»Ich habe auch 90-Jährige als Fans«
Wie eine Krankheit und »Harry Potter« eine großartige Fantasyreihe entstehen ließen: Christelle Dabos im Interview. Bevor sie auf eine fremde „Arche“zwangsverheiratet wird, ist Ihre Heldin Bibliothekarin. Auch Sie wollten es werden, liest man, eine Krankheit kam dazwischen. Welche? Christelle Dabos: Am Ende meiner Bibliothekarsausbildung wurde ein Kiefertumor bei mir festgestellt, ich wurde notoperiert, mir wurde ein Knochen aus dem Bein genommen und im Gesicht eingesetzt. Die Krankheit hat mich völlig aus der Bahn geworfen. In der langen Rekonvaleszenz wurde das Schreiben für mich eine Zuflucht. 2013 erschien im renommierten Gallimard Verlag der erste Band von „Die Spiegelreisende“– seitdem werden Sie als FantasyAutorin gefeiert. Wie kam das? Ich habe mich als Kranke isoliert, war aber viel im Internet, eine Autorencommunity ist zu meiner zweiten Familie geworden. Dort wurde ich auch gedrängt, den Anfang des ersten Bands beim Gallimard-Jugendwettbewerb einzuschicken. Ich wollte nicht, habe ihn dann am Abend vor Ablauf der Frist geschickt, als einen von 1000 bis 2000 Texten. Ich dachte, die letzten werden sie sich nicht mehr anschauen . . . Dann hat mein Text gewonnen. Wie „Harry Potter“ziehen Ihre Bücher auch viele Erwachsene an. War das Absicht? Mir war beim Schreiben nicht bewusst, dass ich ein Buch für Jugendliche schreibe! Ich dachte an keine Zielgruppe. Aber ich bin wohl etwas verloren zwischen Kind- und Erwachsensein, das spiegelt sich in meinem Publikum. Deswegen gibt der Verlag die Bücher auch in zweifacher Ausgabe heraus. Ich hatte sogar eine 90-Jährige als Fan. Diese Welt hat ja auch viel „Retrohaftes“. Nicht nur Mittelalter-Fantasien des 19. Jahrhunderts fallen einem ein, auch Bücher wie „Alice im Wunderland“, „Jane Eyre“. . . Komisch, einige Monate davor habe ich „Jane Eyre“gelesen, aber den Bezug habe ich gar nicht gemerkt. Der zu „Alice im Wunderland“ist mir erst spät bewusst geworden. Bewusst geprägt haben mich Philip Pullmans Trilogie „His Dark Materials“, einige japanische Animationsfilme und „Harry Potter“.
... Ja, mit 20, 21 habe ich damit begonnen. Mir hat ungeheuer gefallen, dass mich die Autorin immer wieder in Fallen locken konnte, auch deswegen wollte ich schreiben. Und es gab eine Zeit, als ich im Frust des Wartens auf den nächsten, den fünften Teil angefangen habe, FanFiction zu schreiben. So kam ich letztlich zu meinen eigenen Geschichten. Der vierte Teil der „Spiegelreisenden“liegt beim Verlag, kommt noch einer? Nein, das weiß ich jetzt. Diese Welt wurde mit meiner Krankheit geboren, sie war nötig und schmerzlich. Jetzt schlage ich eine neue Seite in meinem Leben auf. Aber meine Fantasie ist so ausufernd und schwer kontrollierbar – es bleibt also wohl bei Fantasy.
Christelle Dabos,
geboren 1980 an der Cˆote d’Azur, veröffentlichte seit 2013 drei Bände ihrer Tetralogie „Die Spiegelreisende“, die zu Bestsellern wurden. Der erste Band ist nun auf Deutsch erschienen.
„Die Spiegelreisende, Band 1: Die Verlobten des Winters“
Von Christelle Dabos. Insel Verlag, 535 S.
„Der Atem einer anderen Welt“
Von Seanan McGuire. Fischer Tor, 464 S.
„Zerrissene Erde“
Von N. K. Jemisin. Knaur, 496 S.
„Erdsee. Die illustrierte Gesamtausgabe“
Von Ursula K. Le Guin. Fischer Tor, 1118 S.