STECKBRIEF
Das Geschäft mit Krimis an Sehnsuchtsorten blüht im deutschen Sprachraum. Man braucht dazu eine attraktive Region, einen kompliziert-knackigen Kommissar und ein lokales Pseudonym.
Der Eissalon Amarino war früher die Schwulenbar Zanzibar, in der auch Thomas Mann verkehrte.“– „Insgesamt gibt es hier 500 Überwachungskameras, nicht wegen der Terroristen, sondern wegen der Parksünder und der Hundehalter.“– „Der Markt von Forville ist am Wochenende besonders toll, da bieten auch die Omis aus der Umgebung ihre Waren an, oft nur fünf Zwiebeln, ein paar Büschel Lorbeer und einen Korb Haselnüsse.“
Was Christine Cazon über Cannes nicht weiß, ist es auch nicht wert gewusst zu werden. Diese Einblicke macht die 57-jährige Deutsche seit einiger Zeit zu Geld, allerdings nicht als Fremdenführerin. Cazon schreibt Krimis über ihre Wahlheimat an der Coteˆ d’Azur. Damit schwimmt sie auf einer literarischen Erfolgswelle, die derzeit den deutschen Sprachraum überschwemmt. Die Mindestvoraussetzungen dafür sind ein Sehnsuchtsort (vorzugsweise in Frankreich oder Italien), ein attraktiver Kommissar mit Ecken und Kanten und ein lokales Pseudonym, das nicht verrät, dass man mitunter in Hamburg, Frankfurt oder München daheim ist.
Christine Cazon, mit bürgerlichem Namen Christiane Dreher, ist im Krimi-Import-Export-Geschäft eher eine Ausnahme. Cazon schreibt zwar auch als Deutsche über Frankreich, ist aber in Cannes verheiratet und lebt hier permanent. 2005 kam sie im Zuge einer Lebenskrise nach Südfrankreich, jobbte auf einem Bauernhof, verliebte sich in einen B&B-Betreiber, der kurz darauf starb, landete schließlich in Cannes, wo sie sich auf Übersetzungen konzentrierte, und lernte dabei ihren zweiten Mann, einen alteingesessenen „Cannois“, kennen.
Mit Cannes habe sie sich anfangs schwergetan, erzählt Cazon. „Meine Rettung war es, Krimis zu schreiben. Dafür musste ich mich auf die Stadt einlassen und Cannes in all seinen widersprüchlichen Facetten erforschen.“Cazon, die ihren Kommissar Leon´ Du- val an der azurblauen Küste ermitteln lässt, wollte vom „wirklichen“Cannes der kleinen Leute erzählen, abseits des Klischees von Filmfestspielen und Luxusjachten. Ihre Inspiration holt sie sich nicht selten aus der lokalen Zeitung „Nice-Matin“, von vergifteten Chefköchen bis zu verunglückten Immobilien-Tycoons.
Eine attraktive Lokalität zu finden und fiktiv munter draufloszumorden, ist die Ausweitung des Regionalkrimis, der sich in Deutschland und Österreich nicht enden wollender Beliebtheit erfreut. Hatte früher jedes Dorf seinen sprichwörtlichen Hund, ist es heute ein Mörder. Dieses Erfolgsrezept auf Gegenden auszuweiten, an denen man schon einmal Urlaub gemacht hat und die daher vom Wiedererkennungswert profitieren oder in die man gern einmal reisen würde, war da wohl ein logischer nächster Schritt.
Allerdings kein ganz neuer. Denn die Idee, sich an einer Traumdestination anzusiedeln, diese aus- und in ihr abzuschlachten, hat Tradition. Donna Leon tut es schon lang in Venedig, Martin Walker im südfranzösischen Perigord,´ Veit Heinichen in Triest. Sie legten den Grundstein für die nachgefragten „Überregionalkrimis“, die gewissen Ansprüchen gerecht werden müssen. Die Leser wollen darin auf den Spuren des (meist männlichen) Kommissars Land und Leute kennenlernen – und zwar so richtig: durch Hinterhöfe und Seitengassen streifen und in Restaurants essen, die (noch) als Geheimtipp gelten. Denn der kulinarische Aspekt ist in diesen Krimis ein ganz wichtiger, der Begriff „Lokal-Kolorit“wird umfassend interpretiert, inklusive Rezepten zum Nachkochen.
Was die neue Generation dieser Krimi-Autoren von ihren Vorgängern abhebt, ist, dass viele von ihnen unter einem Pseudonym schreiben. In den meisten Fällen ist das dem Bemühen um Authentizität geschuldet. Denn nicht alle Schriftsteller leben tatsächlich vor Ort. Die einen haben dort oft Urlaub gemacht, die anderen dort gearbeitet, manche teilen sich ihre Zeit zwischen der deutschen Realität und der ausländischen Fiktion auf oder haben sich dort zur Ruhe gesetzt. Viele Pseudonyme sind offen, einige Autoren jedoch wollen nicht „enttarnt“werden.
Manchen Lesern mag das bekannt
Christine Cazon
alias Christiane Dreher (* 1962) lebt seit 2005 in Frankreich und seit 2010 in Cannes. Die ehemalige Verlagsmitarbeiterin schreibt Krimis über das „Cannes der kleinen Leute“, in denen der einzelgängerische Kommissar L´eon Duval ermittelt. Außerdem bloggt sie über ihr Leben an der Cˆote d’Azur: http:// aufildesmots.biz.
„Das tiefe blaue Meer der Cˆote d’Azur“,
soeben erschienen, ist bereits der sechste Fall für Kommissar Duval und spielt im Milieu der letzten Berufsfischer von Cannes. KiWi, 320 Seiten, 10,30 Euro. sein, der eine oder andere dürfte sich aber wundern, wer wirklich hinter bretonischen oder provenzalischen Abenteuern steckt. So heißt Jean-Luc Bannalec, der den erfolgreichen Kommissar Dupin in der Bretagne ermitteln lässt, Jörg Bong und ist Verlagsleiter von S. Fischer. Sophie Bonnet, die provenzalische Krimis rund um Kommissar Durand schreibt, heißt tatsächlich Heike Koschyk und lebt in Hamburg. Hinter Gil Ribeiro, der seinen deutschen, leicht autistischen Kommissar Leander Lost in Portugal auf Verbrecherjagd schickt, steht der Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt, der seit Jahren an die Algarve reist. Bruno Varese, der seine Morde am Lago Maggiore ansiedelt, ist ebenso das Pseudonym eines deutschsprachigen Autors wie Giulia Conti („Lago Mortale“), Journalistin und Reisebuchautorin.
Manche Pseudonyme sind offen, andere geheim. Hinter einigen stecken Paare. Die Kulinarik spielt eine große Rolle: von Geheimtipps für Restaurants bis zu Rezepten.
Oft finden sich auch Paare hinter den Pseudonymen: Jean Bagnol (Commissaire Mazan) ist einer der vielen „noms de plume“des SchriftstellerEhepaares Nina George und Jens „Jo“Kramer. P. B. Vauville´ sind ein deutschfranzösisches Duo, die Paris-Experten Bertina Henrichs und Philippe Vauville.´
Besonders groß ist Kiepenheuer & Witsch in das Geschäft mit der schönen Leich am schönen Ort eingestiegen – wie andere Verlage auch nach Schema F: Die Bücher schauen recht gleich aus, haben um die 300 Seiten, sind als Serie angelegt, mit einem Titel, der die Handlung regional zuordnet. Sie dürften KiWi aber zu einem ziemlich erfolgreichen Jahr verholfen haben.
Doch Verlage sind nicht die einzigen, die die Anziehungskraft dieser „Reiseführer mit Leichen“erkannt haben. Tourismusbehörden kooperieren bei der Promotion, es gibt Touren auf den Spuren von Kommissar XY, ebenso wie Kochbücher. Auch das Fernsehen freut sich, kommt doch wenig bei Zusehern so gut an, wie ein feiner Mord an einem Ort, den man bei nächster Gelegenheit besuchen möchte. Noch dazu mit dem guten Gefühl, sich ja dort ohnedies schon fast auszukennen.