Doppelt museumsreif: Beaubourg im Louvre
Nicolas Ghesqui`ere ließ sich vom Treiben vor dem Centre Pompidou inspirieren und holte das Museum für Louis Vuitton in den Louvre. Bei Valentino trug man Poesie spazieren.
Frau anzufreunden scheint. Ein weiteres Liebkind unter den Pariser Nachwuchsdesignern ist Marine Serre, die, mit einem ausgesprochen ökologischen Bewusstsein ausgestattet, vor zwei Jahren den wichtigen LVMH-Modepreis erhielt. Ihre Herbstkollektion ist inspiriert von einem postapokalyptischen Setting, unter den Silhouetten finden sich – neben fluoreszierenden Outfits – auch Entwürfe, die an Protagonisten der Space-Age-Mode wie Courr`eges oder Pierre Cardin erinnern mochten. Hinter der Fassade einer nur vordergründig schreierischen Mode ließ Serre erneut ihr großes Talent als Designerin hervorblitzen. Zeitreise. Hatte man Hedi Slimane als neuem Chefkreativen im Hause Celine zuvor vorgeworfen, die DNA der Marke zu wenig zu würdigen, entkräftete er diesmal derlei Vorwürfe – wenngleich auf die ihm eigene Art. Er bediente sich ausgiebig in den Archiven und transportierte quasi ohne Brechung oder Umdeutung Looks aus der Vergangenheit auf den Laufsteg: Die bourgeoise Pariserin der 1970er-Jahre erlebte ihre Reinkarnation, das mochte nostalgisch stimmen, an wunderbare Frauen wie Romy Schneider denken und dabei doch ein eigentlich originelles Zutun etwas vermissen lassen.
Zu einer unverwechselbaren Formensprache für Givenchy findet indessen Clare Waight Keller, indem sie sich von Saison zu Saison weiterentwickelt. Diesmal setzte sie sich ausgiebig mit klar konturierten und präzise geschnittenen Umrissen auseinander, was ebenfalls zum Gesamtbild einer „Parisienne bien habillee“´ beitrug – dies aber ohne den Beigeschmack eines Second-Hand-Ladens.
Das Gut-angezogen-Sein heftet sich notwendigerweise Nad`ege Vanhee-Cybulski auf ihre Fahnen: Bei Herm`es, wo sie tätig ist, will man dezidiert kein Modehaus sein und weitgehend unabhängig von Trends agieren. Vanhee-Cybulski schöpft also aus der Tradition der Luxusmarke, die als Sattelmacherunternehmen begann. Die Welt des Reitsports war diesmal überaus präsent, beinah dachte man, Parallelen zum Modezirkus ziehend: Die Hürde der nächsten Saison ist überwunden. Zahlreiche Stammkunden und Ehrengäste kamen zu Chanel: Auch Claudia Schiffer (48) feierte den Designer, der sie einst entdeckte. Die Aufregung, die der Bau des Centre Georges-Pompidou 1977 auslöste, ist heute kaum nachzuvollziehen: Häuserblocks mussten geschliffen werden, die Architektur von Renzo Piano und Richard Rogers verstörte, und das alles auch noch für ein Kunstmuseum!
Nicolas Ghesquiere,` Jahrgang 1971, ist zu jung, um diese Empörung selbst miterlebt zu haben, er ließ sich jedoch von dem ebenso markanten wie heute untrennbar mit dem Antlitz von Paris verbundenen Gebäude inspirieren und widmete ihm kurzerhand die Herbstkollektion von Louis Vuitton. Das äußerte sich zum einen in der Showarchitektur: Man baute in einen Innenhof des Louvre, wo die Defilees der Luxusmarke derzeit stattfinden, eine Replik des Centre Pompidou (viele Pariser nennen das Museum nach dem umliegenden Viertel einfach Beaubourg). Echos der unverwechselbaren Röhren an der Fassade fanden sich vereinzelt in Drucken wider, und Ghesquiere` gab an, vom bunten Treiben der Menschen auf dem Vorplatz des Museums für seine eklektizistische Kollektion inspiriert worden zu sein.
Das Mischen und Neu-Zusammenfügen verschiedenster Versatzstücke ist freilich Teil von Ghesquieres` DesignABC, weshalb er die Inspiration eines urbanen Wimmelbilds in eine überzeugende Kollektion transponierte. Liebespoesie. Zu den Designern der Stunde zählt weiterhin Pierpaolo Piccioli bei Valentino. Auch er legte Zeugnis von weit über die Mode hinausgehenden persönlichen Interessen ab und widmete sich der Dichtung: Vier Poeten wurden von Piccioli eingeladen, Gedichte zum Thema seiner Kollektion („On Love“) zu schaffen – diese wurden in einem Gedichtband an die Gäste verteilt. Für Stoffdrucke in der Kollektion kooperierte Piccioli mit seinem Designerkollegen Jun Takahashi: Prominente Rosenmotive, die in auffällig vielen Kollektionen der internationalen Modewochen zu sehen waren, unterstrichen auch hier einen romantisch geprägten Gesamteindruck.
Lagerfelds Stimme unterbrach eine Schweigeminute im Grand Palais. Architektur, Kunst, Dichtung und Theoriewerke: Designer und ihre Inspirationen.
Weiterhin ihre Mission eines „female empowerment“, also der Ermächtigung von Frauen in der Gesellschaft, verfolgt mit modischen und anderen Mitteln Maria Grazia Chiuri im Hause Dior: Schickte sie als ersten Look ihrer allerersten Dior-Kollektion ein Slogan-T-Shirt mit der Aufschrift „We Should All Be Feminists“über den Laufsteg, zitierte sie diesmal den Titel der überaus einflussreichen, von Robin Morgan herausgegebenen Anthologie „Sisterhood Is Global“aus dem Jahr 1984. Die Mode selbst stand inhaltlich nicht in Zusammenhang mit diesem Unterbau: Die Inspiration waren die sogenannten Teddy Girls aus dem Großbritannien der Nachkriegszeit.
Für ihre in Paris gezeigte jüngere Zweitlinie geht Miuccia Prada meist von anderen Ausgangspunkten aus als für das Maison Prada. Diesmal schien sich der Mix aus floralen und „toughen“Elementen aber durchzuziehen, auch Capes gab es hier wie da zu sehen – wenngleich dominanter bei Miu Miu. Eine verstörende Art von Romantik, in Form für das 21. Jahrhundert gebracht: Das ist Frau Pradas Leitbild für die Saison, die das dritte Jahrzehnt des Jahrtausends einläuten wird.