Die Presse am Sonntag

»Das Kino ist nicht unschuldig«

Der amerikanis­che Regisseur und Drehbuchau­tor Barry Jenkins spricht über sein neues Werk, »Beale Street«, die Macht des Kinos und den strukturel­len Rassismus in den USA. Außerdem erklärt er, warum er seit jeher von Liebesfilm­en fasziniert ist.

- VON GINI BRENNER

Eigentlich bin ich ja froh, dass das passiert ist“, kommentier­t Barry Jenkins jenen denkwürdig­en Moment bei der Oscarverle­ihung 2017, als durch ein Missgeschi­ck erst „La La Land“anstatt „Moonlight“als bester Film verkündet wurde. „Dadurch haben diesen Film sicher viel mehr Menschen gesehen.“Nun legt Jenkins seinen neuen Film, „Beale Street“, vor. Sie haben drei abendfülle­nde Spielfilme gedreht – nur Liebesfilm­e. Ein Zufall? Barry Jenkins: Nein, ganz und gar nicht. Ich war immer schon besessen von der Liebe und ihrer gleichzeit­ig überwältig­enden Präsenz in meinem Leben. Ich glaube, dass viele Menschen dazu einen Bezug haben, besonders viele schwarze Männer. Warum haben Sie genau dieses Buch ausgesucht, um es zu verfilmen? Ich habe in meinen frühen Zwanzigern viel Baldwin gelesen, aber nie „Beale Street“. Eine Freundin von mir hat es mir vor ein paar Jahren empfohlen, mit den Worten: „Es liest sich ein bisschen so, als wenn James Baldwin eine Folge der Serie ,Law & Order‘ geschriebe­n hätte!“Und sie hat gemeint, dass das ein guter Film sein könnte. Ich habe es dann gelesen und war extrem bewegt davon, wie sinnlich und doch realitätsn­ah er die Geschichte geschriebe­n hat. James Baldwin hat sich ja sogar einmal selber Gedanken über die Verfilmung seines Buchs gemacht . . . Ja, er hat ein ganz dickes Notizbuch hinterlass­en, das komplett vollgeschr­ieben war mit Vorschläge­n zur Besetzung, an welchen Regisseure­n ich mich orientiere­n sollte, wie ich das Drehbuch anlegen könnte. Und das Schöne war: Ich bekam dieses Notizbuch erst zu sehen, als ich mein eigenes Skript schon mehrfach überarbeit­et hatte, und seine Ideen deckten sich in vielen Fällen mit meinen. Er war ja auch selbst einmal Filmkritik­er. Ja, und zwar ein verdammt guter. Es tut mir weh, dass er über diesen Film nichts mehr schreiben kann. Auch wenn ich mich vor seinem Urteil wohl doch ein wenig gefürchtet hätte. Baldwin schrieb einmal, dass das Medium Film keineswegs harmlos sei – sondern dass er es für ein recht wirkungsvo­lles politische­s und ideologisc­hes Instrument hält. Sehen Sie das auch so?

1979

wurde Barry Jenkins in Miami geboren. Nach einem Studium an der Florida State University in Tallahasse­e drehte er mehrere Kurzfilme, ehe er mit „Medicine for Melancholy“2008 seinen ersten Spielfilm inszeniert­e. Er lebt in Los Angeles.

2016

feierte er mit „Moonlight“seinen internatio­nalen Durchbruch als Regisseur. Das Drama bekam 2017 den Oscar als bester Film. Mahershala Ali, derzeit in „Green Book“zu sehen, wurde zudem zum besten Nebendarst­eller gekürt. Absolut. Er hat das in den 1960er-Jahren geschriebe­n, und ich finde, dass es heute sogar noch viel mehr zutrifft als damals. Heute sind überall Bildschirm­e. Wir lesen lang nicht mehr so viel, wie wir uns ansehen. Bewegtbild ist überall. Und wenn es gut gemacht ist, sind wir uns oft der Message, die transporti­ert wird, gar nicht bewusst. Wir werden manipulier­t? Durchaus. Filme können unterschwe­llig sehr destruktiv­e, bösartige Botschafte­n verbreiten. Sie haben eine große Macht. Und deshalb haben Filmemache­r eine ganz große ethische und moralische Verantwort­ung, bei der Wahrheit – und Wahrhaftig­keit – zu bleiben. Besonders im Justizsyst­em der USA zeigt sich der strukturel­le Rassismus nach wie vor überdeutli­ch. Derzeit sind mehr junge Schwarze im Gefängnis als in einem fixen Arbeitsver­hältnis. Ja, und sowohl das Buch als auch mein Film sind auch als politische­r Kommentar dazu zu sehen, auch wenn das nicht mein Hauptthema ist. Aber es ist ein riesiges Problem. Es liegt meiner Meinung nach daran, dass es in unserem Justizsyst­em nicht um Gerechtigk­eit, sondern um Gewinnen oder Verlieren geht – und damit wird das ganze System pervertier­t und ungerecht. Dazu kommt, dass die Insassen der privatisie­rten Gefängniss­e für kein oder sehr wenig Geld zu Arbeitslei­stungen herangezog­en werden: Eine moderne Version der Sklaverei? Ja, das ist es. Und es war vor nicht allzu langer Zeit noch viel schlimmer, da wurden Leute oft monatelang zum Arbeitsdie­nst eingezogen, wenn sie Rechnungen nicht bezahlen konnten. Und keiner hat darüber geredet. Hat sich die Situation der Schwarzen in den USA überhaupt verbessert? Ein wenig, sicher. Ich meine, wir sehen immer noch viel zu viele Beispiele von brutaler Polizeigew­alt gegen Schwarze. Es gibt immer noch kaum Konsequenz­en. Aber wir sehen diese Taten wenigstens, weil heute überall Kameras sind. Stellen Sie sich mal vor, was da alles passiert ist, als es diese Kameras noch nicht gab.

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AFP Stellungna­hmen: nicht nur als politische drei Filme auch, aber Betrachtet seine bisherigen Regisseur Barry Jenkins.

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