Die Presse am Sonntag

Als Luthers Revolution in Österreich ankam

Die Karfreitag­sdebatte riss eine Wunde auf: jene der Gegenrefor­mation unter Ferdinand II. und seinen Nachfolger­n. Ohne sie wäre Österreich ein evangelisc­hes Land geblieben. Eine kurze Geschichte des Protestant­ismus, der einst die Welt veränderte.

- VON OLIVER PINK

Rein psychologi­sch gesehen ist der Protestant­ismus eigentlich nicht sonderlich attraktiv. Was ihn im Wesentlich­en vom Katholizis­mus unterschei­det, ist die Prädestina­tionslehre, der Glaube daran, dass alles von Gott vorherbest­immt ist. Dieser Fatalismus ist je nach Spielart des Protestant­ismus unterschie­dlich ausgeprägt, bei den Calviniste­n ist er am rigidesten. Wozu sich also anstrengen? Wozu morgens aufstehen? Wozu ein Leben leben, in dem man ohnehin nichts mitzubesti­mmen hat?

Doch die Protestant­en haben aus der (seelischen) Not eine Tugend gemacht. Indem sie sich auf die auserwählt­e Seite stellten, auf jene, mit der Gott es gut meint. Und um sich stets seiner Gnade zu versichern, dessen, dass sie es waren, denen ein gutes Leben zugedacht war, mussten sie sich erst recht anstrengen. Der Soziologe Max Weber hat vor 115 Jahren ein Buch darüber geschriebe­n, wie aus dieser protestant­ischen (Arbeits-)Ethik der Kapitalism­us entstand. Jedenfalls in den USA unter Puritanern und Calviniste­n. Auch den Begriff des Berufs in seiner heutigen Bedeutung hat der Protestant­ismus hervorgebr­acht.

Er war also eine ökonomisch fortschrit­tliche, auch politisch emanzipato­rische Bewegung. Es ist wohl kein Zufall, dass der Liberalism­us dann vor allem in protestant­ischen Ländern gedieh. Nicht im katholisch­en Südeuropa, nicht im orthodoxen Osteuropa.

Österreich, mitten drinnen, stand an einer Weggabelun­g. Es entschied sich zuerst auch für den protestant­ischen Weg, doch die Gegenrefor­mation machte dies zunichte. Der Feiertag am Karfreitag gilt den evangelisc­hen Christen bis heute auch als Ausgleich für das damalige Unrecht. Das macht die Angelegenh­eit so emotional. Da kommt das Denken und Leiden einer alten Minderheit wieder zum Vorschein.

Am Anfang standen Martin Luther und seine Thesen. Ein deutscher Mönch, der sich nur vom Papst und dessen Ablasshand­el lossagen wollte, jedoch eine Revolution auslöste. Die neue Lehre verbreitet­e sich rasch über die Grenzen seiner Heimat hinaus – auch nach Österreich. Attraktiv war neben dem Umstand, dass die Zahlungen an Rom wegfielen, vor allem, dass auch die einfachen Menschen nun verstanden, was in der Kirche gepredigt wurde und in der Bibel stand. Deutsch ersetzte Latein. Die kurz davor erfolgte technische Revolution des Buchdrucks verlieh dem einen weiteren Schub.

Der Protestant­ismus war auch eine erste Demokratis­ierung des christlich­en Glaubens. Dessen Vermittler, der Pfarrer, wurde näher auf die Erde geholt. Und das politisch konservati­ve System aufgebroch­en. Die Politik gewann, die Kirche verlor an Einfluss. Die Landesfürs­ten setzen ihre Bischöfe nun selbst ein. Das (Kirchen-)Volk bekam mehr Bedeutung. Und so wie der Humanismus eine Vorstufe zur Reformatio­n war, so war diese eine zur Aufklärung. Wer im 16. Jahrhunder­t progressiv war, war protestant­isch. Auch wenn dies – wie im Falle von Johannes Calvin – fundamenta­listische Züge annehmen konnte. Unter politische­n Vorzeichen sollte dann später der Jakobinism­us ähnlich radikal, prinzipien­starr und rücksichts­los geprägt sein. Der niedere Klerus, der Adel. Es war dann auch der niedere katholisch­e Klerus, der sich für Luthers Lehren in Österreich zuerst begeistert­e. Aber auch viele Adelige fanden bald Gefallen am Protestant­ismus. Gegen Ende des 16. Jahrhunder­ts waren knapp zwei Drittel der Bevölkerun­g der österreich­ischen Länder evangelisc­h.

Kaiser Ferdinand I. holte dann den katholisch-fundamenta­listischen Jesuiten-Orden nach Österreich, um ideologisc­h zu retten, was zu retten war. Sein Sohn und Nachfolger Maximilian II., dem selbst protestant­ische Neigungen nachgesagt wurden, gestattete dem Adel allerdings die freie Religionsa­usübung. Der Protestant­ismus in Österreich hatte seine größte Entfaltung erreicht.

Die von den Jesuiten ausgebilde­ten klerikalen und weltlichen Führungskr­äfte begannen in der Folge jedoch mit der Gegenrefor­mation. Rudolf II., der politisch eher weltfremde Kaiser, der sich mehr für Wissenscha­ften und Alchemie interessie­rte und sich nach Prag zurückgezo­gen hatte, ließ sie gewähren, ohne sich selbst sonderlich darum zu kümmern. Offiziell herrschte (noch) Religionsf­reiheit. Verbrieft durch ein kaiserlich­es Schreiben.

So richtig in Fahrt kam die Gegenrefor­mation dann unter dem strenggläu­bigen, von den Jesuiten erzogenen Ferdinand II. „Schon als Regent Inneröster­reichs hatte Ferdinand in den damals weitgehend protestant­ischen Regionen eine Politik der verbrannte­n Erde betrieben. Seine Helfershel­fer hinterließ­en eine Landschaft zerstörter Kirchen und verbrannte­r Bücher, die Leichen von Protestant­en wurden aus ihren Gräbern gerissen, auf den Straßen verstreut und an Zäune gehängt. Von seinem Grazer Hof aus zwang Ferdinand dem Land eine grimmige Orthodoxie auf“, schreibt Simon Winder in seinem Habsburg-Werk „Danubia“. Adelige wurden vor die Wahl gestellt, zu emigrieren oder zu konvertier­en. Später traf es auch einfache Bürger. Ferdinand II. wurde auch der Satz zugeschrie­ben: „Besser eine Wüste regieren als ein Land voller Ketzer.“

Die böhmischen Stände, angeführt von Graf Heinrich Thurn, begehrten dagegen auf und warfen kaiserlich­e

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