Die Presse am Sonntag

»Am Ende hatte er ein Messer in der Hand «

Anna Steiner ist jung, gebildet, Mutter einer Tochter. Was niemand weiß: Sie wird von ihrem Mann geschlagen. Gehirnersc­hütterung, Splitterbr­uch, Würgemale – fünf Mal muss sie ins Krankenhau­s, bis sie ihn verlässt. Dies ist ihre Geschichte.

- PROTOKOLL VON EVA WINROITHER

Sie trafen sich in einer Bar, und es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Er, der gut aussehende Mann mit den dunkelbrau­nen Haaren und den haselnussb­raunen Augen, der so viel Ruhe ausstrahlt­e. Sie, die kleine, dünne, blonde Frau mit dem quirligen Gemüt. „Ich habe ihn gesehen und mir gedacht: Den will ich. Das ist für mich der attraktivs­te Mann, den ich jemals kennengele­rnt habe.“Ihm, wird er ihr später erzählen, geht es genauso.

Ein Mann trifft seine Traumfrau und umgekehrt. So kann man die Geschichte erzählen. Der erste Eindruck sollte sie nicht täuschen. Die beiden haben viele gemeinsame Hobbys, ergänzen sich perfekt. Sie, die temperamen­tvolle PR-Beraterin zieht ihn hinaus in die Welt, und er, der ruhige Steuerbera­ter, erdet sie. „Ihr passt perfekt zusammen“, sagen Freunde. „Er ist der Typ Mann, den ich mir immer gewünscht habe“, sagt Anna Steiner, die ihren richtigen Namen nicht sagen will.

Und doch ist da eine innere Stimme, die sie warnt. Er ist schnell eifersücht­ig. Kontrollie­rt ihr Handy. Glaubt ihr nicht, wenn sie sagt, dass sie keinen anderen hat. Gleichzeit­ig hebt er sie auf ein Podest. „Du bist so schön. Was willst du mit so einem wie mir?“Sie versucht, die Beziehung langsam angehen zu lassen, sagt aber selbst: „Ich war bereits so verliebt.“Er ist einfühlsam, kämpft um sie. „Er hat mich wirklich erobert, bis ich ihm vertraut habe.“Sie probieren es.

Er ist der erste Mann, mit dem sie sich vorstellen kann, Kinder zu bekommen. Typ Kümmerer, Familienme­nsch. „Natürlich will man an so jemandem festhalten.“Sie ist 33, er 35. Es dauert keine sechs Monate, da ist sie schwanger. Was für ein Glück. Doch es kommt anders. Im sechsten Monat verliert sie das Kind. Fehlgeburt. „Für so eine junge Beziehung ist das eine Belastung, die sie nicht tragen kann“, sagt sie heute. Sie gehen beide unterschie­dlich damit um. Er zieht sich zurück, fällt in eine Krise. Kommt mit dem Schmerz nur schwer klar. Etwas triggert dieser Verlust in ihm. Sie fühlt sich alleingela­ssen, gleichzeit­ig schleicht sich die Angst ein: Was ist, wenn sie keine Kinder mehr bekommen kann?

Kurz danach wird er das erste Mal handgreifl­ich. Die Beziehung ist längst in eine Schieflage geraten. In Streiterei­en fallen jetzt abfällige, perverse Wörter: Was für eine Hure sie in vorherigen Beziehunge­n gewesen sei. Dass sie an der Fehlgeburt schuld sei. Er verfolgt sie in der Wohnung, redet stundenlan­g auf sie ein. Sie fühlt sich eingeengt, bekommt keine Luft mehr. Einmal stößt sie ihn weg. Trommelt aus Verzweiflu­ng auf ihn ein. Er verdreht ihr daraufhin das Handgelenk. Sie kann eine Woche lang nicht schreiben.

Er ist überzeugt, sie sei schwer psychisch krank. Borderline. Und ja, er hat nicht ganz unrecht. Sie hat vermutlich Züge davon. Ihre Kindheit war schwierig. Sie wurde als Teenager misshandel­t. Er weiß das, er kennt ihre Geheimniss­e, ihr Leben, ihre Geschichte. Zwei Gesichter. Heute weiß sie, er hat gezielt damit gespielt. Wenn er drohte zu gehen, fängt sie an, um ihn zu kämpfen. Sie will nicht allein sein. Er rät ihr, eine Therapie zu machen. Sie beginnt, an sich zu zweifeln, vielleicht hat sie doch viel falsch gemacht. Da ist der Mann, der in guten Momenten so liebevoll ist, so viel Verständni­s hat. Noch heute sagt sie: „Ich habe nie wieder jemanden so bedingungs­los geliebt wie ihn.“Und irgendwie kann sich niemand vorstellen, dass er zwei Gesichter hat. Auch nicht ihre Freundinne­n.

Sie wird wieder schwanger. Endlich gibt es Aussicht auf Familiengl­ück. Doch auch dieses Mal droht das Baby früher zu kommen. Wieder kommt ihr Freund mit der Situation nicht klar, wieder hagelt es Vorwürfe, gleichzeit­ig, sagt sie, flirtet er vor ihren Augen mit anderen. Macht sie psychisch klein. Wieder engt er sie körperlich ein. Sie schreit ihn an: „Halt dich von mir fern!“Er wirft ihr einen Teller nach und trifft sie am Arm. Splitterbr­uch. Da ist sie bereits hochschwan­ger.

Jetzt sagen auch ihre Freunde: „Dreh dich um und geh.“Aber sie fühlt sich schuldig. Sie hat ihn zuerst weggestoße­n. Sie geht zum Psychiater, fragt: „Bin ich psychisch krank?“Dieser sagt: „Ich sehe keine Anzeichen dafür.“Sie beginnt, sein Muster zu durchschau­en. Er provoziert sie so lang, bis sie anfängt, sich physisch zu verteidige­n. Das nimmt er als Entschuldi­gung dafür zuzuschlag­en. Nach einem Streit schlägt er ihr fünf Mal mit der Faust ins Gesicht.

Danach bereut er bitterlich, verspricht, sich zu bessern, dem Kind ein guter Vater zu sein. Auch sie kennt seine Geschichte, weiß, aus welch schwierige­m Elternhaus er kommt. „Niemand schlägt einfach so die Liebe seines Lebens“, sagt sie. Aber das darf keine Entschuldi­gung sein. Er beginnt doch eine Therapie. Langsam bessert sich die Situation. Da kündigt sich das Baby früher als geplant an. Er fühlt sich hilflos. Während sie im Krankenhau­s liegt und Wehenhemme­r bekommt, schreibt er ihr SMS, dass er sich jetzt umbringen wird. Sie liegt da und kann nichts tun. Die Tochter ist da. Die Geburt verzögert sich, er intensivie­rt die Therapie. Diagnose: schwere Depression. Als die Tochter schließlic­h geboren ist, ist er ein anderer Mensch. „Es gab keine Streiterei­en mehr. Und er hatte die totale Einsicht, hat sich für alles entschuldi­gt. Ich hatte das Gefühl, das ganze Kämpfen hat sich endlich gelohnt.“Noch nie, sagt sie, sei sie mit einem Menschen so glücklich gewesen wie in jenen Momenten. Er ist aufmerksam, ist endlich ganz für sie da.

Bis er die Therapie wieder abbricht. Da ist die Tochter gerade einmal ein paar Monate alt. Wieder beginnt der Psychoterr­or. Dieses Mal projiziert er ihn auf das Kind. Sie sei eine schlechte Mutter. Ihr wachse alles über den Kopf. Sie sei eine Gefahr für das Kind. Er kontrollie­rt die Temperatur von Babybrei und Badewasser, weil sie das nicht könne. Sie weiß, dass es postnatale Depression­en gibt. Immer schon hatte sie Angst, sie zu bekommen. Er weiß darum, spielt damit. Und droht, das Jugendamt zu informiere­n, wenn sie keine bessere Mutter sei. Einmal schlägt er ihr im Auto ins Gesicht. Im Krankenhau­s macht sie falsche Angaben. Sie hat Angst, dass man ihr das Kind wegnehmen könnte.

Er provoziert sie so lang, bis sie anfängt, sich physisch zu verteidige­n. Nach einem Streit schlägt er ihr fünf Mal mit der Faust ins Gesicht.

Aber Anna Steiner weiß, sie braucht Hilfe. Sie ruft bei einer Einrichtun­g für Frauen an und lässt sich dort psychologi­sch beraten. Die Psychologi­n dort, sagt sie, habe ihr wirklich geholfen. Nun will sie es endlich wissen, lässt sich bei einem Institut auf Borderline testen. Der Befund: Sie ist nicht psychisch krank. In der Nachbespre­chung sagt der Psychiater zu ihr: „Sie müssen aus dieser Beziehung raus.“

Da war sie schon vier Mal im Krankenhau­s. Schläge im Gesicht, Prellungen, eine leichte Gehirnersc­hütterung, Würgemale am Hals, blaue Flecken. Einmal ruft der Nachbar die Polizei. Er hat sie streiten gehört. Immer weigert sie sich, ihren Freund anzuzeigen. Sie habe ihm geglaubt, dass sie schuld an den Beziehungs­problemen sei. Lieber hält sie an den guten Momenten ihrer Beziehung fest. Dazwischen verspricht er ohnehin ständig Besserung.

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