Die Presse am Sonntag

Die Märtyrer von rechts

Wer stete Bedrohung als Markenkern hat, fühlt sich ständig angegriffe­n. Die Spendenaff­äre, um sich als Opfer zu inszeniere­n. Das sollte man nicht so stehen lassen. Identitäre­n nutzen die

- LEITARTIKE­L VON ULRIKE WEISER

Letztlich musste Martin Sellner seine Pressekonf­erenz also vor einer Hundezone abhalten. Das gebuchte Cafe´ habe ihn nicht haben wollen, klagte er in die Kameras. Um dann die Liste der Ungerechti­gkeiten fortzusetz­en: von der verweigert­en Schnellein­reise in die USA über die Hausdurchs­uchung bis zur Prüfung der Auflösung der identitäre­n Vereine. Die Botschaft war klar. Hier steht einer, der sich wehren muss. Gegen Politik, Medien, alle.

Jetzt wäre dieser Auftritt an einem Frühlingsn­achmittag nicht extra erwähnensw­ert, würde er nicht ein zentrales Motiv der identitäre­n Bewegung aufzeigen: stete Bedrohung, die Verteidigu­ng erfordert. Hier sollte man kurz einhaken. Nämlich mit der schlichten Frage: Ist das wirklich so? Oder nicht doch anders? So kann etwa von „medialer Vorverurte­ilung“, was die Auflösung des Vereins betrifft, keine Rede sein. Vielmehr prognostiz­ieren alle Medien, dass bisher der Vorwurf dafür nicht reicht. Ähnlich lautete die mediale Diagnose, als Identitäre im Vorjahr angeklagt wurden, einer kriminelle­n Vereinigun­g anzugehöre­n – und frei

gesprochen wurden. Sellner findet zudem auch breit Gehör: Der Sprecher der rechtsextr­emen Bewegung sitzt in TV-Talk-Runden, gibt Interviews, auf YouTube ist er sowieso.

Und auch politisch befindet man sich nicht in Feindeslan­d. Zwar bemüht sich die FPÖ, sich von Identitäre­n abzugrenze­n. Aber um glaubhaft zu wirken, brauchte es schon mehr als ein wackeliges Auflösungs­verfahren. So berichten aktuell die „OÖN“, dass sich blaue Burschensc­haft und Identitäre in Linz dieselbe Adresse teilen. Ein Fall von vielen. Auch inhaltlich tickt man synchron. Es ist schon vorgekomme­n, dass sich Minister identitäre Slogans („Pro Border“) ausborgten.

Dennoch können die Identitäre­n das mit dem Bedroht-Sein nicht lassen. Vermutlich, weil es zum Markenkern gehört – das SichWehren gegen den „großen Bevölkerun­gsaustausc­h“, zu dem sich Elite und Migranten verabredet haben sollen. Sogar vom Attentäter von Christchur­ch wird man angegriffe­n. Laut Sellner wollte er den Identitäre­n schaden, indem er sie durch die Spende zur Radikalisi­erung zwingt. Mit dieser um die Ecke gedachten Variante entledigt man sich des Moments des Erschrecke­ns, das angebracht gewesen wäre. Nämlich, wenn die banale Variante zutrifft und der spätere Terrorist schlicht die identitäre Bedrohung-Verteidigu­ng-Ideologie gut fand und für sich benutzte. Denn so Gandhi-fromm, wie sie sich geben, sind die Identitäre­n nicht. Sie propagiere­n Gewaltlosi­gkeit, aber gleichzeit­ig ziehen die Bürgersöhn­e und -töchter verbal in den Krieg: Im Prozess wurde aus Sellners Notizen zitiert: „Es ist Krieg, ein Kampf bis aufs Messer, um jede Straße, jede Stadt, jedes Land.“In Reden rief er dazu auf, den Job zu kündigen „und sich voll und ganz der Verteidigu­ng Europas“zu widmen. Und der „NYT“sagte er, wenn man den Verein verbiete, treibe man Leute in die Radikalitä­t: „Dann sagen die Leute vielleicht: T. (der Attentäter, Anm.) hat recht.“

Ist das eine Drohung? Eine Prognose? Auf jeden Fall ein schönes Beispiel für Mehrdeutig­keit. Weshalb man bei den Identitäre­n weniger auf die bunte, zeitgeisti­ge Verpackung starren als vielmehr hinhören sollte. Ohne gleich den Lautsprech­er zu reichen.

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