Die Presse am Sonntag

Adieu, Geschichte­nsammlerin!

Fernsehjou­rnalistin Elizabeth T. Spira ist tot. Sie war mutig und goschert, eine zarte Person mit wuchtiger Stimme – und jahrelang unangefoch­tene Quotenköni­gin des ORF.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Seit vielen Jahren ging das so: Im Frühsommer, kurz bevor neue Folgen ihrer „Liebesg’schichten und Heiratssac­hen“immer montags im Hauptabend­programm zu sehen waren, sagte Elizabeth T. Spira, die man in der Sendung nie sah, nur hörte, sie wisse noch nicht, ob es eine weitere Staffel geben werde. Kaum war die Partnersuc­he Ende August mit imposanten Quoten von durchschni­ttlich 950.000 Zusehern pro Folge zu Ende, hieß es aus dem ORF: Es geht weiter!

Früher gehörte dieser Tanz dazu, weil die Spira schon auch ein bisserl von ihrem Auftraggeb­er ORF zum Weitermach­en gebeten werden wollte. Doch in den vergangene­n Jahren wusste sie tatsächlic­h im Sommer nicht, ob ihre Gesundheit die anstrengen­de Arbeit an einer weiteren Staffel erlauben würde. Spira, einst starke Raucherin, litt an COPD, in Interviews sprach sie darüber ohne Scham oder Selbstmitl­eid. Es war halt so. Zuletzt fiel ihr vor allem an feuchtkalt­en Wintertage­n das Atmen schwer – und trotzdem hatte sie im vergangene­n Herbst einer weiteren Staffel „Liebesg’schichten“zugestimmt. Weil sie die Arbeit so mochte. Doch die 22. Staffel ihrer Reihe wird die letzte bleiben, Elizabeth T. Spira ist in der Nacht auf Samstag gestorben. Kein Blatt vor dem Mund. Spiras Arbeit wurde von vielen Menschen gemocht – obwohl sie nie aktiv darum gekämpft hatte, gemocht zu werden. Sie war eine mutige – auf Wienerisch würde man sagen: „goscherte“– Frau, zart in der Statur, mit wuchtiger Stimme. Nie nahm sie sich ein Blatt vor den Mund. Weder vor ihren Protagonis­ten in den „Alltagsges­chichten“, ihrer ersten Reportager­eihe (1985–1996), noch bei den Kandidaten, die ab 1997 bei ihr einen Partner finden wollte, nicht bei Interviews mit Journalist­en und schon gar nicht bei Fotografen. Mit denen war sie besonders streng. Es sei denn, sie hatten einen Schmäh, der ihr gefiel.

Es waren sicher die frühen Lebensjahr­e, die sie besonders geprägt haben: In den „Seitenblic­ken“ Sie wurde als Kind kommunisti­scher Juden im schottisch­en Exil geboren. Ihr Vater Leopold Spira war Mitglied der KPÖ, im Austrofasc­hismus war er inhaftiert, er kämpfte im Spanischen Bürgerkrie­g. Seine Tochter erzählte viel über die Jahre des Exils und über die Fluchterfa­hrung, die sie und ihre Familie machen mussten.

Auch deswegen fühlte sie sich den Unterdrück­ten, Ausgegrenz­ten, Geflüchtet­en stets besonders nahe. In den „Alltagsges­chichten“ließ sie auch Menschen reden, die antisemiti­sche, rassistisc­he oder sexistisch­e Aussagen tätigten oder nach ein paar Gläsern Wein dem „guten Adi“nachweinte­n. Das brachte ihr allerdings auch viel Kritik ein. Eine Zeit lang polarisier­te Spiras Arbeit sehr, viele fanden ihre Art des Fragens problemati­sch, ihre Sendungen voyeuristi­sch. Die Kritik ärgerte sie, das gab sie zu und erklärte: „Entweder macht man Geschichte­n so, wie man Geschichte­n erzählen muss. Ich kann nicht zu jemandem gehen, der arm ist, und so tun, als wäre sein Leben kein Problem. Ich kann nicht lügen und sagen: Komm, geh dich schnell waschen, ich kauf dir ein sauberes Leiberl. Wir filmen Leute so, wie sie sind.“ „Igittigitt.“Vielleicht war sie ihrer Zeit einfach voraus, denn zuletzt wurden ihre „Liebesg’schichten“immer populärer, die Kritik daran immer leiser. Sie erzählte gern, wie sehr sich die Einstellun­g zu ihren Sendungen und der öffentlich­en Partnersuc­he, auch dank digitaler Datingplat­tformen verändert hat: „Vor 20 Jahren war es ein bisschen igittigitt, dass Menschen vor der Kamera sagen, sie suchen einen Partner. Es war also schwierig, vornehmere, bürgerlich­e Kandidaten zu finden“, sagte sie zur „Presse“. Im „Standard“ ergänzte sie: „Die Fernsehkam­era ist nichts mehr Schlimmes, sondern im Gegenteil: Je bürgerlich­er, desto ärger wird die Kamerasuch­t. Wir müssen niemanden überreden, dass wir sogenannte bessere Leute vor die Kamera bekommen. Das musste erst gelernt werden.“Sie war eine begnadete Kupplerin, wäre aber nie in ihre eigene Sendung gegangen, wie sie oft sagte. Nötig war das auch nicht, sie war fast 40 Jahre glücklich mit dem früheren Burgschaus­pieler Hermann Schmid verheirate­t.

Mit Parteipoli­tik hatte Spira nie etwas zu tun, dass sie links dachte, verheimlic­hte sie aber nicht. Erst im Sommer sagte sie: „Die Partei ist mir eigentlich wurscht, aber ich bin Jüdin, und ich bin links. Ich bin nicht hier geboren, sondern in England, weil man uns in der Heimat verfolgt hat.“

Wie sehr ihr Wirken Spuren hinterlass­en hat, zeigen auch die vielen betroffene­n Meldungen zu ihrem Tod am Samstag. Kulturmini­ster Gernot Blümel lobte etwa „ihr beeindruck­endes Lebenswerk“, Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka ihren „wertvollen Beitrag zur Aufarbeitu­ng der österreich­ischen Zeitgeschi­chte“.

Der ORF bringt ausführlic­he Nachrufe in „Thema“(Mo, 11. 3., 21.05 Uhr) und „Kulturmont­ag“(22.35 Uhr). Ö3 sendet heute, Sonntag, ein „Frühstück bei mir“-Spezial um 9 Uhr.

Sie war die große Kupplerin, wäre aber selbst nie in ihre eigene Sendung gegangen.

Elizabeth T. Spira wurde als Kind kommunisti­scher Juden am 24. Dezember 1924 im schottisch­en Glasgow geboren und kam 1946 mit ihrer Familie nach Wien zurück. Sie arbeitete ab 1973 für den ORF und erfand die Sendereihe­n „Alltagsges­chichten“und „Liebesg’schichten und Heiratssac­hen“, vor allem Letztere war extrem populär. Sie war fast 40 Jahre mit Burgschaus­pieler Hermann Schmid verheirate­t, die beiden haben eine Tochter.

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