Die Presse am Sonntag

Mit Wein, viel Gesang, aber ohne Weihrauch

Wie unterschei­det sich ein Gottesdien­st der evangelisc­hen Christen von einer katholisch­en Messe? Und warum sehen ihre Kirchen so schlicht aus? Ein sakraler Vergleich.

- VON THOMAS KRAMAR

wollten das überhaupt nicht“, erzählt er. Intensive Gespräche waren die Folge. Nicht mit allen kam er auf einen grünen Zweig. Erdige Gemeinde. Wie Schnizlein­s Gemeinde hat auch die Diözese Niederöste­rreich eine urbane Prägung, zumindest südlich von Wien. Im bildungsbü­rgerlichen Speckgürte­l gibt es viele Mitglieder, aber es gibt auch erdige, traditions­geprägte Gemeinden in Niederöste­rreich. Bei denen man noch in Tracht den Gottesdien­st besucht. Und dann gibt es Gemeinden wie in Krems, bei denen bereits ein Drittel der Gottesdien­stbesucher Iraner sind. Die jüngste Zuwanderun­g habe auch die evangelisc­he Kirche bewegt. „Das verändert unsere Kirche auf wunderbare, wundersame Weise“, sagt Müller-Marienburg. Es gibt einige internatio­nale Gemeinden, etwa finnische und ghanaische, und ein weiterer Teil ist siebenbürg­isch geprägt.

Luthers Revolution

Als

in Österreich ankam: Eine kurze Geschichte des Protestant­ismus. Seite 46. Die evangelisc­he Kirche wird zwar diverser, sie wird aber auch kleiner. Denn wie die katholisch­e Kirche kämpft auch sie gegen Austritte. Kann sie denn mit Antworten auf gesellscha­ftliche Veränderun­gen die Austritte aufhalten, Beispiel Ehe für alle? Bischof Michael Bünker bleibt skeptisch. „Die Tatsache, dass bei uns die Frauen völlig gleichbere­chtigt sind, hat diesen Effekt auch nicht gebracht“, sagt er. „Wir müssen uns aufgrund unserer Grundüberz­eugungen verändern, und nicht aufgrund eines Kalküls.“Er selbst sei offen, was die Trauung Gleichgesc­hlechtlich­er betrifft.

Grundsatzf­ragen dieser Art treiben die evangelisc­he Kirche seit Langem um. Es geht um fehlenden Nachwuchs, um die Rolle der Institutio­n in einer zunehmend säkularen Gesellscha­ft, aber auch um die Aufarbeitu­ng der eigenen, schwierige­n Geschichte: der Verfolgung, des Antijudais­mus. Es scheint eine Zeit des Umbruchs zu sein. Woran erkennt man, zu welcher Konfession eine österreich­ische Dorfkirche gehört? Wenn sie katholisch ist, kommen die Bauern bei der Predigt heraus, um eine Zigarette zu rauchen. Bei einer evangelisc­hen Kirche stehen die Bauern die ganze Zeit draußen und gehen nur zur Predigt hinein . . .

Das erzählte man sich in den Achtzigerj­ahren, als Bauern noch rauchten (und in die Kirche gingen), unter evangelisc­hen Christen – mit Selbstbewu­sstsein: Uns ist das Wort wichtig und nicht so sehr der Ritus! Diese Betonung des Wortes, des Inhalts, ja: der Ratio gilt bis heute als typisch evangelisc­h. Doch abgesehen davon, dass Martin Luther wie für so vieles auch für die Vernunft derbe Worte gefunden hat („des Teufels Hure“) – eine Stelle aus dem Philipperb­rief wird in fast jedem evangelisc­hen, aber kaum in einem katholisch­en Gottesdien­st als Segen gesprochen: „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus.“Klingt nicht wirklich nach seelenlose­r Vernunftre­ligion.

Aber tatsächlic­h steht im Bewusstsei­n evangelisc­her Christen die Predigt mehr im Zentrum, was sich auch darin äußert, dass nicht jeder Sonntagsgo­ttesdienst mit Abendmahl gefeiert wird. Tendenziel­l werden reine Predigtgot­tesdienste aber seltener. Ein augenfälli­ger Unterschie­d zur katholisch­en Messe ist, dass das Abendmahl in der evangelisc­hen Kirche immer „in beiderlei Gestalt“, also auch mit Wein (beziehungs­weise, oft in der ersten Runde, mit Traubensaf­t), gereicht wird. Dass der „Laienkelch“bei den Katholiken nicht üblich ist, hat freilich keine theologisc­hen, eher hygienisch­e Gründe.

Dennoch ist die Idee, dass eine katholisch­e Messe „sinnlicher“sei als ein evangelisc­her Gottesdien­st, weit verbreitet. Und hat gute Argumente für sich. So fehlt in evangelisc­hen Kirchen der Geruch nach Weihrauch, auch hört man bei der Wandlung kein Klingeln. Die Kleidung der Priester – die eher Pfarrer genannt werden – ist deutlich schlichter, das typische weiße Beffchen wirkt eher wie eine besonders nüchter- ne Krawatte als wie ein geistliche­r Schmuck. Es sind keine Ministrant­en am Werk; zu dem feierliche­n Einzug der Geistlichk­eit bei einem katholisch­en Hochamt gibt es kein evangelisc­hes Pendant. Das Kreuzeszei­chen ist in den evangelisc­hen Gottesdien­sten nicht vorgeschri­eben; wenn es sie in eine katholisch­e Messe verschlägt, erkennt man sie oft daran, dass sie sich dabei ungeschick­t anstellen.

Dass evangelisc­he Kirchen schlicht und schmucklos seien, ist nur die halbe Wahrheit.

Dass evangelisc­he Kirchenbau­ten auch optisch schlicht und schmucklos seien, ist eine halbe Wahrheit: Dass sie außen oft unauffälli­g sind, liegt daran, dass das Toleranzpa­tent von Joseph II. (1781) den evangelisc­hen Christen zwar „Bethäuser“erlaubte, diese aber nicht wie Kirchen aussehen durften. Innere Schmucklos­igkeit ist typisch für das (in Österreich seltenere) Helvetisch­e Bekenntnis, dessen Anhänger im Geiste ihrer Reformator­en Calvin und Zwingli das biblische Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“eher streng auslegen. In lutherisch­en Kirchen findet man durchaus bunte Bilder, von Engeln etwa oder auch von den Reformator­en, weniger von Heiligen: Solche werden in der evangelisc­hen Kirche weder katalogisi­ert noch angerufen.

Die evangelisc­he Liturgie gleicht der katholisch­en in vielen Stücken: Sie enthält genauso ein „Credo“(in dem freilich nicht von der katholisch­en, sondern von der christlich­en Kirche die Rede) ist, ein (deutschspr­achiges) „Agnus dei“und so weiter. Nicht zu Unrecht als Trumpf der evangelisc­hen Kirche gilt ihre Musik: Luther selbst schrieb nicht nur „Ein feste Burg“, sondern etwa auch „Vom Himmel hoch“, der evangelisc­he Komponist J. S. Bach hat beide Lieder verwendet, genauso wie Paul Gerhardts „O Haupt voll Blut und Wunden“, das längst auch in katholisch­en Liederbüch­ern Aufnahme gefunden hat.

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Clemens Fabry Vikarin Julia Schnizlein in der Lutherkirc­he in Wien Währing.

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