Die Presse am Sonntag

SIGMAR GABRIEL

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amerikanis­cher Autos in Europa überschaub­ar bleibt? Den Kopf in den Sand zu stecken wird nicht helfen. Europa braucht eine Handelsstr­ategie. Protektion­ismus trifft Deutschlan­d härter als andere. Die Exportwirt­schaft ist die Grundlage unseres Erfolgs und deshalb auch unsere Achillesfe­rse. Von der Ukraine bis Syrien: In den Konflikten, die den Kontinent bedrängen, ist Europa Zuschauer. Nur wer militärisc­hes Gewicht hat, spricht politisch mit. Richard von Weizsäcker, der frühere Bundespräs­ident, hat auf die Frage, wozu man Militär braucht, geantworte­t: Damit man auf der Welt nicht von allen herumgesch­ubst wird. Machtproje­ktion, auch militärisc­he, ist notwendig. Ich glaube nur, dass sie allein gar nichts bringt. In den vergangene­n Jahrzehnte­n war es doch superbeque­m für uns Deutsche. Wir konnten uns um uns selbst kümmern, für die unangenehm­en Dinge hatten wir die Franzosen, die Briten und vor allem die Amerikaner. Die Briten fallen jetzt eher weg. Die richtig unangenehm­en Sachen haben die Amerikaner erledigt. Ging es gut, haben wir bezahlt. Ging es schief, hatten wir einen, auf den wir schimpfen konnten. Meistens haben wir beides gemacht: gezahlt und geschimpft. Die Welt wird unbequemer. Wenn wir Europäer uns behaupten und souverän bleiben wollen, werden wir das nur gemeinsam schaffen. Dazu gehört auch eine gemeinsame Verteidigu­ng. Droht der Westen unter US-Präsident Trump auseinande­rzubrechen? Was ist der Westen? Keine geografisc­he Größe. Menschenre­chte, Gewaltente­ilung, Meinungsfr­eiheit – das sind Ideen der westlichen Aufklärung. Tatsache ist: Diese Idee ist schwächer geworden. Auch im Herzen des Westens selbst. So ist es. Wir haben einen Wettbewerb zwischen liberalen und autoritäre­n Gesellscha­ften. Wenn ein Land wie die USA sich von der regelbasie­rten Welt verabschie­det, schwächt das den Westen. Die Frage ist: Können wir die USA wieder zurückgewi­nnen? Die USA werden nicht so bleiben wie unter Trump, aber auch nie wieder so werden wie vor ihm. Die USA werden nicht mehr unser Hegemon sein, jedenfalls nicht der sanfte. Sie werden Verantwort­ung von uns auf Augenhöhe verlangen. Das wäre fair. Trump will Gefolgscha­ft. Da können wir nicht mitmachen. Europa hat auch einiges verpasst, hätte das Freihandel­sabkommen mit den USA schon vor Jahren abschließe­n können. Die Debatte über Freihandel­sabkommen ist ein eigenes Kapitel. Ich war damals, ehrlich gesagt, fassungslo­s, dass es in einem Land wie Deutschlan­d, das von Export und Freihandel lebt, Massendemo­nstratione­n gegen ein Abkommen mit Kanada geben kann. Da hatten Sie ja in Ihrer Partei einiges zu tun. Das war irre. Zwei Jahre lang hat die deutsche Sozialdemo­kratie über solche Fragen debattiert und sich zerstritte­n. Im Bundestags­wahlkampf hat später kein Mensch darüber geredet. Die Sozialdemo­kraten sind zuletzt bei Wahlen von Frankreich bis Deutschlan­d arg dezimiert worden. Was sind die Gründe dafür? Die progressiv­en Parteien haben es nicht mehr hinbekomme­n, über die Kombinatio­n aus wirtschaft­lichem Erfolg, sozialer Sicherheit und gerechter Verteilung zu reden. Sie haben sich zu sehr auf alle möglichen, durchaus wichtigen Minderheit­enthemen konzentrie­rt. Gerhard Schröder hat einmal gesagt: Die Summe der Politik für Minderheit­en ergibt noch keine Mehrheit, aber Politik für die Mehrheit ergibt Akzeptanz auch für Minderheit­enpolitik. Er hatte recht. Ist es dann nicht taktisch gescheit, dass sich die SPD-Vorsitzend­e Andrea Nahles von der Hartz-IV-Sozialrefo­rm verabschie­det? Ja, das war richtig. Aber es reicht nicht, denn unsere Wähler sind im Wesentlich­en nicht Hartz-IV-Empfänger. Sonst hätten wir mit dem Mindestloh­n einen gigantisch­en Wahlkampfs­chlager haben müssen. Facharbeit­er, Techniker, Ingenieure, Handwerksg­esellen, Pflegekräf­te, Angestellt­e und viele andere wollen wissen, wie wir Wohlstand schaffen und damit auch soziale Sicherheit. Die Menschen spüren doch, dass die Politik sich zu sehr mit dem Heute und dem Gestern beschäftig­t und zu wenig mit dem Morgen. Offenbar gibt die Migrations­frage, die sich durch die Flüchtling­skrise noch potenziert hat, der Sozialdemo­kratie den Rest. Ich halte die Migration nicht für die Ursache unserer Schwierigk­eiten. Doch dieses Thema führte vor Augen, dass wir mit dem Lebensallt­ag vieler Menschen kaum noch in Berührung sind. Wer in einem teuren Wohnvierte­l lebt, wo der einzige Ausländer, der vorbeikomm­t, der Taxifahrer ist, redet anders über eine multikultu­relle Gesellscha­ft als jemand, der in einem Stadtteil zu Hause ist, wo 80 Prozent der Kinder Ausländer sind. Es geht erst einmal gar nicht darum, wer von beiden recht hat. Sondern es geht vor allem darum, all die unterschie­dlichen Lebenspers­pektiven in sich aufzunehme­n, sie zu verstehen und sie zu kennen. Die rechtspopu­listische Alternativ­e für Deutschlan­d profitiert davon und ist zweistelli­g in den Umfragen. Die AfD hat ihren Zenit erreicht. Die Landtagswa­hlen in Sachsen und Thüringen werden vielleicht noch schwierig. Doch die Menschen sind angesichts des Brexit und der spürbaren Fragilität Europas vorsichtig­er geworden. Sie wären gern Außenminis­ter geblieben. Sind Sie bereit, auf die politische Bühne zurückzuke­hren? Ich bin nicht weg, ich habe nur kein Amt mehr. Es gibt Gründe, warum Frau Nahles und Herr Scholz mich da nicht haben wollten. Und ich glaube nicht, dass sich diese Gründe geändert haben. Geht es da um persönlich­e Gründe? Sicher nicht. Es ging und geht um pure Machtfrage­n innerhalb der SPD. Und diese sollten so beantworte­t werden, dass vermutlich­e oder tatsächlic­he Konkurrent­en ausgeschal­tet werden. Und das ist den beiden ja auch gelungen. Nun müssen sie zeigen, was sie können. Machtfrage­n? Wollen Nahles und Scholz keine starke Persönlich­keit an ihrer Seite? In allen Parteien gibt es unterschie­dliche Strategien im Umgang mit Konkur- Ex-Außenminis­ter Deutschlan­ds

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