»Scheitern fasziniert mich unglaublich«
Katrin Brack ist eine der gefragtesten Bühnenbildnerinnen des deutschen Sprachraums. Mit dem Burgtheater arbeitet sie schon lang eng zusammen. Zuletzt kreierte sie für das Stück »Zu der Zeit der Königsmutter« eine Kulisse aus lauter Vorhängen. Mit der »Pr
Sie haben sich optisch ziemlich verändert. Katrin Brack: Ja, das sind die kurzen Haare und die neue Brille. Nun stehen in der U-Bahn plötzlich die jungen Leute auf, um mir ihren Sitzplatz anzubieten. Ich frage mich, ob das an meiner neuen Frisur liegt. Ich glaube nicht. Sie steht Ihnen gut. Aber ich sehe schon sehr anders aus, damit habe ich nicht gerechnet. Aber ich musste mit meinen Haaren etwas machen. Und mein Mann sagte zu mir: „Dann hab’ Mut.“ Lustig, in Ihrer Arbeit sind Sie stets mutig, aber wenn es um die eigene Gestaltung geht . . . . . . dann ist das etwas ganz anderes. (lacht) Braucht man als Bühnenbildnerin Mut? Ja, schon, natürlich. Etwa, wenn Ihr Bühnenkonzept in Frage gestellt wird? Nein, denn in Frage gestellt bleibt es ja immer, vor allem von mir selbst. Es ist ja nicht so, dass ich ein Konzept so auf Teufel komm raus durchziehe. (Pause) Wobei, ein bisschen tue ich das schon. Aber ich muss mir selber immer wieder Mut zusprechen, um meinen Ideen treu zu bleiben. Heute zum Beispiel, da habe ich bei den Proben etwas ausprobiert und mir im Nachhinein gedacht: „Sag einmal, spinnst du?“ Ist doch gut, wenn man etwas ausprobiert. Ich bin auch immer fürs Ausprobieren. Früher war ich da noch schwerfälliger. Dimiter Gotscheff (Anm.: bulgarischer Regisseur, mit dem Brack oft zusammengearbeitet hat) kam während der Proben oft mit einer gestalterischen Idee und ich dachte: „Das gefällt mir nicht. Das probiere ich nicht aus.“Aber manchmal habe ich mich doch überreden lassen, und oft war es tatsächlich kein guter Einfall. Aber es gab auch Momente, in denen ich erkennen musste, dass seine Ideen richtig gut waren. Seitdem versuche ich alles auszuprobieren. Wenn Sie ein neues Bühnenbild kreieren, wann entstehen dann die ersten Bilder in Ihrem Kopf? Beim Lesen des Stücks? Ja, schon. Aber wenn in dem Stück eine Bar vorkommt, dann käme es mir nie in den Sinn, über die Gestaltung einer Bar nachzudenken. Ich versuche ja meistens mit Dingen zu arbeiten, die ich im Theater vorfinde. Scheinwerfer oder Glühbirnen zum Beispiel. Aber eine Bar zu bauen, das fände ich nun wirklich völlig uninteressant. Und wenn im Text steht, dass alle Protagonisten an der Bar herumlungern? Bei „Iwanow“(Theaterstück von Anton Tschechow) lungern alle entweder im Haus oder vor dem Haus, und trotzdem gab es bei mir kein Haus. Oder bei „Kampf des Negers und der Hunde“(Stück von Bernard-Marie Kolt`es) spielt alles auf einer Baustelle in Afrika. Auf der Bühne rieselte andauernd Konfetti. Ich illustriere nicht, das interessiert mich nämlich nicht. Vielmehr geht es mir um das Erzeugen von Atmosphäre. Aber was haben jetzt Konfetti mit einer Baustelle zu tun? Gar nichts. Ich muss ja mit meiner Bühne nicht das doppeln, was die Schauspieler ohnehin spielen. Mischen sich oft die Regisseure bei der Gestaltung des Bühnenbilds ein? Natürlich gibt es die. Viele überlegen ja auch, wie die Bühne aussehen könnte, und ihre Vorstellungen interessieren
Katrin Brack
ist eine deutsche Bühnenbildnerin. Sie wurde 1958 in Hamburg geboren und lebt heute in Wien. Nach dem Studium arbeitete sie am Schauspiel Bochum unter der Intendanz von Claus Peymann. Danach machte sie mit ihren reduzierten Bühnenbildern auf sich aufmerksam und kreierte für das Deutsche Theater Berlin, die Berliner Schaubühne, die Volksbühne Berlin, das Deutsche Schauspielhaus, das Thalia Theater, die Münchner Kammerspiele und das Burgtheater zahlreiche Bühnenbilder. Sie arbeitete mit Regisseuren wie Dimiter Gotscheff, Luk Perceval und Simon Stone zusammen. In den vergangen Jahren erhielt sie zahlreiche internationale Auszeichnungen. Seit 2009 ist Brack Professorin für Bühnenbild an der
Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.
2017 wurde sie auf der
für ihr Lebenswerk mit dem
Biennale Goldenen Löwen
geehrt. mich immer. Aber das heißt nicht, dass ich das alles machen möchte. Haben Sie erlebt, dass Regisseure mit Ihrem Vorschlag gar nichts anfangen konnten? Ja, mit Luk Perceval (Anm.: belgischer Theaterregisseur) schon öfter. Und was war dann? Wenn der Regisseur sagt, er kann damit nichts anfangen, kann ich mir überlegen, ob ich aussteige oder mir etwas anderes einfallen lasse. Ganz einfach. Der Regisseur sitzt am längeren Hebel. Aber ich arbeite vor allem mit Regisseuren zusammen, die daran interessiert sind, dass es zu einer Setzung kommt. Was ist eine Setzung? Meine Bühnen sind Setzungen, also Raum-Erfindungen. In einem Raum aus Nebel kann der Zuschauer die verschiedensten Assoziationen haben. In München unterrichte ich an der Kunstakademie die Bühnenbild-Klasse. Wenn meine Studenten mit abstrakten Überlegungen beginnen, dann mag ich das gar nicht. Abstraktion kann ja wirklich sehr beliebig sein. Ich glaube, man muss mit ganz konkreten Vorstellungen beginnen. Erst dann kann ich anfangen zu abstrahieren. Ich verwende in meinen Bühnen die Materialien als das, was sie sind. Man weiß genau, das sind Konfettis, Scheinwerfer, das ist Nebel oder Theaterschnee. Dass die Räume trotzdem oft abstrakt wirken, assoziieren allein die Zuschauer. Bauen Sie Modelle? Immer, auch wenn im Modell vielleicht nicht alles darstellbar ist. Und dann gibt es ja noch die Bauprobe. Wobei Sie mit Ihren Bühnenbildern die Theaterwerkstätten gar nicht groß beanspruchen müssen. Bei „Zu der Zeit der Königsmutter“ schon, denn es gibt viele Vorhänge, und die mussten alle genäht werden. Es gibt Bühnenbildner, die verlangen Schauspielern alles ab. Etwa wenn sie glatte, steile Flächen kreieren, auf denen die Schauspieler dauernd rauf- und runterrennen müssen. Mir fallen zwei Beispiele von Kollegen ein, die zu dem passen, was Sie da beschreiben. Die fand ich allerdings sehr spannend. Sie waren aber nicht meine Art von Bühnenbild. Normalerweise müssen Schauspieler meine Bühnen nicht bedienen, nicht bespielen oder daran herummachen. Das mag ich gar nicht. Meine Bühnenbilder haben etwas Autonomes. Sie operieren unter anderem mit beißendem Nebel oder Dauerregen auf der Bühne. Wie ist das für die Schauspieler? Also der Regen war damals entnervend für die Schauspieler, und das haben sie auch gesagt. Es geht mir nicht darum, irgendjemanden zu quälen, aber damals ging es eben nicht anders. Die Schauspieler hatten unter der Kleidung allesamt Neoprenanzüge an, damit sie nicht völlig auskühlen. Gelingt es Ihnen, sich während all der Proben den Blick des Zuschauers zu bewahren? Ich bin immer mein erster Zuschauer, das beginnt mit dem Blick auf mein Modell. Aber es gibt nicht „den Blick des Zuschauers“, denn jeder hat einen anderen Blickwinkel auf die Bühne. Und im Gegensatz zum Film, wo jede Szene durchkomponiert ist, hat der Zuschauer im Theater immer den Blick aufs große Ganze. Er hat immer die freie Wahl, worauf er sich konzentriert: Auf die Spieler, die gerade vorn stehen und sprechen, oder jene, die sich irgendwo im Hintergrund aufhalten. All das kann weder der Regisseur noch ich steuern. Im Theater spielt der Zufall eine große Rolle. Das ist das Reizvolle. . . . welcher Bühnenbildner Sie geprägt hat? Wilfried Minks ( Anm.: deutscher Bühnenbildner, 1930–2018), er ist für mich der Vater von allem, weil er der Erste war, der ein Einheitsbühnenbild, also einen Einheitsraum gemacht hat. Das gab es zuvor nicht. Er war auch der Erste, der Pop-Art und Glühbirnen integriert hat. In vielen Dingen war er prägend. . . . ob Sie eine Lieblingsbühne haben? Natürlich. Die Berliner Volksbühne. Auch das Akademietheater ist ein großartiger Raum, weil er so intim ist. ... ob Ihnen ein Bühnenbild einmal so richtig misslungen ist? Ja, bei „Iphigenie auf Tauris“in den Münchner Kammerspielen. Da wollte ich nur mit Wind arbeiten. Das ging aber gar nicht, denn sobald Wind eine Kraft hat, werden die Windmaschinen sehr laut. Wir haben sie dann schallgedämpft, aber es war nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Begleitet Sie die Angst, mit Ihrer Arbeit zu scheitern? Natürlich! Aber Scheitern ist ein Thema, das ich wahnsinnig spannend finde. Bas Jan Ader (niederländischer Video- und Konzeptkünstler, 1942–1975) hat sich in seinen Arbeiten immer mit dem Scheitern befasst. Er ist in Amsterdam so lang mit dem Fahrrad gefahren, bis er in einer Kracht gelandet ist. Oder er hat sich an einem Baumast festgehalten, bis er runtergefallen ist. Oder mit dem Stuhl auf eine Dachschräge gesetzt, bis er hinunterstürzte. Wie alt ist er geworden? Nicht alt. Einmal beschloss er, mit einem winzig kleinen Segelboot den Atlantik zu überqueren. Zehn Monate nach seiner Abreise wurde sein Boot an der Küste Irlands angetrieben. Sein Körper wurde aber nie gefunden. Furchtbar. Seine letzte Unternehmung war eben sein größtes Scheitern. Vielleicht wollte er das so. Scheitern war eben seine Obsession. Was fasziniert Sie daran so? Es fasziniert mich unglaublich, weil im Scheitern selbst so vieles liegt. Und letztlich scheitert jeder, es gibt keinen Künstler, der nie gescheitert ist. Dennoch wünscht man es sich nicht unbedingt. Sicher, es zuzulassen und es zu erleben ist ganz schwer. Und trotzdem kann man manchmal im Nachhinein feststellen, dass aus dem Scheitern heraus etwas ganz Tolles, Neues entstanden ist. Mir ist es viel lieber, an etwas zu scheitern, als es gar nicht erst versucht zu haben. Um die großen Resultate geht es mir nicht, sondern darum, es immer wieder aufs Neue probiert zu haben.