»Die Realität ist nicht so simpel«
Regisseur und Schauspieler Joel Edgerton spricht über seinen neuen Film, „Der verlorene Sohn“, und seine ernüchternden Erfahrungen bei den Recherchen zu den Umerziehungsprogrammen für Homosexuelle. Was die Zukunft angeht, ist er eher optimistisch.
In einigen Gegenden der USA ist die sogenannte Reparativtherapie bis heute verbreitet. Mit ihren Methoden versprechen selbsternannte Heiler Homosexuellen, ihre vermeintlich aus einer Sünde heraus entstandenen Neigungen in den Griff zu bekommen. Meist wenden sich die Eltern an diese Menschen – so auch in „Der verlorene Sohn“(seit Freitag im Kino). Genau solche Eltern, für die die Homosexualität ihres Sohnes eine furchtbare Vorstellung darstellte, waren auch die des Teenagers Garrard Conley, der über seine Erfahrungen ein Buch schrieb.
In „Boy Erased“schildert er die wenigen Tage seines Aufenthalts in einer therapeutischen Einrichtung für Schwule und Lesben. Zu sehen, wie die angewendeten Methoden funktionieren und die Homosexuellen ihre Neigungen selbst immer abstoßender finden, darin steckt die große Intensität und Brutalität des Films. Regisseur Joel Edgerton, der zuletzt mit dem Psychothriller „The Gift“auf sich aufmerksam machte, hat daraus seinen Film gemacht. Der Australier im Interview. Einen schwierigen Stoff haben Sie sich da ausgesucht . . . Joel Edgerton: Vielleicht hat sich der Stoff mich ausgesucht. Die Faszination für diese Geschichte begann, als ich das Buch gelesen habe, auf dem der Film basiert. Ich begann, mich mit zahlreichen Aktivisten zu treffen, und mir wurde die Dimension der Ungerechtigkeit klar, die vielen Menschen aus dieser Community widerfahren ist. Und ich wollte schon immer Filme machen, die nicht nur unterhalten, sondern auch etwas bewirken und einen positiven Effekt auf das Leben mancher Menschen haben können. Haben Sie eigentlich auch die Eltern von Garrard getroffen? Ja, nicht nur die Eltern. Ich habe auch Garrards alte Schule und Umgebung besucht, um ein Gefühl für sein Leben und seine Sozialisierung zu bekommen. Mein Ziel war es, sämtliche Blickwinkel nachzuvollziehen und zu verstehen. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater haben mich im Übrigen darin unterstützt, diesen Film zu machen. Es gab nicht den geringsten Widerstand. Der Vater war nur etwas irritiert, als er gehört hat, dass er von Russell Crowe und seine Frau von Nicole Kidman gespielt wird. Da wurde ihm klar, dass dieser Film etwas Größeres wird und viel Aufmerksamkeit erzeugen dürfte. Das Buch selbst war ja kein Weltbestseller. Sie haben sich sehr genau an das Buch gehalten, was bei einem kommerziellen Hollywoodfilm nicht unbedingt üblich ist. Weil es mir sehr wichtig war, keinen der Charaktere zu dämonisieren. Garrards Eltern haben ihn ja nicht dieses Programm durchlaufen lassen, weil sie ihn hassen, sondern weil sie ihn lieben. Ihre Entscheidung war ein Akt der Liebe, und diese Erkenntnis war für mich eine der wichtigsten, nachdem ich das Buch gelesen hatte. Sie dachten wirklich, er nimmt an diesem Programm teil und kann danach ein glückliches Leben führen. Eines, das mit dem Christentum, wie sie es verstehen, vereinbar ist. Alle Charaktere mit derselben Empathie zu behandeln war eine Grundvoraussetzung für diesen Film. Denn es wäre zu einfach gewesen, eine klassische Heldengeschichte mit Guten und Bösen zu erzählen. Denn leider ist die Realität nicht so simpel. Oder zum Glück ist sie das nicht. Gab es bei den Recherchen zu dieser sogenannten Reparativtherapie etwas, das Sie besonders verstört hat?
1974
wurde Joel Edgerton in Blacktown City im australischen Bundesstaat New South Wales geboren. Er begann seine Karriere im Theater und Fernsehen, wechselte später ins Kino. Mit Rollen in Filmen wie „Midnight Special“und „Loving“(beide 2016) etablierte er sich als Charakterdarsteller. Zuvor übernahm er auch in kommerziellen Filmen wie etwa „Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger“kleinere Rollen. Parallel dazu führte er Regie.
2015
gelang ihm mit „The Gift“ein Achtungserfolg als Drehbuchautor und Regisseur. In dem Thriller spielt er neben Jason Bateman die zweite Hauptrolle. „Der verlorene Sohn“ist sein zweiter großer Film, in dem er eine Hauptrolle spielt und bei dem er das Drehbuch schrieb sowie Regie führte.
Florian Asamers Kolumne »Walk of Häme«
erscheint am 3. 3. 2019 wieder. Vielleicht die Fake-Begräbnisse, ohne jetzt zu viel aus dem Film verraten zu wollen. Oder die Behauptungen, dass Homosexualität meistens zur Aidserkrankung führt und die Chancen höher sind, ein Kinderschänder zu werden. Auf manchen Websites steht allen Ernstes, dass man beispielsweise bei Homosexuellen-Demonstrationen meistens nur deshalb junge Menschen sehen würde, weil die älteren schon tot oder todkrank seien. Können Sie sich das vorstellen? Wie kommt man auf solche Theorien? Angesichts solcher Geschichten kann man nur erahnen, unter welchem Druck Schwule und Lesben stehen müssen, die in solchen Milieus aufwachsen. Damit sprechen Sie den Kern der Sache an. Wie viele Jugendliche sind stark genug, um alles hinter sich zu lassen und ein selbstbestimmtes Leben in einer neuen Stadt zu beginnen? Wenn man dir mit 16 sagt, dass du dein Zuhause, deine Familie und deine Freunde aufgeben musst, solltest du deine Homosexualität, mit der du geboren wurdest, ausleben wollen, musst du schon sehr stark sein, um trotzdem auszubrechen und nach New York, San Francisco oder Sydney zu ziehen. Nicht viele dürften diese Stärke und das Selbstbewusstsein haben . . . Ich selbst hätte sie wahrscheinlich bis in meine Endzwanziger nicht gehabt. Als Kind bestand meine größte Angst, die sich auch in Albträumen zeigte, darin, mir Situationen vorzustellen, in denen mir meine Freiheit genommen wurde. Also beispielsweise Krieg, Gefängnis, Sekten, die Besetzung der Erde durch Außerirdische und von meinen Eltern getrennt zu werden. Diese Aussichten wurden dann auch die Basis für meine einfachen Gebete als kleiner Bub, der in einem durch und durch katholischen Umfeld groß wurde. Welche Erfahrungen haben Sie eigentlich in Hollywood zu diesem Thema gemacht? Es soll immer noch Schauspieler und Schauspielerinnen geben, die auf ein Coming-out verzichten, weil sie sich Sorgen machen, manche Rollen nicht mehr zu bekommen. Beispielsweise die Rolle des klassischen Liebhabers. Dieses Phänomen existiert, und es stimmt mich ehrlicherweise ziemlich traurig. In der Kunst, ganz besonders beim Film, braucht es nun einmal ein Publikum. Und die Studios haben wohl Angst davor, dieses Publikum nicht zu erreichen, wenn sie gewisse Rollen mit Homosexuellen besetzen. Selbst dann, wenn sie selbst gar nicht homophob sind. Klingt ernüchternd. Meine Hoffnungen liegen hier in den kommenden Generationen. Junge Menschen mit weniger Ängsten und Schranken in ihren Köpfen, die früher erfolgreich bzw. selbstständig werden als noch meine Generation, und etwas verändern wollen. Bis vor einigen Jahren haben sich rund zehn Prozent der Bevölkerung der LGBTQ-Community zugehörig gefühlt, mittlerweile sind es angeblich schon 22 Prozent. Das zeigt mir, dass sich in der Gesellschaft etwas verändert und mehr Menschen den Mut haben, zu sich zu stehen. Und das wiederum gibt Anlass zu Optimismus. Und vielleicht Filme wie „Der verlorene Sohn“. Vielleicht. Wenn die Zuschauer meinen Film sehen, hoffe ich, dass sie spüren können, wie viel Leidenschaft und Detail-Liebe ich in dieses Projekt gesteckt habe. Und obwohl wir alle sehr verschieden sind, ist die eine wesentliche menschliche Emotion, die uns alle ausmacht und verbindet, die Liebe. Die Liebe wird sich immer durchsetzen, sie wird immer gewinnen. Darum geht es in diesem Film.