Die Presse am Sonntag

Die USA, ein drogenkran­kes Land

Mit »Jahre des Jägers« bringt der amerikanis­che Autor Don Winslow seine fulminante Trilogie zu einem würdigen Ende. Es ist auch eine Abrechnung mit Präsident Donald Trump.

- VON PETER HUBER

Mit „Tage der Toten“setzte US-Autor Don Winslow Anfang der 2000er-Jahre neue Maßstäbe im KrimiGenre. Realismus pur, bis an die Schmerzgre­nze – und darüber hinaus. Durch seine Erzählweis­e aus vielen Perspektiv­en machte er den globalen Drogenkrie­g am Beispiel Mexikos begreifbar, vom kleinsten Rädchen im Getriebe bis zum einflussre­ichen Drogenboss, vom Fahnder bis zum Killer.

Besser als jedes Sachbuch legte Winslow die Mechanisme­n und Logiken des Drogenkrie­ges offen und überzeugte darüber hinaus durch präzise Charakters­tudien sowie einen ausgeklüge­lten Plot bis zur letzten Wendung. In „Das Kartell“, dem im Jahr 2015 erschienen­en zweiten Teil seiner rund 2500 Seiten umfassende­n Drogen-Trilogie, litt die Geschichte, weil der Autor versuchte, jedem einzelnen Opfer der brutalen Exzesse in Mexiko gerecht zu werden. Phasenweis­e las sich das Buch wie eine Chronik all der Grauslichk­eiten des Drogenkrie­gs. Ein sehr ehrbares, literarisc­h aber etwas enttäusche­ndes Unterfange­n.

Nun erzählt der Ausnahme-Autor im abschließe­nden Teil erneut von den mächtigen mexikanisc­hen Drogenkart­ellen, deren Aufstieg seiner Meinung nach aber erst die USA ermöglicht haben. „Welcher Schmerz sitzt so tief im Herzen der amerikanis­chen Gesellscha­ft, dass wir zu Drogen greifen, um ihn zu lindern?“, fragt der legendäre Drogenfahn­der Art Keller, der in „Jahre des Jägers“zum Chef der Drogenbehö­rde DEA aufsteigen wird. Winslow hasst die Scheinheil­igkeit, wenn von einem „mexikanisc­hen Drogenprob­lem“die Rede ist. „Wir alle sind das Kartell“, heißt es. Der Krieg gegen die mexikanisc­hen Bosse ist, obwohl Keller die Spitze der Karrierele­iter erreicht hat, nicht leichter geworden. Ganz im Gegenteil, nun führt er auch Krieg gegen die eigene Regierung. „Aber eigentlich ist beides dasselbe.“ Der Feind im eigenen Land. Ist es Winslow gelungen, zur Qualität seines Meisterwer­ks „Tage der Toten“zurückzuke­hren? Ja. Wenn man jene unnötigen Actionszen­en am Anfang und Ende des fast 1000-seitigen Buches weglässt, dann überzeugt Winslow in allen Be- Don Winslow: „Jahre des Jägers“ Übersetzt von Conny Lösch, Droemer-Verlag, 991 Seiten, 26,80 Euro langen. Er erzählt vom Kampf der USDrogenfa­hnder gegen die mexikanisc­hen Kartelle, obwohl, wie erwähnt, die Feinde oft im eigenen Land zu sitzen scheinen: an den politische­n und finanziell­en Machthebel­n im Weißen Haus und an der Wall Street.

Winslows Stärke ist es, aus den vielen kleinen und schnell vergessene­n Meldungen, die man aus den Nachrichte­n kennt, ein hoch empathisch­es Werk, ein wahres gesellscha­ftliches Panorama zu machen. Mit anderen Worten: ein wenig schmeichel­haftes Porträt der von einer Opioid- und Heroin-Epidemie heimgesuch­ten USA. Er zeigt, wie das Leben eines kleinen Flüchtling­sbuben aus Guatemala, der illegal in die USA gelangt, mit jenem einer Heroinsüch­tigen aus dem US-Mittelstan­d und dem eines New Yorker Undercover-Polizisten zusammenhä­ngt. Gekonnt lässt er die drei Figuren kurz vor Schluss aufeinande­rprallen.

Winslow zeigt sich in „Jahre des Jägers“aber auch so politisch wie nie zuvor. Der Verfechter einer Legalisier­ung der Drogen – damit würde den Kartellen ihr Geschäftsm­odell entzogen, meint er – lässt seine Figur Keller einen offenen Feldzug gegen den fiktiven USPräsiden­tschaftska­ndidaten John Dennison, unschwer als Donald Trump erkennbar, führen. Auf Twitter nimmt sich der Autor ohnehin seit Monaten kein Blatt vor den Mund – fast täglich attackiert er den realen Präsidente­n. Hoffnung am Schluss. Durch die deutsche Übersetzun­g geht die vielseitig­e Bedeutung des Originalti­tels „The Border“verloren. Es geht sehr viel um Grenzen, nicht nur geografisc­he, auch moralische. „Auf beiden Seiten der Grenze regieren jetzt brutale, dumme Männer“, lässt Winslow seine Figur Keller am Ende der Trilogie denken. Angesichts der zuvor geschilder­ten unglaublic­hen Ungerechti­gkeiten und Grausamkei­ten überrascht er mit einem unerwartet­en Schimmer von Hoffnung: „Aber eine Mauer gibt es nicht [. . .]. Zumindest noch nicht. Vielleicht wird es nie eine geben.“

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Susie Knoll Im Grunde seines Herzens ein Moralist: Don Winslow gibt sich kämpferisc­h und außerorden­tlich politisch.
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