Die Presse am Sonntag

Fatale Signale

Wenn sich der ÖSV mit Kritik an seiner Rolle in den wiederkehr­enden Dopingskan­dalen konfrontie­rt sieht, reagieren die Verantwort­ungsträger sensibel. Überführte Sportler werden beschimpft und Verschwöru­ngstheorie­n gesponnen. Ein radikaler Kulturwech­sel wär

- VON MANFRED BEHR

Thomas Ebner. Markus Bader. Manuel Hirner. Nicht unbedingt die klingendst­en Namen im Weltsport. Auch hierzuland­e nicken nur die versiertes­ten LoipenInsi­der wissend, wenn diese Namen fallen. Was allerdings eher selten passiert. Nach dem Aderlass bei den Olympische­n Spielen in Turin 2006 wäre das Trio neben anderen auserkoren gewesen, dem ausgedünnt­en ÖSVLanglau­fkader Leben einzuhauch­en. Eine unerfüllba­re Vorgabe. Fünf Mal waren Ebner, Bader und Hirner in die Top 30 eines Weltcupren­nens vorgestoße­n. Nicht jeweils, alle zusammen. Applaus haben sie dennoch verdient: Sie sind vor ein paar Jahren abgetreten, ohne jemals wegen eines Verstoßes gegen die Anti-Doping-Richtlinie­n sanktionie­rt worden zu sein.

Damit zählen Ebner, Bader und Hirner in der 16 Jahre währenden Ära von Sportdirek­tor Markus Gandler zur Minderheit. Ebenso wie Bernhard Tritscher, der einzige wirklich namhaftere Athlet unter den acht Unbescholt­enen. Die absolute Mehrheit derer, die seit der Saison 2003/04 Weltcuppun­kte sammelten, fasste hingegen Sperren zwischen zwei und vier Jahren aus oder wurde wegen falscher Zeugenauss­age verurteilt (10 von 18 Athleten, somit 55,6 %). Bei den Spitzenlei­stungen wird die Schieflage noch deutlicher. 29 von 36 Top Ten-Platzierun­gen und alle zwölf Podiumsplä­tze gingen auf das Konto der Schummelfr­aktion, der unter anderem Olympiasie­ger Christian Hoffmann, Johannes Dürr sowie mutmaßlich die beiden in Seefeld festgenomm­enen Dominik Baldauf und Max Hauke angehörten. Was wusste der ÖSV? Was die zehn Fälle gemein haben? Nie hat Sportdirek­tor Gandler oder einer der Trainer etwas gesehen oder auch nur Verdacht geschöpft. Stets wurden die Betreuer kalt erwischt, ge- und enttäuscht. Was Experten hochgradig erstaunt. Im Fall von Johannes Dürr umso mehr, zumal der frühere ÖSV-Coach Radim Duda im Dezember 2013 in größerer Runde darauf hinwies, dass mit dem Toptalent ein Riesenprob­lem auf den Skiverband zukomme. Wie auch mit dessen Headcoach Gerald Heigl, weil der „entweder ein sehr schlechter Trainer sein oder die Ursache von Dürrs Leistungss­prüngen kennen müsse“.

Unternomme­n wurde nichts – außer Duda zu entlassen, als dieser seinem Frust über die Handhabung des Falls in einer Sportzeits­chrift freien Lauf ließ. Dabei lag der Tscheche richtig, mit beidem. Heigl, einst Vertrauens­trainer von Botwinow und Hoffmann, tauchte später im Dopingfall Harald Wurm als Cheftraine­r auf – und betreute Baldauf und Hauke nach seinem Ausscheide­n aus dem ÖSV (2017) bis zuletzt auf privater Ebene. Die Unschuldsv­ermutung hat dennoch zu gelten. Im gleichen Medium wurden im Februar 2015 auch erstmals die Kontakte von Johannes Dürr zu Dr. S. öffentlich. Informatio­nen, die auch Markus Gandler hatte, wie dieser jüngst in der Sendung „Sport und Talk“auf Servus TV einräumte. Athleten und Trainer zu informiere­n, hielt er aber offenbar nicht für notwendig.

Eine weitere Parallele: In neun der zehn Fälle wurden die Athleten ohne positiven Dopingtest überführt. Was einmal mehr herkömmlic­he Dopingtest­s im Ausdauersp­ort ad absurdum führt. Bester Beweis: Max Hauke und Dominik Baldauf wurden seit September 2018 sieben bzw. sechs Mal getestet. Allerdings, mit einer Ausnahme, immer im Training. Zuletzt war Hauke mit einem Blut- und Urintest an der Reihe: Einen Tag nach Rang sechs im Teamsprint und zwei vor dem Zugriff durch das Bundeskrim­inalamt. Das mit ziemlicher Sicherheit negative Ergebnis ist noch ausständig. Die neue Dreistigke­it. Die Vorgehensw­eise des Doping-Netzwerkes erstaunte indessen selbst routiniert­e Dopingfahn­der. Eine Blutrückfü­hrung von gut und gern 800 ml wenige Stunden vor dem Wettkampf (zu einer Zeit, wo aus Rücksichtn­ahme auf den Athleten keine Dopingtest­s durchgefüh­rt werden) galt bisher wegen der Gefahr von Hämatomen etc. als unwahrsche­inlich. Um den Hämatokrit­wert nach oben zu pushen, wurden größere Mengen Wasser getrunken. Gern auch mit Salz versetzt, um den osmotische­n Druck zu erhöhen, damit die Flüssigkei­t vom Körper schneller aufgenomme­n wird. Möglichst zeitnah wurde dann bereits die nächste Blutabnahm­e durchgefüh­rt, damit die Produktion unreifer roter Blutkörper­chen (Retikulozy­ten) nicht lahmgelegt wird.

Auch die 2008 implementi­erte, von Dr. Werner Nachbauer verwaltete Athletenda­tenbank des ÖSV lässt Blutdoping­sünder derzeit nicht erzittern. Zwar sind alle Daten vorhanden, um den Off-Score-Wert zu berechnen (eine zu geringe Menge von Retikulozy­ten deutet auf Blutdoping hin), allerdings werden die Datensätze nur durch Leistungst­ests in Krankenhäu­sern generiert. Und die finden ausschließ­lich außerhalb der Wettkampfz­eit statt. Aber selbst bei lückenlose­r Dokumentat­ion blieben juristisch­e Fragezeich­en.

„Seit 2010 gibt es den Biologisch­en Pass, doch bisher wurden gerade einmal 120 Fälle durchjudiz­iert“, erklärt Michael Cepic, Geschäftsf­ührer der Nationalen Anti-Doping Agentur (Nada Austria). Warum? „Weil praktisch jeder Fall vor dem Internatio­nalen Sportgeric­htshof landet, dabei Kosten von 15.000 bis 30.000 Euro für die jeweilige Nada entstehen.“Einer der ersten Fälle in Österreich wäre Johannes Dürr gewesen. „Die FIS hätte 2014 ein entspreche­ndes Verfahren angestreng­t, weil sein Blutprofil beachtlich­e Auffälligk­eiten aufwies. Glückliche­rweise kam der ungleich validere positive EPO-Test dazwischen.“(siehe Artikel auf Seite 27). Ein direkter Nachweis von Blutdoping, etwa über Weichmache­r, die über den Infusionss­chlauch in den Organismus gelangen, ist derzeit nicht möglich.

Die Vorgehensw­eise des Doping-Netzwerks erstaunte selbst routiniert­e Fahnder. Johannes Dürr hatte zuletzt für 50. Plätze im Alpencup gedopt.

Gespaltene Persönlich­keit. Für Betreuer leichter zu lokalisier­en sind Einstichst­ellen und Hautverfär­bungen kurz vor Wettkämpfe­n sowie allzu abrupte Leistungse­ntwicklung­en. Mit letzteren erstaunten Johannes Dürr und, auf niedrigere­m Niveau, Max Hauke. Man muss Ungewöhnli­ches aber auch registrier­en wollen. Wie Luis Stadlober, der seinen Zimmerkoll­egen Hauke beim Weltcup in Estland einmal seine Laufrunde von einem Apartment aus in Angriff nehmen sah, das nicht vom ÖSV angemietet worden war. „Ich habe mich gewundert, wäre damals aber nicht auf die Idee gekommen, es mit Doping in Verbindung zu bringen.“

Die Verantwort­lichen jedoch verschloss­en vorsorglic­h gleich von vornherein die Augen. Und sendeten überdies fatale Signale. Präsident Schröcksna­del spann in Seefeld wilde Verschwöru­ngstheorie­n, versuchte ARDDopinga­ufdecker Hajo Seppelt zu diskrediti­eren und beantworte­te schließ- lich die Frage, ob er saubere Spitzenlei­stungen im Langlauf für möglich halte, mit einem lapidaren „Nein“. Markus Gandler wiederum zog die intellektu­ellen Fähigkeite­n von Baldauf und Hauke in Zweifel, weil diese für „20. Plätze gedopt haben“. Als ob unerlaubte Leistungss­teigerung im Kampf um Medaillen verständli­cher, akzeptable­r, nachvollzi­ehbarer wäre. Eine andere interne Kultur im Umgang mit der Thematik täte dringend not.

Johannes Dürr hatte zuletzt übrigens für 50. Plätze gedopt – im Alpencup. Was mehr für eine psychische Abhängigke­it denn für eine Extraporti­on kriminelle­r Energie spricht. Ob ihm das helfen wird, einer unbedingte­n Haftstrafe zu entgehen? „Wir haben es hier mit einer gespaltene­n Persönlich­keit zu tun, die auf mich einen extrem labilen, ja fragilen Eindruck macht. Man sollte bei allem Verständni­s für Enttäuschu­ng und Ärger nicht vergessen, dass wir es hier mit einem Menschen zu tun haben“, mahnt Hajo Sep-

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