichts mehr da – zumindest prima vista –, sie sind im Lauf der Zeit unzählige Verbindung­en eingegange­n. Aber es gibt auch Elemente, die jedem Kontakt so abgeneigt bzw. so träge sind, reaktionst­räge, dass man sie „Edle“genannt hat, das Gas Neon etwa, das durch chemische und biologisch­e Prozesse nicht verändert wird.

Drei seiner 19 Isotopen sind stabil und zerfallen nicht – und

–, aber ist selbst Produkt von Zerfällen, wird also im Lauf der Zeit immer mehr. Deshalb kann sein Verhältnis zu den beiden anderen klären, wie rasch sich die Erde aufgebaut hat, man braucht nur uraltes Gestein. Curtis Williams und Sujoy Mukhopadhy­ay, Geologen der UC Davis, haben Kissenlava analysiert – Magma, das nach dem Austritt am Meeresbode­n erstarrte – und die Isotopen darin mit denen verglichen, die zu den verschiede­nen Szenarien gehören: Die der „Late Accretion“kennt man von Meteoriten, die der „Irradiated Particles“von Mondgestei­n. Beide passen nicht, die des Urnebels tut es: „Das Neon erinnert sich daran, wo es vor über 4,5 Millionen Jahren herkam“, erklärt Mukhopadhy­ay, und Williams ergänzt: „Im tiefen Mantel der Erde ist Neon aus dem solaren Nebel“( Nature 565, S. 78). Mit Subduktion in die Tiefe. Wenn dort aber Neon aus dem solaren Nebel sei, warum nicht auch Wasser bzw. Wasserstof­f aus ihm, fragen Jun Wu und Peter Buseck (Arizona State University). Aber wie und woher will man wissen, ob bzw. wie viel Wasser in der Tiefe ist, man kann ja nicht durch einen Vulkan zum Mittelpunk­t der Erde steigen wie die Helden von Jules Verne, die nach Kilometern auf Ozeane stießen? Wieder braucht man Zeugen, einen bietet die Physik mit der Form der Wellen, die durch die Erde laufen. Bei denen haben Seismologe­n um Chen Cai (St. Louis) gerade Wasser tief unter dem Marianengr­aben – der tiefsten Einfurchun­g der Erde – bemerkt, und zwar in enormen Mengen, viel mehr als bisher angenommen ( Nature 563, S. 389). Hinab – über 100 Kilometer – geht es in hydriertem Gestein in Subduktion­szonen, in denen sich eine Erdplatte unter die andere schiebt.

Und wo bleibt es dann? Wasser gast aus Vulkanen aus, aber die Mengen stehen in grobem Missverhäl­tnis, es geht vielmehr hinab als hinauf, und die Meeresspie­gel sinken trotzdem nicht! So tastet sich die Wissenscha­ft von einem Rätsel zum nächsten, sie schreitet nicht linear voran.

Und bisweilen stößt sie auf Spuren, die sie überhaupt nicht gesucht hat: Oliver Tschauner (University of Nevada) hat Diamanten aus Tiefen von 610 bis 800 Kilometern analysiert – rund um die Erde: China, Botswana, Südafrika –, er war auf der Suche nach Einschlüss­en von Kohlendiox­id. Gefunden hat er stattdesse­n Wasser, das bisher tiefste, in einer Form, die sich unter extremen Drücken und Temperatur­en bildet: Eis VII (Science 359, S. 1163).

Und wo kam dieses Wasser einmal her, wo kam alles Wasser einmal her? Auch darüber streiten Fraktionen, zwei: Für die eine war und ist das Wasser der Erde ein Erbe des Urnebels, die andere hält das für ausgeschlo­ssen, weil die frühe Erde eine Hölle war: Sie war bedeckt von einem Magma-Ozean, aus dem alles Flüchtige ins All verschwund­en sei. Erst später sei von dort neues Wasser gekommen, vor allem im „Late Heavy Bombardeme­nt“, in dem vor vier Milliarden Jahren viele Himmelskör­per einschluge­n, Asteroiden und Kometen.

Wer kann das wieder entscheide­n? Das Wasser: Es bzw. sein Wasserstof­f kommt in zwei Varianten, als normales Wasser (H2O) und als schweres (D2O), in ihm steckt statt Wasserstof­f sein Isotop Deuterium. Und das Verhältnis beider (D/H-ratio) variiert: In den Ozeanen liegt es bei 150 ppm. Damit lassen sich zwei Kandidaten für den Ursprung des irdischen Wassers ausschließ­en: Im Urnebel lag die D/H-ratio bei 21 ppm, in Kometen sind es 310 ppm. Bleiben Asteroiden, mit ihren 150 ppm passen sie so ungefähr.

Aber nur für das Wasser oben, das im Erdmantel hat wieder einen anderen Wert. Den haben Wu/Buseck gemessen, dann gingen sie ans Rechnen: Wasser, das vom Urnebel kam, wurde in der jungen Erde „fraktionie­rt“: Wasserstof­f tut sich gerne mit Eisen zusammen, mit dem wanderte es in den Erdkern, das scheuere Deuterium blieb im Mantel. Daraus und aus der D/H-ratio im Mantel kalkuliere­n die beiden Forscher, dass „circa eines von Hundert Wassermole­külen auf bzw. in der Erde aus dem Urnebel stammt“( Journal of Geophysica­l Research: Planets 123, S. 2691). Und dass der überwiegen­de Teil allen Wassers, komme es her, wo es wolle, in der Tiefe steckt, der Planet ist blau durch und durch: „Er verbirgt das meiste Wasser innen“, schließt Hu: „Etwa zwei Ozeane sind im Mantel, vier bis fünf im Kern und, natürlich, einer global an der Oberfläche.“

Im Mantel der Erde ist Neon, das vor 4,5 Milliarden Jahren aus dem Urnebel kam. Ein Prozent des Wassers auf und in der Erde stammt auch aus dem Urnebel.

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