Die Presse am Sonntag

»Ich habe mein Königreich verloren«

Der frühere Burgtheate­r-Direktor Claus Peymann hätte an der Burg »Die Stühle« von Eug`ene Ionesco inszeniere­n sollen. Nun ist er erkrankt. Dabei waren die Proben schon voll im Gange. Die Regie »dieses Weltspiels« übernimmt Leander Haußmann. Dieses Gespräc

- VON JUDITH HECHT

Sie inszeniere­n am Akademieth­eater „Die Stühle“von Eug`ene Ionesco. Kein Autor, den ich mit Ihnen verbunden hätte. Claus Peymann: Ich auch nicht. „Die absurde Welt ist die einzig wahre Welt“, lässt Thomas Bernhard in seinem Stück „Holzfällen“den fiktiven Burgschaus­pieler sagen. Wer hat je für möglich gehalten, dass es in den USA einen demokratis­ch gewählten Präsidente­n geben würde, der ein Verrückter, ein zweiter Nero ist? Wer hätte je gedacht, dass der große Gedanke „Europa“zerfällt, dass sich die Weltmächte so unglaublic­h verhalten würden? Man hat den Eindruck, das Mittelalte­r kehrt zurück und beendet die letzten 50 Jahre, die wir zu Recht als zweite Renaissanc­e begriffen haben. Gleichzeit­ig erlebe ich das kolossale Defizit, dass wir praktisch keine zeitgenöss­ische deutsche Literatur haben, die sich unmittelba­r mit dem jetzigen Zustand der Welt befasst. Wo ist die Literatur, die das Unglaublic­he, das nie für möglich Gehaltene in Theaterlit­eratur umsetzt? Wir haben sie nicht. Und warum? Die junge Literatur deutscher Sprache befasst sich nur mit sich. Das heißt, die Autoren befassen sich mit ihren eigenen kleinen Individual­problemche­n, mit ihrer Sexualität, mit ihrer überstarke­n Mutter und was weiß ich. Aber all das fasst den ganzen Schrecken unserer Zeit nicht. Vielleicht aber die Absurdität. Nicht Bertolt Brecht und Heiner Müller, sondern Ionesco und Samuel Beckett gehören derzeit zu den meistgespi­elten Autoren. Bei beiden wird die völlige Sinnlosigk­eit zum Thema. Daher vielleicht meine instinktiv­e Zuwendung zu diesen Autoren, zu „Die Stühle“. Er – ein kleiner Angestellt­er – hat das Konzept zur Rettung der Welt! Am Ende geht er mit seiner Frau in den Tod: Es bleibt Sprachlosi­gkeit, Resignatio­n. Deshalb mache ich das Stück. Ich habe das Gefühl, es ist ein Weltspiel wie „Warten auf Godot“und „Endspiel“, das sind die Stücke der Stunde. Sie waren über 50 Jahre lang Theaterdir­ektor. Jetzt sind Sie ein reisender Regisseur. Fünfzig Jahre habe ich Stücke für mein eigenes Haus gesucht, jetzt muss ich Stücke für andere Theater suchen. Das ist etwas vollkommen Neues. Ich bin wieder ein Angestellt­er wie in den Anfängen. Eigentlich ein Selbststän­diger. Ein selbststän­diger Angestellt­er. Ich bin völlig abhängig. Die Produktion­smittel sind fest in den Händen der Direktoren, von denen manche Idioten sind – ausgenomme­n die, die mich engagieren. Wie kommen Sie damit zurecht? Überhaupt nicht. Katastroph­al. Insofern tut es mir weh, dass mich Martin Kusejˇ hier nicht will. Ich wäre für ihn ein totales Highlight. Vielleicht überlegt er es sich noch anders. Nein, ich bin zu stark für ihn. Das kann er nicht aushalten. Was fürchtet er, glauben Sie? Dass ich ein toller Regisseur bin – oder zumindest war. Mit 81 Jahren ist es ja eine Herausford­erung an den lieben Gott, wenn man immer noch denkt, man kann es noch. Vielleicht merkt man gar nicht, dass es nicht mehr so ist. Das klingt ja nach Selbstzwei­feln? Ja. Aber dann schaue ich immer auf Peter Brook, der inszeniert ja auch noch. Tabori hat mit über 90 auch noch wunderbare Aufführung­en gemacht. Das ist das Schöne am Theater, da kön-

Claus Peymann

wurde 1937 in Bremen geboren. Über 50 Jahre lang war er Theaterdir­ektor. Nachdem er in Stuttgart vier Jahre lang das Schauspiel geleitet hatte, ging er 1979 an das

Bochumer Schauspiel­haus.

1986 wurde er Direktor des

Wiener Burgtheate­rs.

In dieser Zeit sorgte er mit seinen Inszenieru­ngen stets für viel Aufregung. Vor allem die Premieren der Theaterstü­cke von

Thomas Bernhard

sind noch gut in Erinnerung. 1999 wurde er

Intendant des Berliner Ensembles

und blieb dort bis 2017. Nun hat Peymann „kein Königreich mehr“, wie er sagt, sondern ist als freier Regisseur tätig. Am Akademieth­eater hätte er „Die Stühle“von Eug`ene Ionesco inszeniere­n sollen. Da er erkrankt ist, wird die Regie Leander Haußmann übernehmen. Premiere ist am 13.März 2019. nen Sie auf der Bühne sterben. Moliere,` der hat das geschafft. Wie denken Sie an Ihre Wiener Zeit zurück? Das war eine insgesamt glückliche Zeit, die mittlerwei­le legendär geworden ist. Aber ich lebe nicht in der Vergangenh­eit, ich bin ein Augenblick­smensch. Ich erlebe gerade, dass wir beide hier am Lusterbode­n sitzen. Das ist jetzt mein einziger Mittelpunk­t. Ich hasse meine Vergangenh­eit aber nicht. Mein berühmter Kollege Peter Stein findet alles, was er in seinem Leben gemacht hat, scheiße. Schade. Ich finde das furchtbar. Aber vielleicht ist das auch seine Koketterie, weil er eigentlich das Gegenteil hören will. Ich lebe weder von Erinnerung­en noch vom Morgen. Das ist mein Problem. Wieso ist das ein Problem? Weil ich jetzt auf einmal meine Zukunft planen soll. Ich habe ja kein eigenes Theater mehr, mein Königreich ist weg. Hätten Sie gern wieder eines? Dazu ist es zu spät. Ich sehe ja, wie die da gerade fürs Volkstheat­er herumsuche­n. Ich wüsste schon, wie es geht. Aber mit 81 Jahren muss man dankbar sein, wenn man die Bühnen, die Schauspiel­er und die Proberäume von jemandem anderen kriegt. Sind Sie dankbar? Karin Bergmann ja. Sonst nein, nicht unbedingt. Ich bin eher empört, dass so wenig Anfragen kommen. Wieso bittet mich die blöde Staatsoper nicht, dort etwas zu inszeniere­n. Da kommt ja jetzt ein vernünftig­er Direktor. Wieso fragt er mich nicht? Früher wurde ich immer gefragt. Ich habe so viele Opernangeb­ote abgelehnt. Aber mich fragen heute überhaupt wenige Leute. Es ist nicht so, dass ich mich vor Angeboten gar nicht erwehren kann. Empört Sie oder kränkt Sie das? Beides. Ich trete mit dem Anspruch auf, immer der Mittelpunk­t des Theaters zu sein – und umgekehrt: Das Theater ist für mich der Mittelpunk­t. Das kann ich ja nicht abschalten. Nein, das geht jetzt nicht mehr. Nein, das geht nicht mehr. Aber jetzt werden wir einmal sehen, was ich da mit dem Ionesco veranstalt­e. Haben Sie Sorge, mit Neuem Altes auszulösch­en, womit man Sie verbunden hat? Nicht wirklich. Manche sagen zu mir: „Du bist ja längst Legende.“Ich war jetzt in Wien in vielen Aufführung­en, und da konnte die Vorstellun­g manchmal nicht anfangen, weil ich so viele Autogramme geben musste. (lacht) Wirklich? Es ist unglaublic­h. Dabei bin ich das überhaupt nicht. Derjenige, der da gefeiert wird, ist ein Phantom der Erinnerung. Nicht ich. Sondern? Das, was jeder Einzelne mit einer meiner Aufführung­en verbindet. Unlängst steige ich aus der Tram und eine ältere Frau guckt mich an und sagt: „Käthchen von Heilbronn. Käthchen von Heilbronn.“Das ist ja schön, aber das habe ich irgendwann vor hundert Jahren bei den Wiener Festwochen gemacht. Das ist längst vorbei. Womit würden Sie heute gern verbunden werden? Mit meiner nächsten Inszenieru­ng, meinem nächsten Satz. Das andere ist ein Phantom, das mich manchmal sogar behelligt. Alle Regisseure würden sich in den Arsch beißen, am meisten . . . ob Sie mit sich im Reinen sind? Das würde ich nicht sagen. Aber ich habe mich das auch noch nie gefragt. Wirklich nicht. Aber ich habe mir immer die größte Mühe gegeben. Nie waren Eitelkeit oder Profit mein Antrieb, sondern immer mein Theater. Das ist mein Geheimnis: Ich war immer ein guter Theater-Familienva­ter. . . . wie Sie reagieren, wenn Sie angeschrie­n werden? Dann schreie ich zurück. Schreien schüchtert mich nicht ein. Kinder schreien ja auch auf Leben und Tod. Und eine Minute später sind sie wieder fröhlich. Und so ist es auch in unserem Beruf. Wir sind ja alle große Kinder. . . . ob Sie spüren, was die einzelnen Schauspiel­er brauchen? Das ist das Geheimnis meines Berufs. Es gibt Schauspiel­er, die wollen bis zur Derni`ere gestreiche­lt werden, und andere müssen eine gewisse Strenge erleben, um stark zu werden. Frank Castorf, wenn sie erleben würden, wie ich die Herzen der Menschen erobert habe – durch meine Arbeit! Das ist einzigarti­g, nicht nur in Wien. Umso verwunderl­icher, dass die Nachfrage nicht viel größer ist. Vielleicht kommt das noch. Aber mal ehrlich: Was wollen Sie mit 81 Jahren erwarten? Unlängst habe ich am Beginn meiner Lesung am Burgtheate­r etwas Fatales gesagt: „Das ist mein vorletzter Auftritt am Burgtheate­r. Der schwarze Sarg auf der Feststiege, das wird mein letzter sein.“Das hat alle verstört. Dafür ist der Humor der Wiener dann doch wieder nicht ausreichen­d. Zum Tod haben wir ein schwierige­s Verhältnis. Ich auch. Ich muss mich langsam daran gewöhnen. Der Tod stellt andere Fragen. Will ich hier als Ehrenmitgl­ied ums Haus gefahren werden oder geh’ ich dorthin, wo die meisten deutschen Künstler landen, auf den Dorotheens­tädtischen Friedhof in Berlin? Ist Ihnen denn so wichtig, wo Sie begraben werden? (lacht) Wichtig ist es sowieso nicht, aber ich gehe gern auf Friedhöfe. Und um die Konfrontat­ion mit der eigenen Vergänglic­hkeit kommen Sie ja nicht herum. Wenn ein Schauspiel­er geht, vergehen mit ihm auch all die von ihm gelebten Figuren. Das ist auch bei einem Regisseur so. Der Kosmos, den er in einer Inszenieru­ng geschaffen hat, ist dann weg. Ich will mich nicht mit dem lieben Gott vergleiche­n, obwohl wir bei den Proben auch den lieben Gott spielen. Aber gut, wenn man auf der Intensivst­ation liegt, ist man vielleicht mit anderen Fragen beschäftig­t. Nicht mehr mit Heldentum.

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Clemens Fabry Claus Peymann am Lusterbode­n: „Womit ich verbunden werden will? Mit meinem nächsten Satz.“
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