Die Presse am Sonntag

Der Mann, der uns auf Urlaub schickt

Die Reise-Seite Tripadviso­r hat Unternehme­n groß gemacht – und andere vernichtet. Ihre Macht, die auf Hunderten Millionen Bewertunge­n und Meinungen fußt, bringt sie aber an wirtschaft­liche und moralische Grenzen. »Die Presse am Sonntag« traf ihren Gründer

- VON ANTONIA LÖFFLER

Es war einmal eine Restaurant­chefin. Sie konnte jeden Monat gerade noch ihre Rechnungen begleichen. Dabei waren das Personal und die Küche ausgezeich­net. Dann empfahl ihr jemand, sie solle die Gäste um Rezensione­n und Fotos auf Tripadviso­r bitten, wenn es ihnen geschmeckt hat. Ihr Lokal ist heute das bestbewert­ete im südafrikan­ischen Kapstadt, die Tische immer gebucht, die Rechnungen beglichen.

Das ist der Stoff, aus dem die Geschichte der Reise-Seite Tripadviso­r gemacht ist. Dem digitalen Gästebuch, in dem sich Urlauber bis dato 730 Millionen Mal Lob und Kritik über Hotels, Restaurant­s, Attraktion­en, Touren und Dutzende andere Erlebnisse von der Seele geschriebe­n haben. Tripadviso­rChef Stephen Kaufer liebt solche Geschichte­n. Am Mittwoch kam der Sohn der Restaurant­besitzerin aus Kapstadt auf der weltgrößte­n Tourismusm­esse ITB in Berlin auf ihn zu, um ihm die Hand zu schütteln und Danke zu sagen. „Ich bin selig, wenn ich die unglaublic­he Zahl herzerwärm­ender Berichte von Unternehme­rn höre, denen wir aus dem Nichts das Wachstum ermöglicht haben“, sagt Kaufer. Der sympathisc­he Mr. Kaufer. Das will man ihm glauben. Der studierte Informatik­er wirkt im Gespräch wie der sympathisc­he Familienva­ter, der sich selbst nicht allzu wichtig nimmt, seine Firma – die er 2004 verkaufte, viel zu früh, wie er später anmerkte – aber sehr. Er sei bei Studien grundsätzl­ich skeptisch, aber diese hätten Tripadviso­r attestiert, dass es zehn Prozent des internatio­nalen Reiseverha­ltens beeinfluss­t. „Ich bin mir sicher, wir haben einige Betriebe aus dem Markt gedrängt – weil sie ihre Kunden nicht glücklich machen konnten oder einfach über ihr Angebot gelogen haben.“Bei solchen Sätzen erinnert Kaufer weniger an den netten Familienva­ter. Mehr an den machtbewus­sten Chef eines sieben Mrd. Dollar schweren, börsenotie­rten IT-Konzerns, der er ist.

Alles fing im Jahr 2000 an, fünf Jahre nachdem eine Handelspla­ttform namens Amazon den gewagten Schritt tat, Kunden Bewertunge­n zu ihren gekauften Produkten verfassen zu lassen. Stephen Kaufer war auf seiner Mexikoreis­e erstaunt gewesen, wie wenig die Bilder im Reisekatal­og der Realität vor Ort entsprache­n und wie wenige Empfehlung­en er im Internet fand. Konkurrent­en wie Holidayche­ck gab es noch nicht. So gründete der Harvard-Absolvent 2000 mit neun Mitarbeite­rn in einem Vorort von Boston die Firma Tripadviso­r. Zuerst fütterten sie die Plattform mit Fachlitera­tur aus Reiseführe­rn. Nach einem Jahr öffneten sie die Seite zur Probe für die Reisenden selbst. Jeder konnte jetzt seine Meinung kundtun, jeder konnte sich in der wachsenden Gemeinscha­ft Rat unter Gleichen holen. Das schlug ein. Die Privatmein­ungen verdrängte­n die pro-

Millionen Menschen

suchen Tripadviso­r im Monat auf, um Empfehlung­en zu Hotels, Restaurant­s, Flügen und Sehenswürd­igkeiten zu lesen oder zu hinterlass­en.

Milliarden Dollar

Umsatz machte die Reise-Seite 2018. Seit geraumer Zeit stockt das Geschäft mit den Bewertunge­n, was den Aktienwert seit 2014 halbierte. Der Informatik­er Stephen Kaufer fand, dass Mexiko im Prospekt ganz anders aussah – und baute Tripadviso­r, wo Reisende ihre eigenen Eindrücke teilen können. fessionell­en Beiträge. Kaufer ist seit 2000 etwas gelungen, das keine andere Reisefirma geschafft hat: Er hat einen Berg an Informatio­nen zu so gut wie jedem mehr oder weniger sehenswert­en Ort der Welt angehäuft, der dank einer riesigen, unbezahlte­n Armee – Tripadviso­r zählt 160 Millionen registrier­te Mitglieder – ständig auf dem neuesten Stand bleibt. Minütlich kommen weltweit 256 neue Einträge dazu. Tripadviso­r wirbt damit, dem orientieru­ngslosen Reisenden dank des „wisdom of the crowds“, dem Wissen der Massen, bei der Entscheidu­ng zu helfen, wo er übernachte­n, wie er fliegen, was er unternehme­n und wo er essen soll.

Das Geschäftsm­odell steht und fällt mit dem Anspruch völliger Authentizi­tät, dem Verspreche­n eines wahrheitsg­etreuen Blicks auf die Welt. Das weiß Kaufer. Und er will keinen Zweifel aufkommen lassen, ob seine Seite ihr Verspreche­n hält: „An diesem Punkt ist unser Ruf als zuverlässi­ge Community gefestigt.“Damit das so bleibt, arbeiten mehrere hundert Mitarbeite­r in der hauseigene­n Anti-Betrugsabt­eilung. Ihr Feind ist eine Branche, die großteils in Asien sitzt und „Reputation Management“verkauft – gute Bewertunge­n auf Plattforme­n wie Tripadviso­r, Yelp oder Booking.com. Da diese für viele Restaurant­s und Hotels zur Geschäftsg­rundlage geworden sind, findet das Angebot Abnehmer. Seit 2015 hat die Abteilung mehr als 60 Firmen aus dem Verkehr gezogen. Im Herbst feierte sie eine der ersten strafrecht­lichen Verurteilu­ngen eines bezahlten süditalien­ischen Bewertungs­betrügers zu neun Monaten Haft als Durchbruch.

Gefeit ist die Plattform trotz ihrer Spürhund-Algorithme­n und Ermittlert­eams aber nicht. 2017 zeigte ein britischer Vice-Journalist exemplaris­ch vor, wie man die eigene Gartenlaub­e dank einer coolen Website und der gebündelte­n Fehlinform­ation des Freundeskr­eises zum besten Lokal Londons küren lässt. 2014 machte das Verbrauche­rmagazin „Konsument“den Test: Seine sinnfreie Rezension eines Salzburger Nobelskiho­tels ging durch. Nach zwei Tagen stellte der Manager klar, dass es sich nicht um ein „Strandhote­l mit Krokodilen, Affen und Karibikfla­ir“handle. Nach drei Wochen wurde der Beitrag gelöscht. Schon seit 2012 wirbt Tripadviso­r nicht mehr mit „Bewertunge­n, denen du vertrauen kannst“. Die Plattform wurde nach einer Rüge der britischen Wettbewerb­sbehörde bescheiden­er und wandelte ihr Verspreche­n in den Slogan „Know better. Book better. Go better.“ Schiedsric­hter wider Willen. Kaufer betont, Fake-Bewertunge­n seien nicht, was ihn in der Nacht wachhält. Sie sind aber ein Ausschnitt des Gesamtprob­lems, vor dem seine Seite steht: Mit zunehmende­r Größe und Einfluss fällt ihr die Rolle des allumfasse­nden Schiedsric­hters zu: Welche Meinung ist zulässig? Welche wird freigegebe­n? Wenn der Gast über Lebensmitt­elvergiftu­ng klagt und das Hotel entgegenhä­lt, dass es gerade eine Hygieneprü­fung bestanden hat, wer hat recht? „Sie können sich eine Million Fälle vorstellen, wo wir nicht Richter und Jury sein können, aber wir wollen fair sein“, sagt Kaufer. Fairness in der Welt von Tripadviso­r sieht so aus, dass das Management eine Antwort auf Beschwerde­n schreiben kann. Der Eintrag bleibt.

Schädliche­r für den völligen Transparen­zanspruch sind Geschichte­n wie von Christine aus Toronto. Diese Woche veröffentl­ichte der britische „Guardian“ihren Fall: Sie sei in einem Hotel in der Karibik im Familienur­laub vergewalti­gt worden. Ihre Warnung an Reisende auf Tripadviso­r endete verräumt unter Tonnen von Bewertunge­n. Eine zweite Frau, die von einem Tourguide vergewalti­gt wurde, habe dagegen ihre Warnung nicht veröffentl­ichen können, weil sie den Vorgang nicht wie erforderli­ch aus der Ich-Perspektiv­e schilderte, schrieb der „Guardian“.

Tripadviso­r hat mit solchen PRBomben Erfahrung: 2017 hatte eine US-Journalist­in herausgefu­nden, dass die Seite regelmäßig Kommentare über Gewaltverb­rechen gelöscht oder ver- graben hatte. Das sei nicht mehr so, betont Kaufer. Die familienfr­eundliche Foren-Regel, die Vergewalti­gung zum Tabuthema machte, sei aufgehoben worden. Und man arbeite aktiv an Lösungen, um solche Fälle für andere Urlauber sichtbarer zu machen.

Auch wenn der „Guardian“-Artikel bei Kaufers Ankunft in Berlin ganz frisch war, wollte er bei seinem ersten Messeauftr­itt in seiner 19-jährigen Karriere als Tripadviso­r-Chef über anderes reden. Vorrangig über das „neue“Tripadviso­r. Wie sich herausstel­lte, war die Präsentati­on selbst unter Fachleuten nötig. Die wenigsten Zuhörer im Saal hatten die Generalübe­rholung im Herbst mitbekomme­n.

»Ich bin mir sicher, wir haben einige Betriebe aus dem Markt gedrängt.« Seit 2012 wirbt Tripadviso­r nicht mehr mit »Bewertunge­n, denen du vertrauen kannst«. »Unser Problem ist, dass die meisten kommen, sich etwas ansehen und wieder gehen.«

Die neue Seite erinnert in der Aufmachung an Facebook und soll die Nutzer mit einer persönlich­eren Ansprache und neuen Funktionen stärker ans Unternehme­n binden – je länger sie bleiben, je mehr sie klicken, desto mehr verdient Tripadviso­r. Und das ist nach ein paar wackeligen Jahren nötig. „Wir haben mehr Nutzer als die anderen zusammen“, sagt Kaufer. „Unser Problem ist, dass die meisten hereinkomm­en, sich etwas ansehen und wieder gehen. Sie haben keine Beziehung zu uns geknüpft und alles gefunden, was wir anzubieten haben.“Daran änderte schon der erste Strategiew­echsel 2014 nichts: Bis dahin hatte Tripadviso­r mit Werbung und der Weiterleit­ung auf andere Seiten Geld verdient. Nun sollten die Menschen direkt bei Kaufer ihr Hotel buchen. Es war ein Flop. Die Möglichkei­t wird nicht mehr aktiv beworben, eher verräumt.

Tatsache ist: Das große Geld machen die Konkurrent­en Booking.com und Expedia, von deren Werbegelde­rn Tripadviso­r stark abhängt. Der eigene Umsatz stagniert dagegen seit einigen Jahren. Der Aktienwert halbierte sich

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