Das schwere Los der Frau
Elena Ferrante greift in „Frau im Dunkeln“das Thema auf, das sie am besten beherrscht: den weiblichen Kampf um Selbstbestimmung in einer brutalen und von Männern dominierten Welt. Nach dem Sensationserfolg von Elena Ferrantes neapolitanischen Romanen stürzten sich die Verlage auf jedes von ihr davor geschriebene Wort. Nicht immer zu Recht. Umso erfreulicher ist die jüngste Veröffentlichung aus Ferrantes „Vorlass“: „Frau im Dunkeln“, eine Art Destillat aus der neapolitanischen Quadrologie.
Viel Neues darf man sich von Elena Ferrantes früheren Werken nicht erwarten. Sie sind Fingerübungen für den späteren großen Wurf. So auch hier. Die 48-jährige Leda verbringt sechs Wochen am Meer, um in Ruhe zu arbeiten. Ihre erwachsenen Töchter sind in Kanada. Am Strand fällt ihr die junge Mutter Nina auf, Teil einer ordinären, lärmenden neapolitanischen Familie – ähnlich der, aus der sich auch Leda befreit hat. Die Ältere fühlt sich immer mehr zu der schönen Nina hingezogen, verliert aber zunehmend Distanz und die Fähigkeit, ihr Leben von dem Ninas zu differenzieren. Was zu einer folgenschweren Handlung führt.
Leda und Nina vereinen Züge von Ferrantes späteren Schöpfungen Elena und Lila in verschiedenen Lebensaltern, sind Ausdruck der Herausforderung, in einer brutalen und von Männern dominierten Welt Frau zu sein – vor allem, wenn diese Frauen sich nicht mit vorgefertigten Rollen zufriedengeben wollen. Diesen Überlebenskampf tragen die Frauen allerdings auch untereinander mit einer Härte aus, die sie nicht unbedingt zu Sympathieträgern macht. Ferrante-Fans werden sich über „Frau im Dunkeln“freuen. Elena Ferrante: „Frau im Dunkeln“, übersetzt von Anja Nattefort, Suhrkamp, 188 Seiten, 22,70 Euro