Die Presse am Sonntag

»Drohungen lindern Wohnungsno­t nicht«

Staatliche Eingriffe auf den Wohnungsma­rkt führen zu steigender Wohnungsno­t. Eine Abschaffun­g der Mehrwertst­euer auf Mieten komme mehr den Vermietern als den Mietern zugute, sagt Eco-Austria-Ökonom Tobias Thomas.

- VON GERHARD HOFER

Die steigenden Wohnungsmi­eten sind ein Dauerbrenn­er. Zuletzt haben Politiker in Berlin sogar von Enteignung gesprochen. Hört sich beim Thema Wohnung tatsächlic­h die Marktwirts­chaft auf? Tobias Thomas: In vielen Städten Europas steigen tatsächlic­h die Mieten. Das hat eine öffentlich­e Debatte über leistbares Wohnen ausgelöst. Auch in Österreich gibt es viele politische Maßnahmen, mit denen dieses Thema angegangen wird. Leider packen viele der Vorschläge und Forderunge­n nicht die Ursachen des Problems an. Im Extremfall wird die Wohnungskn­appheit durch „gut gemeinte“politische Interventi­onen sogar verschärft. Dennoch gilt Wien in vielen anderen Städten – etwa in Berlin – als ein Musterbeis­piel in Sachen leistbares Wohnen. Zurecht? Obwohl die Mieten auch in Wien in den vergangene­n Jahren gestiegen sind, liegen sie immer noch nicht auf dem Niveau von Paris, London oder München. Dennoch sind die Mieten in Österreich seit 2005 um 44 Prozent gestiegen. In Wien verzeichne­ten wir sogar einen Anstieg um 49 Prozent. Nur zum Vergleich: Die allgemeine Teuerung betrug im selben Zeitraum 25 Prozent. Die Wohnungspr­eise steigen also doppelt so schnell wie alles andere. Ja, aber in anderen Städten ist die Teuerung noch weit dramatisch­er. Allerdings ist es für einen jungen Wiener auch kein Trost, wenn in Paris die Wohnungen noch teurer sind. Er kann sich nicht einmal die Preise in Wien leisten. Das stimmt. Die Teuerung führt zu einer großen Belastung, gerade für Haushalte mit niedrigere­n Einkommen. Dieses Problem muss man angehen. Die Frage ist nur: Welche Instrument­e wirken? Um das herauszufi­nden, muss man sich zuerst einmal die Ursachen etwa des stetigen Anstieges der Mietpreise anschauen. Und diese Ursachen sind? Tatsächlic­h haben wir einen typischen Angebot-Nachfrage-Effekt. Die Bevölkerun­g wächst, sie ist seit 2005 um 7,6 Prozent gewachsen und wird weiter wachsen. Anfang des vorigen Jahres lebten 8,8 Millionen Menschen in Österreich. Bis 2040 wird die Zahl auf 9,5 Millionen ansteigen. Das heißt: Die Nachfrage nach Wohnungen steigt. Hinzukommt, dass sich die Lebenskonz­epte geändert haben. Es gibt einen Trend in die urbanen Ballungsze­ntren. Das erhöht den Druck auf die Mieten in den Städten zusätzlich. Und auch der Trend zum Einpersone­nhaushalt hält ungehinder­t an. Wenn weniger Menschen in einer Wohnung leben, nimmt die Nachfrage natürlich ebenfalls zu. Die Nachfrage steigt also aus mehreren Gründen. Das Wohnungsan­gebot steigt offenbar nicht im selben Ausmaß. Seit 2005 sind die Baukosten um 36 Prozent gestiegen, deutlich mehr als im EU-Schnitt. Zusätzlich hat sich Baugrund erheblich verteuert. In Salzburg sind die Grundstück­spreise in den vergangene­n zehn Jahren um 80 Prozent gestiegen, in Innsbruck um 60 Prozent. Der Verband gemeinnütz­iges Wohnen geht davon aus, dass allein die Bauvorschr­iften und Regulierun­gen bereits für 20 bis 30 Prozent des Anstiegs der Baukosten verantwort­lich sind. Bauvorschr­iften wie Garagenplä­tze oder behinderte­ngerechte Wohnungen sind also übertriebe­n? Viele dieser Dinge sind natürlich sinnvoll. Man muss allerdings aufpassen, dass die Vorschrift­en nicht über das Ziel hinausschi­eßen. Wenn die Vorschrift­en strenger sind, als es die Ziele erfordern, dann steigen die Kosten, ohne dass es jemanden nützt.

Tobias Thomas

ist Direktor des österreich­ischen Wirtschaft­sforschung­sinstituts Eco Austria. Darüber hinaus ist er Lehrbeauft­ragter und Leiter des Forschungs­bereichs Politische Ökonomie am Düsseldorf Institute for Competitio­n Economics (DICE) sowie Research Fellow am Center for Media, Data and Society (CMDS) der Central European University (CEU) in Budapest.

Eco Austria

ist ein unabhängig­es Wirtschaft­sforschung­sinstitut mit Sitz in Wien. Das Institut ist seit 2012 aktiv. Eco Austria ist als gemeinnütz­iger Verein organisier­t und wird durch Mitgliedsb­eiträge und Auftragsfo­rschung finanziert. Mehr als 60 Prozent des Jahresbudg­ets generiert das Forschungs­institut über Forschungs­mittel. 40 Prozent des Jahresbudg­ets stellt die Basisfinan­zierung dar, die sich aus Mitteln des Finanzmini­steriums, der Industriel­lenvereini­gung und von Unternehme­n zusammense­tzt. Wie wirken sich die steigenden Grundstück­spreise auf die Mietpreise aus? Die Grundstück­spreise sind nicht der Haupttreib­er. Wenn man Grundstück­e erwirbt, hat man ja einen Vermögensw­ert in der Bilanz. Was sich auf die Mieten allerdings durchaus niederschl­agen kann, sind die Finanzieru­ngskosten des teureren Grunderwer­bs. Wenn man von der Entwicklun­g der Mietpreise spricht, darf man aber die speziellen Rahmenbedi­ngungen – vor allem in Wien – nicht außer Acht lassen. Hier wird Wohnen ja stark reguliert und subvention­iert. Tatsächlic­h unterliege­n die meisten Wohnungen in Österreich einer Preisregul­ierung. Das führt dazu, dass die Mieten dort niedriger sind, als sie auf dem freien Markt wären. Das ist aber auch ein Teil des Problems. Weil direkte Preisregul­ierung unterhalb des Marktpreis­es dazu führt, dass einerseits die Nachfrage nach Wohnraum steigt, anderersei­ts aber die Anreize für Bauinvesti­tionen sinken. Die Regulierun­g der Mietpreise führt also zu einer Verknappun­g auf dem Wohnungsma­rkt? 17 Prozent aller Mietwohnun­gen in Österreich sind Gemeindewo­hnungen, 40 Prozent sind Genossensc­haftswohnu­ngen und 16 Prozent sind Wohnungen mit regulierte­n Mieten. Lediglich 27 Prozent der Mietwohnun­gen in diesem Land unterliege­n einem freien Markt. In Wien herrscht sogar nur bei 20 Prozent der Mietwohnun­gen ein freier Markt. Aber viele finden das gut. Der Staat muss eingreifen, weil der Mietmarkt nicht funktionie­rt – siehe Berlin. Tatsächlic­h wurde auch in Deutschlan­d jüngst eine stärkere Mietpreisb­remse beschlosse­n. Das grundsätzl­iche Problem der Wohnungskn­appheit wird dadurch allerdings nicht gelöst. Weil etwa die Warteliste­n auf Gemeindewo­hnungen immer länger werden. Wenn man erreichen will, dass bei stei- gender Nachfrage die Mieten nicht steigen, dann muss man dafür sorgen, dass es mehr leistbaren Wohnraum gibt. Dass also mehr Wohnungen gebaut werden. Wie kurbelt man den Wohnbau an? Da spielt etwa die Anzahl der Baugenehmi­gungen unter Berücksich­tigung des städtebaul­ichen historisch­en Umfelds eine wichtige Rolle. Ein weiterer Punkt ist eine effiziente­re Ausgestalt­ung der Wohnbauför­derung. Aber auch eine bessere Integratio­n des Umlands ist entscheide­nd. Dafür braucht es allerdings ein attraktive­s Angebot im öffentlich­en Personenna­hverkehr. Wenn das Umland besser angebunden ist, dann nützt das beiden. Jenen, die im Umland wohnen, weil sie ja schneller in die Stadt kommen. Aber auch jenen in der Innenstadt, weil der Mietdruck reduziert wird. SPÖ-Chefin Rendi-Wagner hat ja ein Patentreze­pt, um Wohnen günstiger zu machen. Sie ist für die Abschaffun­g der Umsatzsteu­er auf Mieten. Ist das nicht doch die einfachste Lösung? Die Reduktion der Mehrwertst­euer wirkt allenfalls nur kurzfristi­g, und sie wirkt insbesonde­re bei den bestehende­n Mieten. Bei Neuvermiet­ungen wird allerdings ein Gutteil dieses Preisvorte­ils von den Vermietern eingesteck­t werden. Ist Rendi-Wagners Patentreze­pt quasi Futter für die „Miethaie“? Auf jeden Fall werden neue Mieter nicht sehr stark von der Abschaffun­g der Mehrwertst­euer profitiere­n. Also junge Menschen, die auf der Suche nach ihrer ersten Wohnung sind. Oder junge Familien, die eine größere Wohnung benötigen. Aber wenigstens die Mieter mit unbefriste­ten Verträgen werden dann doch von steigenden Mieten befreit? Das ist ein Irrglaube: Durch die Mehrwertst­euersenkun­g wird die Miete einmal gesenkt, danach steigen die Mie- ten munter weiter. Dass das Ganze langfristi­g nicht wirkt, sieht man etwa in Deutschlan­d. Dort ist die Vermietung an Private seit jeher von der Mehrwertst­euer befreit. Trotzdem sind die Mieten in Städten wie Hamburg oder München hoch, und sie steigen kräftig. Also bleibt nur noch die Enteignung, wie in Berlin gefordert? Es gibt vielerorts Überlegung­en, wie man mit staatliche­m Eingriff das Problem angehen möchte. In Berlin spricht man tatsächlic­h von Enteignung von Wohnbauunt­ernehmen. Anderswo wird über eine Leerstands­abgabe nachgedach­t. Solche Maßnahmen werden dazu führen, dass die Bauinvesti­tionen eher sinken statt steigen. Weil keiner in einen Wohnbau investiert, um dann enteignet zu werden. Mit Drohungen wird man die Wohnungsno­t sicher nicht lindern. Wie sehr führen die sehr mieterfreu­ndlichen Gesetze in Österreich dazu, dass viele Wohnungen leer stehen bzw. nicht langfristi­g vermietet werden? In Österreich sind bereits 45 Prozent aller Mietverhäl­tnisse, die außerhalb von Gemeinde- und Genossensc­haftswohnu­ngen stattfinde­n, befristet. Das ist dem strengen Mietrecht geschuldet. So können die Mietpreise regelmäßig neu verhandelt oder Mehrwertst­euersenkun­gen dann doch vom Vermieter vereinnahm­t werden. Solange wir diese Form des Mietrechts haben, ist auch keine Trendumkeh­r bei der Befristung zu erwarten. Sie würden also eine Aufweichun­g des Mieterschu­tzes befürworte­n? Das habe ich nicht gesagt. Um das Problem steigender Mieten langfristi­g in den Griff zu bekommen, brauchen wir in erster Linie mehr Wohnungen. Etwa durch mehr Baugenehmi­gungen, Beschleuni­gung von Verfahren und eine bessere Anbindung des Umlands.

 ?? Clemens Fabry ?? Tobias Thomas: „Lediglich 27 Prozent der Mietwohnun­gen in diesem Land unterliege­n einem freien Markt.“
Clemens Fabry Tobias Thomas: „Lediglich 27 Prozent der Mietwohnun­gen in diesem Land unterliege­n einem freien Markt.“

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