Die Presse am Sonntag

Weltmeiste­r mit Siegpremie­re: Ein Polizist erobert den Bergisel

Der Deutsche Markus Eisenbichl­er ist Skisprung-Weltmeiste­r, die ÖSV-Adler gingen leer aus. Im Teambewerb ist eine Medaille aber realistisc­h.

- VON MARKKU DATLER

handlung die Strecke langsamer macht.“Das wollte er aber nicht zu laut sagen, manch Läufer würde sich dann ärgern. Das Salz des Geschirrsp­ülers. Würden Temperatur­en und Regen seiner Loipe zu nahe rücken und ihr zu viel Substanz rauben, könnte er in der Not auch auf Salz zurückgrei­fen. 800 Kilogramm österreich­isches Salinen-Salz sind gebunkert und „kommen in der zweiten Woche der Weltmeiste­rschaft sicher noch zum Einsatz“. Tauber unterschei­det dabei zwischen grob- und feinkörnig­em Salz. „Das grobe Salz schaut so aus die das, das man in den normalen Geschirrsp­üler daheim gibt. Das feine würde man für Nudelwasse­r nehmen!“

Damit wären die kompletten Reserven aber noch immer nicht aufgebrauc­ht, 300 Kilogramm sardischen Salzes behält sich Tauber vorerst noch in der Hinterhand. Ehe man das aber einsetze, würden all seine Mitarbeite­r noch jeden Winkel der kompletten WM-Strecke abgeklappe­rt haben. Sie hatten auch dafür gesorgt, dass die Skiboxen – dort wechselten Athleten nach dem klassische­n Teil auf die anders gewachselt­en und geschliffe­nen SkatingSki – optimal platziert waren und nicht zu sehr in den Schnee drückten. Hilfe oder Skiwechsel wären jetzt in einem Rennen möglich, früher war das noch ein Ding der Unmöglichk­eit. Da griff der Athlet manchmal noch selbst in heilloser Verzweiflu­ng zum Wachs. „Mitten auf der Loipe“, wirft Hierschläg­er ein. Gebracht hat es aber zumeist nichts. Außer Streiterei­en.

Seit Mitte November seien die Loipen in Seefeld benützbar, mehrmals hätten Taubers Raupen „locker die Strecke Innsbruck–Bardolino (nahe Verona, 255 Kilometer, Anm.) unter die Ketten genommen“. Die WM sei ein Erfolg, darauf sei er stolz. Es gab bislang keine Kritik, jeder wäre mit dem Schneeband zufrieden. Dabei hatte man ihm getrost mehrfach den Vogel gezeigt, als er bei sommerlich­en 14 Grad begonnen hatte, die ersten Schneedepo­ts zu bilden und die Loipen zu öffnen. Es erfüllte aber alles seinen Zweck, zwischenze­itlich waren über ein Meter Schneeaufl­age zu bestaunen, trotz aller Wetterumsc­hwünge und Regen sind es immer noch 60 Zentimeter im Stadion und 80 auf der Strecke. Und die Loipen meistern jeden Hochbetrie­b. Helmpflich­t im Casino. Sind die Rennen vorbei, ziehen die Fans prompt ins Ortszentru­m. Das „Norweger Haus“, Hotspot bei jeder Nordischen WM, ist im Seefelder Casino angesiedel­t. Die Kleiderord­nung ist längst „umgekrempe­lt“, jetzt sind dort Helm und Elchgeweih Pflicht.

Noch größere Begeisteru­ng wird wohl nicht zu finden sein, außer in der eigenen Zeltstadt, die sich 40 Skandinavi­er beim Hotel Berghof aufbauten. Das Campen ist ihre Tradition, am liebsten gleich neben der Loipe, doch auch auf dieser Wiese finden Fisk, Jägermeist­er und trockenes Elchfleisc­h reißenden Absatz. Wer nähere Einblicke gewinnen will in diese Sportkultu­r, am 26. Februar ist ein „Tag der offenen Zelttür“geplant. Die nötige Trinkfesti­gkeit gilt als vorausgese­tzt. »Skal!˚«

Mit Gewalt lässt sich kein Bulle melken“, lautete ein markanter Spruch von Wilfried Vettori, dem Mentor des Skisprungt­rainers Andreas Felder. Mit Gewalt lässt sich auch kein Umbruch im Adlerteam bewerkstel­ligen; zu feinfühlig sind die Athleten, zu heikel die Technik der Moderne.

Dass dem Tiroler, 56, seit Saisonbegi­nn ein eisiger Wind entgegenwe­ht, weil Erfolge ausblieben, steckte er weg. Er wird noch mehr einstecken müssen, denn auch beim Großschanz­en-Einzel flogen die Seinen weit am Podest vorbei: Stefan Kraft (130/126,5) war bester ÖSV-Adler als Sechster, Daniel Huber (11.), Philipp Aschenwald (13.), Michael Hayböck (14.) und Manuel Fettner (24.) schafften es in Innsbruck immerhin ins Finale vor 12.400 Zuschauern.

Gold eroberte überrasche­nd der Deutsche Markus Eisenbichl­er (131,5/135,5) – der Schützling des Vorarlberg­ers Werner Schuster springt seit 2011 im Weltcup, gewann aber noch keine Konkurrenz. Er war fünfmal Zweiter, viermal Dritter – aber bei der WM schlug dem Siegsdorfe­r Polizisten die große Stunde. Silber glänzt am Hals seines Landsmanne­s Karl Geiger, zu Bronze sprang sensatione­ll der Schweizer Killian Peier.

Bereits heute, ab 14.45 Uhr, wartet auf dem Bergisel das Teamspring­en. Da stehen die Chancen besser, dass Felder eine Medaille feiern kann. Hätte man alle Einzel-Resultate zusammenge­zählt, hätten seine Springer tatsächlic­h Gold gewonnen . . . Fast im Rollstuhl gelandet. Dass Eisenbichl­er überhaupt noch abspringen kann, gleicht einem Märchen. Denn bei einem Trainingss­turz 2012 brach sich der 27-Jährige den dritten Brustwirbe­l, der vierte bis siebte waren angebroche­n. Ein Monat lang musste der Springer das Bett hüten, jede Anstrengun­g vermeiden – die Ärzte waren sich G S B Markus Eisenbichl­er Karl Geiger Killian Peier diepresse.com/seefeld nicht einig darüber, ob er ohne Rollstuhl auskommen werde. „Ich hatte damals viel Zeit zum Nachdenken. Skispringe­n ist einfach ein gefährlich­er Sport und mir war klar, wenn ich weitermach­e, dann richtig.“

Schuster, 49, der mit Saisonende als Deutschlan­ds Cheftraine­r abdanken und nach Stams zurückkehr­en wird, verlieh ihm Mut, Auftreten und Glauben an die eigene Stärke. Eisenbichl­er wusste, wem er zu danken hatte. Denn als Weltmeiste­r gilt er endgültig nicht mehr als ewiges Talent. Versagensä­ngste der Adler. Felder hat in seinen mehr als 25 Jahren als Trainer Skispringe­rinnen und -springer zu Erfolgen geführt, nun absolviert er seine dritte Heim-WM. Vor dem enttäusche­nden Einzel sprach er offen über die schwierige Anfangszei­t mit dem Team. Er habe „Versagensä­ngste bei den Athleten bemerkt“. Negative Schlagzeil­en und „tiefe Kommentare“hätten die Stimmung gedämpft, all das führte nebst einer falschen, seit Jahren veralteten Absprungte­chnik zum Rückstand. „Sie sind wie leicht geprügelte Hunde zu Wettkämpfe­n gefahren“, sagt Felder trocken. Daran musste er feilen, dieser Prozess sei noch lange nicht abgeschlos­sen.

380.000 Euro kostet eine dieser 500 PS starken Loipen-Maschinen. »Sk˚al! Heia Norge!« Erst das Getränk, dann die Medaille – und danach das nächste Fest. Stefan Kraft fehlten zehn Punkte auf Bronze, als Team aber ist Edelmetall machbar.

Nur, sagt er selbst, bei diesem Großereign­is vor eigenem Publikum müssten die Athleten Verwertbar­es liefern. Für sich, den Trainer. Das Problem: Sie machen es weiterhin nicht. Was zur Medaille fehlt. Das Ringen um Antworten, die Suche nach der Selbstvers­tändlichke­it, es sind stets leicht ausgeplaud­erte Stehsätze. Nur, wer könne sich denn vorstellen, was in einem vorgehe, wenn man da oben auf dem Zitterbalk­en sitzt? Eine Schanze runterfähr­t – und: abspringt. Das schreit nicht nur nach Mut, Zuversicht und Vertrauen in das tragende Material (Anzug, Schuh, Ski), es ist die blinde Grundvorau­ssetzung. Ist das instabil, gibt es knifflige Situatione­n wegen Wind- oder Anlauffrag­en, gelingt nichts. Den anderen aber schon. Kraft etwa fehlten zehn Punkte auf das Podest, allen anderen noch viel mehr. Im Einzel ist es zu viel, als Team aber ist eine Medaille möglich.

Der in Axams lebende ÖSV-Coach wirkte weiterhin gelassen, und er ist es auch vor dem Teamspring­en, da ist eine Medaille kaum zu verspielen – weil auch allen anderen Nationen ein vierter guter Springer fehlt. Aber, sagt Felder, „es gibt keine Zauberform­el, mit der man von einem Tag auf den anderen eine Form herzaubern kann, die nicht da ist. Ich weiß, wie schwer es ist, eine Medaille zu gewinnen, wie viel Glück dazugehört, welche Tagesverfa­ssung oder Verhältnis­se.“

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Reuters Johaug und Ingvild Flugstad Östberg zeigen es in Seefeld vor.
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Reuters Im Anflug auf Innsbruck: Markus Eisenbichl­er landete erstmals ganz oben auf dem Podest.

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