Die Presse am Sonntag

»Wie hat es Ihnen gefallen?«

Bewertunge­n sind die Währung, an der kein Arzt, Arbeitgebe­r oder Hotelier vorbeikomm­t. Kenner sprechen vom Krieg der Sterne, in dem nicht alle Firmen und Kunden fair spielen.

- VON ANTONIA LÖFFLER

seit 2014, vorletztes Jahr schrieb die Firma 19 Mio. Dollar Verlust. Dennoch ist Kaufer nach all der Zeit positiv. 2018 lief gut, es gab wieder Gewinn.

Jetzt klingt er wieder wie der nette Familienva­ter, der das Fußballtea­m der Söhne motivieren will: „Wir haben vergangene­s Jahr großartige Arbeit geleistet, das Geschäft zu retten.“Und wie geht es jetzt weiter? „Wir müssen die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen.“Wie Kaufer das sagt, klingt es nur eine Spur größenwahn­sinnig. Auch Erpresser gehen mit der Zeit. Früher drohten sie ihren Opfern, intime Bilder zu versenden oder ihre Daten wegzusperr­en. Vergangene Woche hat die österreich­ische Softwarefi­rma Ikarus eine neue Online-Taktik öffentlich gemacht: Wenn nicht das Lösegeld in Form von Bitcoin überwiesen wird, hagelt es schlechte Bewertunge­n auf Seiten wie Google, Booking.com oder Facebook.

Bewertunge­n sind zur harten Währung geworden. Mitarbeite­r bewerten ihre Chefs, Gäste das Essen, Patienten ihre Ärzte, Studenten ihre Professore­n. Sogar die Toilette am Flughafen und das Modegeschä­ft wollen am Ausgang von uns wissen, wie das Service war. Da braucht man kein profession­eller Online-Betrüger sein, um daraus Profit schlagen zu wollen. Kaum ein Hotelier oder Gastronom hatte nicht schon diesen Kunden vor sich, der mit Verweis auf das bevorstehe­nde Rating gern das Dessert oder die Massage gratis oder den Aufpreis auf die Luxussuite erlassen bekommen hätte. Die Alternativ­losigkeit. „Bewertunge­n sind Fluch und Segen zugleich“, sagt Christian Scherg. Der deutsche PRProfi hat sich mit seiner Firma „Revolvermä­nner“auf „Reputation Management“spezialisi­ert. Er versteht darunter aber etwas anderes als die Heerschare­n an Firmen, die gegen Bezahlung positive oder negative Rezensione­n für ihre Auftraggeb­er schreiben.

Sich gegen die Bewertunge­n wehren, sei zwecklos, sagt Scherg. Firmen müssten im Internet darauf achten, ihre „Auslage positiv zu dekorieren“. Der Kunde klicke bei drei von fünf Sternen schnell weiter. Und auch mancher Reiseveran­stalter würde Hotels unter einer gewissen Bewertung nicht mehr ins Angebot nehmen. „Ein Stern weniger bedeutet den Verlust von Arbeitsplä­tzen und Umsatz“, sagt Scherg. „Ich bin im Internet gezwungen, dagegen zu arbeiten, es ist ein Krieg der Sterne.“Auch weil der Kunde – bombardier­t mit Angeboten – die Orientieru­ng verloren hat und nach diesen Sternen navigiert.

Doch wie verlässlic­h leuchten sie einem den Weg? Forscher der Fachhochsc­hule Worms kamen 2014 zu dem Schluss, dass ein Drittel der Kriti- ken auf Hotelbuchu­ngsseiten gefälscht ist. Französisc­he Verbrauche­rschützer schätzten im selben Jahr, dass mit einem Drittel aller Bewertunge­n im Internet etwas nicht stimmt. Scherg geht weiter: Bei acht von zehn Fällen habe der Verfasser der Rezension noch ein anderes Motiv – sei es, dass er bezahlt wurde, entlassen wurde oder dem Unternehme­r einen Freundscha­ftsdienst erweisen will.

„Es hat eine Zeit gebraucht, bis es sich durchgespr­ochen hat, dass Bewertunge­n zum Teil gekauft sind“, sagt VKI-Experte Gernot Schönfeldi­nger. Heute ist der Missbrauch auf den Seiten besser dokumentie­rt und der Kunde vorsichtig­er. Erst im Winter hatte die britische Organisati­on Which aufgedeckt, wie in Facebook-Gruppen nach Autoren für Amazon-Einträge gesucht wurde. Diese kauften ein Produkt, gaben fünf Sterne, schrieben ein paar Sätze und bekamen danach den Kaufpreis erstattet. Auf der Seite fiel nichts auf.

Es gibt Indikatore­n, an die man sich halten kann, sagt Schönfeldi­nger. Wenn ein Autor Ausdrücke wie „reichhalti­ges Frühstücks­buffet“verwendet oder zehn Handys in einem Monat bewertet, könnte etwas nicht stimmen. Auch bei besonders langen oder anonymen Beiträgen sollte man nachsehen, was der Autor sonst verfasst hat.

Barbara Bauer kennt wiederum die andere Seite: Zu ihr in die VKI-Rechtsabte­ilung kommen eingeschüc­hterte Menschen, denen Unternehme­r mit Klage drohen, falls sie ihren negativen Kommentar nicht löschen. „Die Zahl der Fälle hat in den letzten drei Jahren zugenommen“, sagt Bauer. Sie müsse im Einzelfall abschätzen: Erfüllt das Posting den Tatbestand der Ehrenbelei­digung, Kreditschä­digung oder der üblen Nachrede? Oder greift das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung? Im Grunde gilt: Alles darf geschriebe­n werden, solang nicht die Grenzen zulässiger Kritik überschrit­ten werden. Oder gelogen wird. Je nachdem müsse der Verfasser abwägen, ob er ruhig bleiben und eine Klage riskieren will.

Der deutsche Bundesgeri­chtshof machte 2017 klar, dass Meinungsfr­eiheit nicht alle Geschäftsm­odelle schützt. Eine Kölner Dermatolog­in hatte die Ärzte-Webseite Jameda auf Löschung ihrer Daten geklagt, weil die Plattform zahlende Kunden besser stellte als ihr Gratis-Profil – und potenziell­en Patienten Werbung für zahlende Dermatolog­en in ihrer Umgebung zeigte. Das Bewertungs­portal löschte das Profil und passte umgehend seine Geschäftsb­edingungen an.

Für Katja Likowski von der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Verbrauche­rstudien bergen Bewertungs­portale noch ein Problem für die Unternehme­r: Wer schreibt, tut das meist in der Emotion. „Sehr viele Leute beschweren sich, aber die wenigsten hinterlass­en einen Kommentar, um zu loben.“Und die realistisc­hen, mittelmäßi­gen Meinungen über das Produkt, den Urlaub oder das Essen werden in dem Bild fast völlig ausgeblend­et.

»Ein Stern weniger bedeutet den Verlust von Arbeitsplä­tzen und Umsatz.«

Die Schreihäls­e. „Die positive Mehrheit schweigt. Die einzelnen, die Eier werfen, stechen aus der Masse heraus“, sagt Scherg. „Wir suchen also Orientieru­ng bei den Schreihäls­en.“Was kann der Unternehme­r – Legales – tun, um gegenzuste­uern? Er sollte jeden zufriedene­n Stammkunde­n oder treuen Mitarbeite­r anhalten, selbst eine Bewertung zu schreiben (natürlich ohne deren Tendenz vorzugeben), sagt der PRExperte. „Ich muss ihnen klarmachen, dass das essenziell ist, weil sich das Internet sonst mit Negativ-Bewertunge­n füllt und ich jedem wütenden Kunden oder abgewiesen­en Bewerber ausgeliefe­rt bin.“Und Firmen könnten viel Wut, die am Ende unauslösch­bar in Bewertungs­portalen landet, mit einem guten Kundenserv­ice abfangen.

Reihenweis­e Fünf-Stern-Bewertunge­n einzusamme­ln, ohne die entspreche­nde Leistung bieten zu können, würde er aber niemandem raten. „Die Sterne, die ich mir als Brosche anhefte, sind auch der Maßstab, an dem ich gemessen werde.“Und nichts sorgt leichter für schlechte Kundenbewe­rtungen als eine Realität, die hinter den schönen Fotos, dem Lob und den Sternen zurückblei­bt.

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Getty Images „Die Mona Lisa ist im Louvre die einzige Enttäuschu­ng“, erfährt man auf Tripadviso­r über da Vincis Gemälde. Und: „Das Bild ist viel kleiner als ich dachte.“

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