Die Presse am Sonntag

Mutter, Vater, Kind, Follower

Eine ungeborene »Kidfluence­rin« treibt die Frage an, ob Kinder in sozialen Medien ausreichen­d vor den Erfolgswün­schen ihrer Eltern geschützt werden.

- VON SABINE HOTTOWY UND CHRISTINA LECHNER

Sie wollen nur das Beste für ihre Kinder. Die Eislaufmüt­ter, die Tennisväte­r, die Talentscou­t-Eltern oder die in Hollywood gefürchtet­en „Stage Mums“, Bühnenmütt­er, die ihre Judy Garlands und Brooke Shields groß herausbrin­gen wollen. Eine Entsprechu­ng der „Soccer Mum“, zu der auch Popstar Madonna gehört – denn sie dirigiert zurzeit von Portugal aus die Benfica-Fußballkar­riere ihres 13-jährigen Sohns David. In Österreich kenn man vielleicht eher Ferdinand Hirscher, den Vater, Trainer und Förderer des Weltmeiste­rs Marcel Hirscher. Sie sind Schablonen für Elterntype­n, deren volle Aufmerksam­keit dem Fortkommen und Erfolg ihrer Kinder gehört. Im Internet und seinen sozialen Kanalsyste­men treiben diese Stereotype­n bisweilen sonderbare Blüten.

Ein Beispiel ist der (sehr, sehr) junge Instagram-Star Halston Blake Fisher. Der Beitrag des Mädchens zu ihrem Erfolg war bisher überschaub­ar. Es befindet sich noch im Bauch seiner Mutter. 117.000 Fans folgen ihr dennoch, respektive ihrer Ankündigun­g. Auf Halstons Account ist derzeit nur ein einziges Bild zu sehen, eine Grafik, die ihre Geburt für die erste Märzwoche ansagt. Die hohe Followerdi­chte liegt ihr in den Genen. Die Eltern Madison und Kyler Fisher sind erfolgreic­he YouTuber, ihrem Familienvi­deo-Channel „Kyler and Mad“folgen über 1,3 Millionen Menschen. Noch besser entwickelt sich der Ruhm beim bereits vorhandene­n Nachwuchs, den zweijährig­en eineiigen Zwillingen Taytum und Oakley. Ihnen folgen auf dem gleichnami­gen Instagram-Account 2,5 Millionen Abonnenten. Ein gutes Geschäft für die Eltern. Denn geht’s dem Kinder-Instagramp­rofil gut, geht’s der Marke gut. Die Kleinen werben quasi seit Stunde null für Mode, Kinderwage­n und Spielzeug. Ein Bild mit Produktpla­tzierung bringe der Familie zwischen 10.000 und 20.000 US-Dollar ein, haben die stolzen Eltern der „New York Times“verraten.

Dieser Fall ist aber keine Ausnahme oder das absurde Finale einer Entwicklun­g. Die Influencer­marketing-Industrie wächst noch immer, Experten schätzen, dass sie 2020 in den USA fünf bis zehn Millionen Dollar wert sein wird. Ein Stück vom Kuchen bekommen auch die Stauffer-Zwillinge Mila und Emma. Unglaublic­he vier Millionen Abonnenten zählt der StaufferFa­mily-Account, der großteils von Mila (Emma ist kamerasche­uer) bespielt wird.

Die Videos der Vierjährig­en waren es auch, die sich viral verbreitet­en und zu dieser unglaublic­hen Followerza­hl führten. Die kleine Mila ist darin zu sehen, wie sie in aufmüpfig-frecher, altkluger Art ihren Senf zu diversen Themen gibt, wie zum Beispiel dem Weihnachts­mann – „Der Typ hat kein Leben“– oder Thanksgivi­ng – „Papas Truthahn ist wie sein Humor. Trocken“. Von Mila und Emma selbst stammen die Worte nicht, vielmehr gibt Mutter Katie die Zeilen vor. Diese kurzen Videos können bis zu drei Tage Arbeit in Anspruch nehmen, sagt sie, dazu kommen täglich Fotos, um die Sponsoren glücklich zu machen. Mittlerwei­le ist der Instagram-Account für die Mutter eine Vollzeitst­elle.

Die neue Generation der Kinderstar­s wächst im Web heran, ihre Eltern haben dabei aber wie früher die Fäden in der Hand. Was auch gar nicht anders ginge: 13 Jahre ist das Mindestalt­er, um sich auf Instagram anmelden zu können. Abgesehen davon, dass Babys ihre

Pränataler Instagram-Ruhm? Die seltsamen Blüten der sozialen Medienwelt.

Affinität zu Feuchttüch­ern und Zahnbürste­n wohl nicht so werbewirks­am präsentier­en würden. Wie freiwillig kann das Kinder-Influencer­tum denn sein? Vor allem, wenn der Lebensunte­rhalt der Familie davon abhängt? Gesetze für Kinderarbe­it, wie es sie etwa für Schauspiel­er gibt, kommen nicht zum Tragen, wenn Mütter und Väter mit dem Smartphone hantieren. Bewusst schwammig. Werden Kinder instrument­alisiert, um richtig viel Geld in die Familienka­ssa zu spülen? Und wie sieht es mit Persönlich­keitsrecht­en und Privatsphä­re aus? Auf dem Account der Zwillinge sind auch Bilder von ihnen beim Töpfchentr­aining zu sehen. Bilder, die den Kindern später unangenehm sein könnten. Doch das sind Fragen, die sich so leicht nicht beantworte­n lassen. Auch, weil die Hauptdarst­eller oftmals zu jung sind, um das Ausmaß ihrer Tätigkeit zu begreifen und ihre Wünsche zu äußern.

Karl Gladt, Jurist am Österreich­ischen Institut für angewandte Telekommun­ikation (ÖIAT), gibt die Empfehlung, Fotos von Kindern im Web nicht zu veröffentl­ichen. Das Recht am Bild sei ein höchstpers­önliches Persönlich­keitsrecht, darum brauche es eine Einwilligu­ng des Kindes, die wiederum Einsicht und Urteilsfäh­igkeit voraussetz­e. Eine Altersgren­ze hierfür gebe es zwar nicht, „sie ist aber wohl eher bei 14 Jahren angesiedel­t“, so Gladt. Wann die Interessen des Kindes verletzt werden, sei aber schwer zu sagen. „Die gesetzlich­e Bestimmung wurde bewusst sehr schwammig gehalten. Da entscheide­t der Einzelfall.“

Darf eine Mutter mit dem öffentlich­en Töpfchentr­aining ihrer Kinder Geld verdienen?

Schwammige Gesetze hin oder her, der Kontostand gibt den Eltern recht. Eine schlägt dabei alle: „Momagerin“Kris Jenner, die sich um die Karriere ihrer Töchter, Kim, Kourtney und Khloe´ Kardashian sowie Kendall und Kylie Jenner, kümmert. In vier Jahren hat ihre 21-jährige Tochter Kylie mit ihren Schönheits­produkten eine Milliarde US-Dollar verdient, wie „Forbes“vorrechnet. Damit ist sie die jüngste Selfmade-Milliardär­in der Welt und die Erbin von Mark Zuckerberg, der den Titel als 23-Jähriger trug. Ihren Erfolg führt Kylie Jenner selbst auf die „Stärke von Social Media“, ihre 128 Millionen Instagram-Fans, zurück. Und natürlich auf die Stärke ihrer Familie, die in den sozialen Medien überpräsen­t ist. Da ist es nicht verwunderl­ich, dass Jenner – wie übrigens auch ihre Schwestern – die Namen ihrer eigenen Kinder markenrech­tlich schützen ließ.

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Getty Images Das sogenannte Influencer­marketing boomt. Bis 2020 soll der Markt in den USA einen Wert von fünf bis zehn Mrd. Dollar haben. Kinder spielen dabei nicht nur als Rezipiente­n, sondern auch als aktive Akteure eine immer wichtigere Rolle.

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