»Wie hat es Ihnen gefallen?«
Bewertungen sind die Währung, an der kein Arzt, Arbeitgeber oder Hotelier vorbeikommt. Kenner sprechen vom Krieg der Sterne, in dem nicht alle Firmen und Kunden fair spielen.
seit 2014, vorletztes Jahr schrieb die Firma 19 Mio. Dollar Verlust. Dennoch ist Kaufer nach all der Zeit positiv. 2018 lief gut, es gab wieder Gewinn.
Jetzt klingt er wieder wie der nette Familienvater, der das Fußballteam der Söhne motivieren will: „Wir haben vergangenes Jahr großartige Arbeit geleistet, das Geschäft zu retten.“Und wie geht es jetzt weiter? „Wir müssen die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen.“Wie Kaufer das sagt, klingt es nur eine Spur größenwahnsinnig. Auch Erpresser gehen mit der Zeit. Früher drohten sie ihren Opfern, intime Bilder zu versenden oder ihre Daten wegzusperren. Vergangene Woche hat die österreichische Softwarefirma Ikarus eine neue Online-Taktik öffentlich gemacht: Wenn nicht das Lösegeld in Form von Bitcoin überwiesen wird, hagelt es schlechte Bewertungen auf Seiten wie Google, Booking.com oder Facebook.
Bewertungen sind zur harten Währung geworden. Mitarbeiter bewerten ihre Chefs, Gäste das Essen, Patienten ihre Ärzte, Studenten ihre Professoren. Sogar die Toilette am Flughafen und das Modegeschäft wollen am Ausgang von uns wissen, wie das Service war. Da braucht man kein professioneller Online-Betrüger sein, um daraus Profit schlagen zu wollen. Kaum ein Hotelier oder Gastronom hatte nicht schon diesen Kunden vor sich, der mit Verweis auf das bevorstehende Rating gern das Dessert oder die Massage gratis oder den Aufpreis auf die Luxussuite erlassen bekommen hätte. Die Alternativlosigkeit. „Bewertungen sind Fluch und Segen zugleich“, sagt Christian Scherg. Der deutsche PRProfi hat sich mit seiner Firma „Revolvermänner“auf „Reputation Management“spezialisiert. Er versteht darunter aber etwas anderes als die Heerscharen an Firmen, die gegen Bezahlung positive oder negative Rezensionen für ihre Auftraggeber schreiben.
Sich gegen die Bewertungen wehren, sei zwecklos, sagt Scherg. Firmen müssten im Internet darauf achten, ihre „Auslage positiv zu dekorieren“. Der Kunde klicke bei drei von fünf Sternen schnell weiter. Und auch mancher Reiseveranstalter würde Hotels unter einer gewissen Bewertung nicht mehr ins Angebot nehmen. „Ein Stern weniger bedeutet den Verlust von Arbeitsplätzen und Umsatz“, sagt Scherg. „Ich bin im Internet gezwungen, dagegen zu arbeiten, es ist ein Krieg der Sterne.“Auch weil der Kunde – bombardiert mit Angeboten – die Orientierung verloren hat und nach diesen Sternen navigiert.
Doch wie verlässlich leuchten sie einem den Weg? Forscher der Fachhochschule Worms kamen 2014 zu dem Schluss, dass ein Drittel der Kriti- ken auf Hotelbuchungsseiten gefälscht ist. Französische Verbraucherschützer schätzten im selben Jahr, dass mit einem Drittel aller Bewertungen im Internet etwas nicht stimmt. Scherg geht weiter: Bei acht von zehn Fällen habe der Verfasser der Rezension noch ein anderes Motiv – sei es, dass er bezahlt wurde, entlassen wurde oder dem Unternehmer einen Freundschaftsdienst erweisen will.
„Es hat eine Zeit gebraucht, bis es sich durchgesprochen hat, dass Bewertungen zum Teil gekauft sind“, sagt VKI-Experte Gernot Schönfeldinger. Heute ist der Missbrauch auf den Seiten besser dokumentiert und der Kunde vorsichtiger. Erst im Winter hatte die britische Organisation Which aufgedeckt, wie in Facebook-Gruppen nach Autoren für Amazon-Einträge gesucht wurde. Diese kauften ein Produkt, gaben fünf Sterne, schrieben ein paar Sätze und bekamen danach den Kaufpreis erstattet. Auf der Seite fiel nichts auf.
Es gibt Indikatoren, an die man sich halten kann, sagt Schönfeldinger. Wenn ein Autor Ausdrücke wie „reichhaltiges Frühstücksbuffet“verwendet oder zehn Handys in einem Monat bewertet, könnte etwas nicht stimmen. Auch bei besonders langen oder anonymen Beiträgen sollte man nachsehen, was der Autor sonst verfasst hat.
Barbara Bauer kennt wiederum die andere Seite: Zu ihr in die VKI-Rechtsabteilung kommen eingeschüchterte Menschen, denen Unternehmer mit Klage drohen, falls sie ihren negativen Kommentar nicht löschen. „Die Zahl der Fälle hat in den letzten drei Jahren zugenommen“, sagt Bauer. Sie müsse im Einzelfall abschätzen: Erfüllt das Posting den Tatbestand der Ehrenbeleidigung, Kreditschädigung oder der üblen Nachrede? Oder greift das Recht auf freie Meinungsäußerung? Im Grunde gilt: Alles darf geschrieben werden, solang nicht die Grenzen zulässiger Kritik überschritten werden. Oder gelogen wird. Je nachdem müsse der Verfasser abwägen, ob er ruhig bleiben und eine Klage riskieren will.
Der deutsche Bundesgerichtshof machte 2017 klar, dass Meinungsfreiheit nicht alle Geschäftsmodelle schützt. Eine Kölner Dermatologin hatte die Ärzte-Webseite Jameda auf Löschung ihrer Daten geklagt, weil die Plattform zahlende Kunden besser stellte als ihr Gratis-Profil – und potenziellen Patienten Werbung für zahlende Dermatologen in ihrer Umgebung zeigte. Das Bewertungsportal löschte das Profil und passte umgehend seine Geschäftsbedingungen an.
Für Katja Likowski von der Österreichischen Gesellschaft für Verbraucherstudien bergen Bewertungsportale noch ein Problem für die Unternehmer: Wer schreibt, tut das meist in der Emotion. „Sehr viele Leute beschweren sich, aber die wenigsten hinterlassen einen Kommentar, um zu loben.“Und die realistischen, mittelmäßigen Meinungen über das Produkt, den Urlaub oder das Essen werden in dem Bild fast völlig ausgeblendet.
»Ein Stern weniger bedeutet den Verlust von Arbeitsplätzen und Umsatz.«
Die Schreihälse. „Die positive Mehrheit schweigt. Die einzelnen, die Eier werfen, stechen aus der Masse heraus“, sagt Scherg. „Wir suchen also Orientierung bei den Schreihälsen.“Was kann der Unternehmer – Legales – tun, um gegenzusteuern? Er sollte jeden zufriedenen Stammkunden oder treuen Mitarbeiter anhalten, selbst eine Bewertung zu schreiben (natürlich ohne deren Tendenz vorzugeben), sagt der PRExperte. „Ich muss ihnen klarmachen, dass das essenziell ist, weil sich das Internet sonst mit Negativ-Bewertungen füllt und ich jedem wütenden Kunden oder abgewiesenen Bewerber ausgeliefert bin.“Und Firmen könnten viel Wut, die am Ende unauslöschbar in Bewertungsportalen landet, mit einem guten Kundenservice abfangen.
Reihenweise Fünf-Stern-Bewertungen einzusammeln, ohne die entsprechende Leistung bieten zu können, würde er aber niemandem raten. „Die Sterne, die ich mir als Brosche anhefte, sind auch der Maßstab, an dem ich gemessen werde.“Und nichts sorgt leichter für schlechte Kundenbewertungen als eine Realität, die hinter den schönen Fotos, dem Lob und den Sternen zurückbleibt.