Mit Wein, viel Gesang, aber ohne Weihrauch
Wie unterscheidet sich ein Gottesdienst der evangelischen Christen von einer katholischen Messe? Und warum sehen ihre Kirchen so schlicht aus? Ein sakraler Vergleich.
wollten das überhaupt nicht“, erzählt er. Intensive Gespräche waren die Folge. Nicht mit allen kam er auf einen grünen Zweig. Erdige Gemeinde. Wie Schnizleins Gemeinde hat auch die Diözese Niederösterreich eine urbane Prägung, zumindest südlich von Wien. Im bildungsbürgerlichen Speckgürtel gibt es viele Mitglieder, aber es gibt auch erdige, traditionsgeprägte Gemeinden in Niederösterreich. Bei denen man noch in Tracht den Gottesdienst besucht. Und dann gibt es Gemeinden wie in Krems, bei denen bereits ein Drittel der Gottesdienstbesucher Iraner sind. Die jüngste Zuwanderung habe auch die evangelische Kirche bewegt. „Das verändert unsere Kirche auf wunderbare, wundersame Weise“, sagt Müller-Marienburg. Es gibt einige internationale Gemeinden, etwa finnische und ghanaische, und ein weiterer Teil ist siebenbürgisch geprägt.
Luthers Revolution
Als
in Österreich ankam: Eine kurze Geschichte des Protestantismus. Seite 46. Die evangelische Kirche wird zwar diverser, sie wird aber auch kleiner. Denn wie die katholische Kirche kämpft auch sie gegen Austritte. Kann sie denn mit Antworten auf gesellschaftliche Veränderungen die Austritte aufhalten, Beispiel Ehe für alle? Bischof Michael Bünker bleibt skeptisch. „Die Tatsache, dass bei uns die Frauen völlig gleichberechtigt sind, hat diesen Effekt auch nicht gebracht“, sagt er. „Wir müssen uns aufgrund unserer Grundüberzeugungen verändern, und nicht aufgrund eines Kalküls.“Er selbst sei offen, was die Trauung Gleichgeschlechtlicher betrifft.
Grundsatzfragen dieser Art treiben die evangelische Kirche seit Langem um. Es geht um fehlenden Nachwuchs, um die Rolle der Institution in einer zunehmend säkularen Gesellschaft, aber auch um die Aufarbeitung der eigenen, schwierigen Geschichte: der Verfolgung, des Antijudaismus. Es scheint eine Zeit des Umbruchs zu sein. Woran erkennt man, zu welcher Konfession eine österreichische Dorfkirche gehört? Wenn sie katholisch ist, kommen die Bauern bei der Predigt heraus, um eine Zigarette zu rauchen. Bei einer evangelischen Kirche stehen die Bauern die ganze Zeit draußen und gehen nur zur Predigt hinein . . .
Das erzählte man sich in den Achtzigerjahren, als Bauern noch rauchten (und in die Kirche gingen), unter evangelischen Christen – mit Selbstbewusstsein: Uns ist das Wort wichtig und nicht so sehr der Ritus! Diese Betonung des Wortes, des Inhalts, ja: der Ratio gilt bis heute als typisch evangelisch. Doch abgesehen davon, dass Martin Luther wie für so vieles auch für die Vernunft derbe Worte gefunden hat („des Teufels Hure“) – eine Stelle aus dem Philipperbrief wird in fast jedem evangelischen, aber kaum in einem katholischen Gottesdienst als Segen gesprochen: „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus.“Klingt nicht wirklich nach seelenloser Vernunftreligion.
Aber tatsächlich steht im Bewusstsein evangelischer Christen die Predigt mehr im Zentrum, was sich auch darin äußert, dass nicht jeder Sonntagsgottesdienst mit Abendmahl gefeiert wird. Tendenziell werden reine Predigtgottesdienste aber seltener. Ein augenfälliger Unterschied zur katholischen Messe ist, dass das Abendmahl in der evangelischen Kirche immer „in beiderlei Gestalt“, also auch mit Wein (beziehungsweise, oft in der ersten Runde, mit Traubensaft), gereicht wird. Dass der „Laienkelch“bei den Katholiken nicht üblich ist, hat freilich keine theologischen, eher hygienische Gründe.
Dennoch ist die Idee, dass eine katholische Messe „sinnlicher“sei als ein evangelischer Gottesdienst, weit verbreitet. Und hat gute Argumente für sich. So fehlt in evangelischen Kirchen der Geruch nach Weihrauch, auch hört man bei der Wandlung kein Klingeln. Die Kleidung der Priester – die eher Pfarrer genannt werden – ist deutlich schlichter, das typische weiße Beffchen wirkt eher wie eine besonders nüchter- ne Krawatte als wie ein geistlicher Schmuck. Es sind keine Ministranten am Werk; zu dem feierlichen Einzug der Geistlichkeit bei einem katholischen Hochamt gibt es kein evangelisches Pendant. Das Kreuzeszeichen ist in den evangelischen Gottesdiensten nicht vorgeschrieben; wenn es sie in eine katholische Messe verschlägt, erkennt man sie oft daran, dass sie sich dabei ungeschickt anstellen.
Dass evangelische Kirchen schlicht und schmucklos seien, ist nur die halbe Wahrheit.
Dass evangelische Kirchenbauten auch optisch schlicht und schmucklos seien, ist eine halbe Wahrheit: Dass sie außen oft unauffällig sind, liegt daran, dass das Toleranzpatent von Joseph II. (1781) den evangelischen Christen zwar „Bethäuser“erlaubte, diese aber nicht wie Kirchen aussehen durften. Innere Schmucklosigkeit ist typisch für das (in Österreich seltenere) Helvetische Bekenntnis, dessen Anhänger im Geiste ihrer Reformatoren Calvin und Zwingli das biblische Gebot „Du sollst dir kein Bildnis machen“eher streng auslegen. In lutherischen Kirchen findet man durchaus bunte Bilder, von Engeln etwa oder auch von den Reformatoren, weniger von Heiligen: Solche werden in der evangelischen Kirche weder katalogisiert noch angerufen.
Die evangelische Liturgie gleicht der katholischen in vielen Stücken: Sie enthält genauso ein „Credo“(in dem freilich nicht von der katholischen, sondern von der christlichen Kirche die Rede) ist, ein (deutschsprachiges) „Agnus dei“und so weiter. Nicht zu Unrecht als Trumpf der evangelischen Kirche gilt ihre Musik: Luther selbst schrieb nicht nur „Ein feste Burg“, sondern etwa auch „Vom Himmel hoch“, der evangelische Komponist J. S. Bach hat beide Lieder verwendet, genauso wie Paul Gerhardts „O Haupt voll Blut und Wunden“, das längst auch in katholischen Liederbüchern Aufnahme gefunden hat.