»Geht auch ohne Marcel weiter«
Marcel Hirscher hat Gesamtweltcup Nummer acht fixiert. Sein Privattrainer, Michael Pircher, erzählt von der ersten Begegnung mit dem Skistar und spricht über die Pläne für die Zukunft.
Der sechste Platz im Riesentorlauf war ausreichend. Schon zum vierten Mal hat sich Marcel Hirscher in Kranjska Gora, wenige Autominuten von der Kärntner Grenze entfernt, vorzeitig die große Kristallkugel gesichert. Mit dem bereits achten (!) Gesamtweltcupsieg in Folge untermauerte der 30-jährige Salzburger einmal mehr seine Ausnahmestellung.
Der Steirer Michael Pircher ist Hirschers langjähriger Vertrauter und Trainer. Der „Presse am Sonntag“gewährt er Einblicke. In Kranjska Gora sitzt das Team Hirscher, Trainer, Physios, Serviceleute, in einem Restaurant beisammen, es wird angestoßen, gegessen, getrunken – eine Tradition. Michael Pircher: Wir werden uns wieder zusammenhocken. Aber das ist nicht nur in Kranjska Gora so, in verschiedenen Weltcuporten haben wir Restaurants, in denen wir gern am Abend gut essen, ein Glas Rotwein trinken und Schmäh führen. Das gibt es öfter. Aber heuer vielleicht zum letzten Mal? Wir werden wie im vergangenen Jahr ein wenig Zeit verstreichen lassen, denke ich. Marcel muss für sich entscheiden, da nehmen wir keinen Einfluss. Aber jetzt fahren wir erst einmal den Winter zu Ende. Dann analysieren wir wie jedes Jahr intern die Saison und diskutieren, wie es weitergeht. Gibt es überhaupt noch Luft nach oben? Die gibt es immer. Weniger bei den Fähigkeiten und beim Rennvermögen von Marcel, er ist sicher schon auf einem ziemlich hohen Level. Aber bei den Rahmenbedingungen gibt es Optimierungsmöglichkeiten. Anreise, Abreise, Hotelzimmer, Trainingsqualität, ich könnte hundert Sachen aufzählen. Also ist auch der Privatjet entscheidend? Der gehört natürlich zur Optimierung der Rahmenbedingungen dazu. Marcel möchte am liebsten nur Rennen fahren und auf den Rummel drumherum ver- zichten. Wird in diese Richtung gearbeitet? Auf alle Fälle forcieren wir das. Ich glaube, dass wir in den vergangenen Jahren abgespeckt haben. Das ist durchdacht, hat seinen Grund. Vielleicht ist beim Skifahren weniger mehr. Erinnern Sie sich daran, als Sie Marcel zum ersten Mal Ski fahren gesehen haben? Das war bei einem Europacup-Slalom in A˚re (Dezember 2007, Pircher war damals Weltcuptrainer, Anm.). Ich hatte schon sehr viel von ihm gehört, doch dort hat er sich komischerweise schwergetan, ist nicht so recht vom Fleck gekommen. Skifahrerisch natürlich eine Augenweide, aber schnell war er bei diesem Kennenlernen nicht. (lacht) Du hast aber sofort gemerkt, wie interessiert und professionell er ist. Wir haben gleich Videos geschaut und diskutiert, wie er im Flachen schneller werden könnte. Was für ein Chef ist Marcel Hirscher? Er ist doch der Chef im Team, oder? Jein. Klar, er ist derjenige, der allein im Starthaus steht und herunterfährt. Aber unsere Gruppe harmoniert sehr. Es gibt eigentlich nie Streitereien, wenn, dann Diskussionen. Und danach wird gemeinsam entschieden. Das Training wird von mir in Absprache mit Marcel, Ferdl (Vater Ferdinand Hirscher, Anm.) und den Serviceleuten vorgeben. Den Plan stelle ich zusammen.
Michael „Mike“Pircher
Der Steirer, 43, ist seit 2012 Individualtrainer von Marcel Hirscher.
Karriere
Pircher fuhr selbst Skirennen, betreute dann Snowboarder und war Konditionstrainer.
Trainer
Seit 1999 steht er in Diensten des ÖSV, war u. a. Cheftrainer der Weltcup-Technikgruppe.
Privat
Im Herbst wurde der Sportwissenschaftler Vater eines Sohnes. In Kranjska Gora steht heute der Slalom auf dem Programm (9.30/12.30 Uhr, live, ORF eins). Sie gelten als Workaholic. Nur, weil man ein paar Mal früh aufsteht und schöpft, wird man gleich so bezeichnet. Das machen andere auch. Ich würde es so sagen: Wir reißen uns sieben Monate lang für den Marcel den Arsch auf, da heißt es eben hineinbeißen, da ist jeder ein Workaholic bei uns. Aber mit dem Begriff kann ich mich nicht anfreunden. Dennoch haben Sie sich einen beachtlichen Vorsprung auf die Konkurrenz erarbeitet. Wir sind schon gut aufgestellt. Wir haben auf dem Materialsektor erfahrene Leute, ich sehe mich als erfahrenen Trainer, Marcel hat auch schon elf Weltcupsaisonen hinter sich. Erfahrung kann man nie genug haben. Natürlich schaust du, dass du einen Schritt voraus bist. Dafür braucht es aber auch die Leistungen. Die Individualbetreuung etwa muss man sich schon verdienen. Was passiert, wenn Alexis Pinturault oder Henrik Kristoffersen einmal einen Schritt voraus sind? Wird Krisensitzung gehalten? Es wird auf alle Fälle zusammengesessen, alles gebündelt und hinterfragt. Das ist immer auch ein Ansporn. Wie man gesehen hat, dauert so eine Krise nie recht lang, und oft kommst du stärker heraus. Hin und wieder tappt man eben daneben und macht einen Schritt zurück. Wenn es danach zehn vorwärts geht, ist das in Ordnung. Marcels Karriere ist in der Zielgeraden. Für den ÖSV wäre sein Rücktritt der Super-GAU. Natürlich würde ein Athlet wegfallen, der in den vergangenen Jahren sehr viel getragen hat. Aber es wird auch ohne Marcel weitergehen. Wir haben ein gutes Slalom- und Speedteam, so schlecht sind wir nicht aufgestellt. Können Sie sich vorstellen, auch wieder andere Rennläufer zu trainieren? Auf jeden Fall. Die Frage ist nur, auf welchem Niveau. Meine Erfahrung ist sehr weltcuporientiert, es wäre reizvoll, in der obersten Liga weiterzuarbeiten. Man muss schauen, was sich ergibt.