Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Sicherungs­haft. Wird der Staat wirklich sicherer, wenn er Menschen für Verbrechen einsperren darf, die sie noch nicht begangen haben und vielleicht nie begehen werden?

Die strenge Achtung der Rechte der Bürger macht eine Gesellscha­ft auf der Langstreck­e stark. Auch wenn sie auf der Kurzstreck­e hinderlich ist. Die Sicherungs­haft, wie sie nun von der Bundesregi­erung propagiert wird, ist daher von großer Brisanz. Sie wäre eine Abkehr von einem bisher gut geschützte­n Rechtsprin­zip: Wer (noch) nichts getan hat, darf auch nicht eingesperr­t werden.

Die wenigen, gut begründete­n Ausnahmen fransen nun aus. Deutsche Bundesländ­er haben schon länger Präventivv­erwahrunge­n eingeführt, etwa für Hooligans. Musste anfangs noch klar erkennbar sein, dass jemand die öffentlich­e Ordnung stören will, so reicht es in Bayern seit 2017, dass ein Richter irgendeine „drohende Gefahr“sieht, damit ein Bürger hinter Gitter wandert und dort bleibt.

Nun kommen wir auch in Österreich dahin. Dabei gibt die Ermordung eines Dornbirner Amtsleiter­s als Anlassfall wenig her. Eigentlich müsste man fragen, warum der mutmaßlich­e Täter nicht wegen Nichtachtu­ng seines Aufenthalt­sverbots in Haft genommen wurde. Es ist sehr fraglich, ob man aus seiner Vergangenh­eit und seinem Gemütszust­and den Schluss hätte ziehen können, ihn in Haft nehmen zu müssen, um ein Schwerverb­rechen zu verhindern. Natürlich denken nach einer solchen Tat viele wie der SP-Grande, Hans Peter Doskozil, der im Radio gesagt hat: Wenn ein Psychologe bei einer Person eine Gefahr sehe, dass jederzeit eine strafrecht­liche Handlung möglich sei, sei dringender Handlungsb­edarf gegeben. Aber ein ängstliche­r Psychologe sieht schnell eine Gefahr. Und warum haben wir das Ganze nicht etwa im Herbst diskutiert, als ein seit Langem psychotisc­her Wiener seinen Vater erstochen hat, den er für den Teufel hielt? Vielleicht, weil es jetzt eh nur um einen Asylwerber geht?

Es gibt keinen sachlichen Grund, nur Flüchtling­e wegen einer Gefahr einzusperr­en, die auch von Österreich­ern ausgehen kann. Ein Staat, der sich angewöhnt, Rechte willkürlic­h zu handhaben, wird am Ende aber sowieso alle sicherungs­verwahren. Auch Sie oder ich werden hinter Gitter wandern, wenn ein Psychiater und ein Richter das für sicherer halten. Selbst die Mutter aller Überwachun­gsstaataus­reden ist dann passe:´ „Wer nichts angestellt hat, muss sich auch nicht fürchten.“

Der Respekt vor Recht und Freiheit macht eine Gesellscha­ft stark. Daher ist es die Lieblingss­trategie aller Staatsfein­de, Angst zu säen, damit die folgende Erosion der Gerechtigk­eit den Zusammenha­lt zerstört und die Gesellscha­ft sturmreif macht. Wer da mitspielt, tastet seine Sicherheit an, statt sie zu erhöhen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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