Mutter, Vater, Kind, Follower
Eine ungeborene »Kidfluencerin« treibt die Frage an, ob Kinder in sozialen Medien ausreichend vor den Erfolgswünschen ihrer Eltern geschützt werden.
Sie wollen nur das Beste für ihre Kinder. Die Eislaufmütter, die Tennisväter, die Talentscout-Eltern oder die in Hollywood gefürchteten „Stage Mums“, Bühnenmütter, die ihre Judy Garlands und Brooke Shields groß herausbringen wollen. Eine Entsprechung der „Soccer Mum“, zu der auch Popstar Madonna gehört – denn sie dirigiert zurzeit von Portugal aus die Benfica-Fußballkarriere ihres 13-jährigen Sohns David. In Österreich kenn man vielleicht eher Ferdinand Hirscher, den Vater, Trainer und Förderer des Weltmeisters Marcel Hirscher. Sie sind Schablonen für Elterntypen, deren volle Aufmerksamkeit dem Fortkommen und Erfolg ihrer Kinder gehört. Im Internet und seinen sozialen Kanalsystemen treiben diese Stereotypen bisweilen sonderbare Blüten.
Ein Beispiel ist der (sehr, sehr) junge Instagram-Star Halston Blake Fisher. Der Beitrag des Mädchens zu ihrem Erfolg war bisher überschaubar. Es befindet sich noch im Bauch seiner Mutter. 117.000 Fans folgen ihr dennoch, respektive ihrer Ankündigung. Auf Halstons Account ist derzeit nur ein einziges Bild zu sehen, eine Grafik, die ihre Geburt für die erste Märzwoche ansagt. Die hohe Followerdichte liegt ihr in den Genen. Die Eltern Madison und Kyler Fisher sind erfolgreiche YouTuber, ihrem Familienvideo-Channel „Kyler and Mad“folgen über 1,3 Millionen Menschen. Noch besser entwickelt sich der Ruhm beim bereits vorhandenen Nachwuchs, den zweijährigen eineiigen Zwillingen Taytum und Oakley. Ihnen folgen auf dem gleichnamigen Instagram-Account 2,5 Millionen Abonnenten. Ein gutes Geschäft für die Eltern. Denn geht’s dem Kinder-Instagramprofil gut, geht’s der Marke gut. Die Kleinen werben quasi seit Stunde null für Mode, Kinderwagen und Spielzeug. Ein Bild mit Produktplatzierung bringe der Familie zwischen 10.000 und 20.000 US-Dollar ein, haben die stolzen Eltern der „New York Times“verraten.
Dieser Fall ist aber keine Ausnahme oder das absurde Finale einer Entwicklung. Die Influencermarketing-Industrie wächst noch immer, Experten schätzen, dass sie 2020 in den USA fünf bis zehn Millionen Dollar wert sein wird. Ein Stück vom Kuchen bekommen auch die Stauffer-Zwillinge Mila und Emma. Unglaubliche vier Millionen Abonnenten zählt der StaufferFamily-Account, der großteils von Mila (Emma ist kamerascheuer) bespielt wird.
Die Videos der Vierjährigen waren es auch, die sich viral verbreiteten und zu dieser unglaublichen Followerzahl führten. Die kleine Mila ist darin zu sehen, wie sie in aufmüpfig-frecher, altkluger Art ihren Senf zu diversen Themen gibt, wie zum Beispiel dem Weihnachtsmann – „Der Typ hat kein Leben“– oder Thanksgiving – „Papas Truthahn ist wie sein Humor. Trocken“. Von Mila und Emma selbst stammen die Worte nicht, vielmehr gibt Mutter Katie die Zeilen vor. Diese kurzen Videos können bis zu drei Tage Arbeit in Anspruch nehmen, sagt sie, dazu kommen täglich Fotos, um die Sponsoren glücklich zu machen. Mittlerweile ist der Instagram-Account für die Mutter eine Vollzeitstelle.
Die neue Generation der Kinderstars wächst im Web heran, ihre Eltern haben dabei aber wie früher die Fäden in der Hand. Was auch gar nicht anders ginge: 13 Jahre ist das Mindestalter, um sich auf Instagram anmelden zu können. Abgesehen davon, dass Babys ihre
Pränataler Instagram-Ruhm? Die seltsamen Blüten der sozialen Medienwelt.
Affinität zu Feuchttüchern und Zahnbürsten wohl nicht so werbewirksam präsentieren würden. Wie freiwillig kann das Kinder-Influencertum denn sein? Vor allem, wenn der Lebensunterhalt der Familie davon abhängt? Gesetze für Kinderarbeit, wie es sie etwa für Schauspieler gibt, kommen nicht zum Tragen, wenn Mütter und Väter mit dem Smartphone hantieren. Bewusst schwammig. Werden Kinder instrumentalisiert, um richtig viel Geld in die Familienkassa zu spülen? Und wie sieht es mit Persönlichkeitsrechten und Privatsphäre aus? Auf dem Account der Zwillinge sind auch Bilder von ihnen beim Töpfchentraining zu sehen. Bilder, die den Kindern später unangenehm sein könnten. Doch das sind Fragen, die sich so leicht nicht beantworten lassen. Auch, weil die Hauptdarsteller oftmals zu jung sind, um das Ausmaß ihrer Tätigkeit zu begreifen und ihre Wünsche zu äußern.
Karl Gladt, Jurist am Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT), gibt die Empfehlung, Fotos von Kindern im Web nicht zu veröffentlichen. Das Recht am Bild sei ein höchstpersönliches Persönlichkeitsrecht, darum brauche es eine Einwilligung des Kindes, die wiederum Einsicht und Urteilsfähigkeit voraussetze. Eine Altersgrenze hierfür gebe es zwar nicht, „sie ist aber wohl eher bei 14 Jahren angesiedelt“, so Gladt. Wann die Interessen des Kindes verletzt werden, sei aber schwer zu sagen. „Die gesetzliche Bestimmung wurde bewusst sehr schwammig gehalten. Da entscheidet der Einzelfall.“
Darf eine Mutter mit dem öffentlichen Töpfchentraining ihrer Kinder Geld verdienen?
Schwammige Gesetze hin oder her, der Kontostand gibt den Eltern recht. Eine schlägt dabei alle: „Momagerin“Kris Jenner, die sich um die Karriere ihrer Töchter, Kim, Kourtney und Khloe´ Kardashian sowie Kendall und Kylie Jenner, kümmert. In vier Jahren hat ihre 21-jährige Tochter Kylie mit ihren Schönheitsprodukten eine Milliarde US-Dollar verdient, wie „Forbes“vorrechnet. Damit ist sie die jüngste Selfmade-Milliardärin der Welt und die Erbin von Mark Zuckerberg, der den Titel als 23-Jähriger trug. Ihren Erfolg führt Kylie Jenner selbst auf die „Stärke von Social Media“, ihre 128 Millionen Instagram-Fans, zurück. Und natürlich auf die Stärke ihrer Familie, die in den sozialen Medien überpräsent ist. Da ist es nicht verwunderlich, dass Jenner – wie übrigens auch ihre Schwestern – die Namen ihrer eigenen Kinder markenrechtlich schützen ließ.