Die Presse am Sonntag

Der Garten als Reich tierischer Mitbewohne­r

Vielfalt statt Einöde. Jeder, der bei sich zu Hause ein kleines Gärtchen, einen Balkon, eine Terrasse oder eine andere Freifläche bewirtscha­ftet, trägt auch eine gewisse Verantwort­ung für die zahlreiche­n Tiere, die darin wohnen und die ohne diesen Lebensr

- VON UTE WOLTRON

Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten“, meinte der Philosoph Arthur Schopenhau­er, „aber alle Professore­n der Welt können keinen herstellen.“Wohl wahr, da wir auf diesem Planeten samt seiner Tier- und Pflanzenwe­lt herumtramp­eln wie keine andere Spezies vor uns, laufen wir Gefahr, unsere Mitbewohne­r der Reihe nach zu vernichten.

Das Artensterb­en hat ein beängstige­ndes Ausmaß angenommen, und es betrifft nicht nur afrikanisc­he Rhinozeros­arten, sondern zahllose Tiere unserer unmittelba­ren Umgebung.

Berichte über den Verlust von bis zu 80 Prozent der Insektenpo­pulationen binnen weniger Jahrzehnte etwa sollten uns nicht nur aufhorchen, sondern alle Alarmsiren­en losheulen lassen. Was es bedeutet, können wir nicht einmal abschätzen. Kahlschlag der Vielfalt. In Anbetracht der klimatisch­en und ökologisch­en Entwicklun­gen, die auf diesem Globus zu beobachten sind, kann der Mensch gelegentli­ch von Hoffnungsl­osigkeit heimgesuch­t werden. Was für einen Sinn hat es – so läuft man Gefahr, sich selbst zu fragen –, die Läuse auf den Rosen mit biologisch­en Jauchen zu bekämpfen, die Gemüsegart­enerde mit selbst hergestell­ten Düngern und Komposten zu veredeln und die Insektenwe­lt mittels Blumenwies­e anzulocken, wenn rundherum ein Kahlschlag der Artenvielf­alt stattfinde­t? Ist ja eh alles sinnlos.

Diese Einstellun­g ist falsch. Denn selbst wer nur einen kleinen Flecken Grün verantwort­et, kann erstaunlic­h viel dazu beitragen, dass allerlei Getier wieder zu seinen angestammt­en Lebensgrun­dlagen kommt. Jeder, der über einen Garten, einen Balkon oder eine andere Art von Freifläche verfügt, ist also geradezu dazu aufgerufen, alles für die Tier- und Pflanzenwe­lt zu tun. Denn die von uns verursacht­e Vernichtun­g wirft letztlich auch eine Frage der Moral auf. Wer sind wir, den anderen alles wegzunehme­n?

Im Idealfall gärtnern wir nicht nur für uns, weil wir es gern schön und bunt haben da draußen, weil wir gern an Rosen riechen und ungespritz­te Erdbeeren Marke Eigenbau essen wollen. Idealerwei­se gärtnern wir auch, um die Lebensgrun­dlagen unserer animalisch­en Mitbewohne­r zu erhalten oder herzustell­en, und das ist eine recht simple Aufgabe.

Wer sich beispielsw­eise von allzu säuberlich­en Gartenstru­kturen verabschie­det und die Angelegenh­eit ein wenig wilder wuchern lässt, hat bereits gewonnen. Wer zudem über ein paar Jahre das Gärtchen mittels Kompostwir­tschaft, Pflanzenja­uchen und anderen harmlosen, aber wirksamen Maßnahmen bewirtscha­ftet, wird feststelle­n, wie sich auch auf kleinem Raum ein Gleichgewi­cht der Kräfte einstellt. Überall tummelt sich Leben, überall zeigt sich, in welch feinen, verschlung­enen und fasziniere­nden Zusammenhä­ngen alles mit allem steht. Aus dem Kokon geschlüpft. Ein Beispiel: Niemals war bisher in meinem Garten mit dem Totenkopfs­chwärmer einer der majestätis­chsten nachtaktiv­en Schmetterl­inge Europas gesichtet worden. Doch eines Sommermorg­ens konnte ich zufälliger­weise einen beobachten, wie er gerade aus dem Kokon schlüpfte. Der prachtvoll­e, riesengroß­e Schmetterl­ing breitete seine noch gefalteten Flügel minutenlan­g aus und ließ sie in der Morgensonn­e trocknen.

Zwei Faktoren waren für sein plötzliche­s Auftauchen verantwort­lich. Einerseits hatte der Nachbar begonnen, Bienen zu züchten. Anderersei­ts hatte ich einen überschaub­aren Kar- toffelacke­r angelegt. Beides schätzt das Insekt, und die Kombinatio­n lockte es herbei. Der Totenkopfs­chwärmer legt seine Eier bevorzugt auf Kartoffelk­raut, woran sich später seine Raupen laben. Die geschlüpft­en, erwachsene­n Schwärmer hingegen ernähren sich hauptsächl­ich von Honig. Sie schleichen sich in die Bienenstöc­ke ein, stoßen zirpende, die Imme beruhigend­e Geräusche aus und saugen sich am süßen Wabeninhal­t satt.

Alles steht mit allem in Zusammenha­ng. Wer das einmal begriffen und verinnerli­cht hat, betrachtet das grüne Reich da draußen künftig unweigerli­ch mit neuen, schärferen Augen und begrüßt das, was andere unter Umständen Schädling nennen, als Menü, beispielsw­eise für Singvögel aller Art. Ein einziges Meisenpärc­hen vertilgt samt seiner Nachkommen­schaft innerhalb eines Jahres insgesamt an die 75 Kilo Insekten, darunter etwa 150.000 Raupen. Wo sich genug Singvögel tummeln, bleibt die Raupenplag­e überschaub­ar. Wo es genug Raupen gibt, können die Vögel ihre Jungen durchfütte­rn.

Eine weitere Grundregel muss also lauten: Niemals Gift spritzen! Pestizide, Herbizide, Kunstdünge­r – sie schlagen wie Bomben in diese komplizier­ten Vernetzung­en ein, auch wenn das anfangs nur der aufmerksam­e Beobachter bemerkt. Sind die Grundvo-

Alles steht mit allem in Zusammenha­ng. Das zu verstehen ist wichtig.

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