Das Leben der Protestanten: Eine Kirche im Umbruch
Die evangelische Kirche liegt hierzulande oft unter der Wahrnehmungsschwelle, dabei passiert intern gerade viel. Die jüngste Synode am Samstag hat dies wieder gezeigt. Zwischen Ehe für alle und Kampf gegen Kirchenaustritte: Eine Suche.
Hinter der Kirche macht der Kiesweg einen kleinen Bogen. Die Äste der Birke hängen nackt herunter, aber die Sonne scheint schon in die kleine Gasse und auf die schmuckvolle Fassade des evangelischen Pfarramtes. Eine Umgebung wie aus einem „Harry Potter“-Film. Julia Schnizlein trägt noch zivile Kleidung, als sie das dämmrige Innere der Lutherkirche in Wien Währing betritt. Die Sonne blendet dicke Streifen in die dunklen Kirchenreihen. Schnizlein hat ihren schwarzen Talar angezogen und knöpft ihn zu. „Mich fragen Leute nach meinem Beruf“, erzählt sie, „und ich sage Pfarrerin. Oft kommt dann: , Fahrerin? Was fahren Sie denn?‘“
Nein, das Bild einer Pfarrerin sei noch nicht so sehr im Mainstream angekommen. Erstaunlich sei das, wie wenig die evangelische Kirche in Österreich wahrgenommen werde. Gut, sie ist auch eine Minderheit. Insgesamt hat die Kirche etwas mehr als 290.000 Mitglieder im Land, den allergrößten Teil macht die Kirche Augsburgischen Bekenntnisses (A. B.) aus. Aber die evangelische Kirche hat die Geschichte Österreichs auch wesentlich mitgeprägt. Hört man sich in der Gemeinschaft um, herrscht Befremden, bisweilen Frust darüber, dass genau dieser Aspekt außer Acht gelassen werde. Dass man von der evangelischen Kirche nicht mehr mitbekomme als die Karfreitagsdebatte: Erst am Samstag, während der Synode, beriet die Kirche über rechtliche Schritte gegen die Karfreitagslösung; wie berichtet sollte dieser Tag nur mehr als ein halber Feiertag gelten.
Als Vikarin wirkt Schnizlein seit eineinhalb Jahren in der Lutherkirche. Der Umstieg in den Kirchenberuf? Ja, der habe erstaunlich leicht funktioniert. Nach ihrem Theologiestudium hat die gebürtige Deutsche als Journalistin angeheuert, „mit 23, 24 Jahren habe ich mich zu jung gefühlt, um Pfarrerin zu werden“, erzählt sie. Schreiben, eine Arbeit, die sie glücklich ge- macht habe, aber die zuletzt doch recht oberflächlich geblieben sei. Als ihre zweite Tochter mit einem halben Herzen auf die Welt kam, habe sich die Wichtigkeit von Dingen verlagert. „Es sind ja so persönliche Erlebnisse, die einen darauf zurückwerfen, was zählt, was wichtig ist, was bleibt. Ich wollte mehr Tiefe, mehr Spiritualität.“ Gemeinsames Tragen. Die evangelische Community in Währing ist urban und jung, das zeigt schon ein Blick in die Gasse mit dem Kiesweg. Die Volksschule ist hier beheimatet, der Pfarrkindergarten. „Ich schätze es sehr“, sagt Schnizlein über ihre Gemeinde, „dass es ein gemeinsames Tragen ist. Und die Leute schätzen es, dass ich so sehr im Leben stehe.“Wenn ihr Kind krank und ihr Mann unterwegs ist, braucht sie einen Babysitter. Da springt schon einmal ein Gemeindemitglied ein. An ihre erste Predigt erinnert sich Schnizlein als vielleicht eine Spur zu gesellschaftspolitisch statt biblisch. Man wachse eben hinein. Die erste Beerdigung. Die erste Urnenbestattung. Ein gleichgeschlechtliches Paar würde sie sofort trauen, erzählt sie. „Vor allem mit dem Argument: Vor Gott sind alle gleich.“
Die Frage nach der Trauung homosexueller Paare treibt die evangelische Kirche derzeit um. Die Synode, das Parlament der kirchlichen Selbstverwaltung, beriet am Samstag auch darüber. Zuvor hat der theologische Ausschuss die Gemeinden angehört und Vorschläge herausgearbeitet. „Es gibt einen Kompromissvorschlag“, erläutert Lars Müller-Marienburg. Die Ehe bleibt zwischen Mann und Frau. Für gleichgeschlechtliche Paare gäbe es eine zur Ehe analoge Partnerschaft, die zwar öffentlich vollzogen wird – Eintrag ins Kir- chenbuch, Gottesdienst –, aber nur Segnung heißen darf. Bislang fand die Zeremonie, wenn denn ein evangelischer Pfarrer gleichgeschlechtliche Paare segnete, privat, in seinem seelsorglichen Rahmen statt. Die andere Möglichkeit wäre, die Ehe für alle mit der Trauung komplett gleichzustellen. Danach sah es bis zuletzt jedoch nicht aus.
Das Haus in St. Pölten, in dem Müller-Marienburg sitzt, hat das herrschaftliche Ambiente, das alten Landhäusern eigen ist. Auch wenn es „nur“zum Kompromissvorschlag kommt, sei die evangelische Kirche viel weiter als die anderen Kirchen im Land, sagt MüllerMarienburg. Aber er hat Schwierigkeiten mit dem Wording. Denn bei der Segnung Gleichgeschlechtlicher sollen wichtige Bibelstellen aus der Schöpfung ausgelassen werden, und das schmerze ihn. Die Geschichte von Adam und Eva zum Beispiel. Für ihn gehe es da nicht um die Geschlechtlichkeit in dieser Erzählung, sondern um „das Entgegenkommen Gottes. Die Suche nach einem Begleiter.“
Der Theologe ist seit mehr als zwei Jahren Superintendent der Diözese Niederösterreich – und auch der Erste in dieser Funktion, der sich zu seiner Homosexualität bekennt. Bevor er gewählt wurde, gab es intern teils kontroverse Debatten. „Drei Gemeinden
Kirchenaustritte, fehlender Nachwuchs, säkulare Welt: Das treibt die Kirche um.