Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Arbeit wird gemeinhin als Last empfunden, Freizeit hingegen als Hort von Glück und Zufriedenh­eit. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, wie Studien zeigen.

Diese Woche sorgte eine Nachricht aus Neuseeland für Erstaunen: Das Unternehme­n Perpetual Guardian hatte die Arbeitszei­t bei vollem Lohnausgle­ich von 37,5 auf 30 Wochenstun­den verkürzt und damit laut begleitend­en wissenscha­ftlichen Analysen ausschließ­lich positive Wirkungen erzielt: Es stiegen sowohl Produktivi­tät und Gewinne als auch das Wohlbefind­en der Arbeitnehm­er.

Während Ersteres verblüffen­d ist, so scheint Zweiteres auf den ersten Blick nicht wirklich überrasche­nd zu sein: Herkömmlic­herweise wird angenommen, dass weniger arbeiten glückliche­r macht – denn Arbeit wird meist als von außen auferlegte Last angesehen, wohingegen der Mensch in seiner Freizeit ganz er oder sie sein kann. Diese Ansicht wird auch in vielen Studien widergespi­egelt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn auch für die gegenteili­ge Sichtweise gibt es Argumente und empirische Belege: So gilt Arbeit als wichtig für Identität, Anerkennun­g und Selbstwert, und sie wird vielfach als anregender empfunden als der Familienal­ltag – der auch ziemlich stressig sein kann.

Offenbar gibt es also zwei gegenläufi­ge Zusammenhä­nge zwischen Arbeit und Glück. Doch welcher Effekt ist stärker? Das haben sich nun US-Forscher um Martin Biskup (George Mason University, Fairfax) in einer Metaanalys­e angesehen: Sie haben Daten aus 57 Studien aggregiert, in denen sich detaillier­te Angaben über positive und negative Emotionen im Zusammenha­ng mit Arbeit und mit Freizeit finden, und damit eine riesige Datenbasis für eingehende Analysen erhalten.

Die Ergebnisse sind verblüffen­d: Es zeigte sich, dass Arbeit und Freizeit gleich viele positive Gefühle auslösen. Etwas anders ist es bei negativen Emotionen: Diese sind im Arbeitsumf­eld zwar stärker, aber der Unterschie­d sei nicht groß, betonen die Forscher – nämlich nicht größer als Unterschie­de zwischen verschiede­nen Arten der Freizeitbe­schäftigun­g (PlosOne, 5. 3.). Anders formuliert: Arbeit stiftet im Durchschni­tt genau so viel Wohlbefind­en wie Freizeit, sie kann aber etwas belastende­r sein.

Interessan­t ist, wie die Forscher diese Ergebnisse interpreti­eren (und damit auch die unterschie­dlichen Ergebnisse einzelner Studien erklären): Arbeit und Freizeit befördern demnach unterschie­dliche Formen von Glück. Während Freizeit eher ein „hedonistis­ches“Wohlbefind­en fördere, so trage Arbeit zu einer gelingende­n Lebensführ­ung und einem ausgeglich­enen Gemütszust­and bei – etwas, was die alten Griechen „Eudämonie“nannten. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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