Noch im Amt, doch schon fern der Macht
Der britischen Premierministerin brachte selbst ihre Rücktrittszusage am Freitag kein Yes für ihren EU-Deal ein. Mays Abgang ist unvermeidlich.
Vornübergebeugt, mit schleppendem Schritt und bis in die letzte Faser erschöpft – in den letzten Phasen des BrexitDramas zeigt sich Theresa May schwer gezeichnet von den monatelangen Auseinandersetzungen. Doch selbst mit dem Versprechen ihres vorzeitigen Rücktritts konnte sie am Freitag ihren Austritts-Deal mit der Europäischen Union auch im dritten Versuch nicht im Parlament durchsetzen. Ein Regierungsmitglied sagte: „Sie wollte sich ins Schwert stürzen, aber selbst hier hat sie daneben getroffen.“
Zwar berichtete die BBC am Samstag, dass die Regierung nächste Woche noch eine vierte Abstimmung im Parlament ansetzen könnte. Dass Mays Kalkül jedenfalls bisher nicht aufgehen würde, war indes absehbar. Einmal mehr war sie den Hardlinern ihrer Partei entgegengekommen. „Was wir sicher nicht wollen, ist, dass diese Meute am anderen Ende des Korridors an die Macht kommt“, versprach sie den Konservativen in der Fraktionssitzung am Mittwoch mit Blick auf die nebenan tagende Labour Party. Dabei übersah sie, dass sie ohne Abweichler der Opposition keine Chance auf Mehrheit hatte.
Nicht zum ersten Mal: Denn für die 62-jährige Pastorentochter aus dem gutbürgerlichen Oxfordshire, die seit 1997 dem Abgeordnetenhaus angehört, ist Politik vor allem zweierlei:
Pflichterfüllung und Kampf. Obwohl sie 2016 (spürbar verhalten) für den Verbleib in der EU geworben hatte, machte sie es sich bei ihrer Amtsübernahme damals im Juli zur Maxime, den Willen der 52 Prozent umzusetzen, die für den Brexit gestimmt hatten. Wo denn „ihr Engagement für die 48 Prozent, die für die EU waren“sei, wurde sie am Freitag im Unterhaus gefragt. May blieb eine Antwort schuldig.
Wer nicht auf ihrer Seite steht, wird eben bekämpft. Das ist zuerst der politische Gegner, die Labour Party. Aber auch sonst war sie wenig zimperlich. Als Innenministerin proklamierte sie eine Politik eines „feindlichen Umfelds“gegen Einwanderer. Als „Bürger von nirgendwo“beleidigte sie Millionen EU-Bürger im Land in Tönen, die Vergleiche mit unseligen Reden über „Kosmopoliten“hervorriefen. Die Frau ohne Vision. Nicht zu ihrer Politik gehörte eine Vision. „Brexit Means Brexit“bleibt bis heute ihre tiefsinnigste Auslassung zu dem Thema. Ohne zwingenden Grund löste sie im März 2017 das Austrittsverfahren aus. Als sich London endlich besann, eine Linie festzulegen, bunkerte sich May ein: Austritt aus Zollunion, Binnenmarkt und dem EU-Gerichtshof wurden die Eckpfeiler. Das ging weiter, als es die Brexit-Ultras gefordert hatten.
Wenig geschickter war sie in der Personalpolitik: Zum ersten Brexit-Minister ernannte sie den Hardliner David Davis, der zwar mit großen Worten, weniger aber mit Arbeitseifer glänzte: Von den „leichtesten Verhandlungen aller Zeiten“sprach er zu Beginn des Austrittsprozesses. Zu ihrem Außenminister machte sie Boris Johnson, vermutlich die unglücklichste Wahl eines Mitarbeiters seit Marcus Junius Brutus.
Angetreten war May als Nachfolgerin von David Cameron, der mit der EUVolksabstimmung 2016 den Streit über das Thema Europa „ein für allemal beenden“hatte wollen. Das Gegenteil war der Fall. Wenn das Votum ein gespaltenes Land gespiegelt hat, sind die damaligen Gräben heute zu Schluchten geworden. Regierung, Parlament, Parteien, Volk – einig sind sich die Briten nur mehr in der Ablehnung aller Optionen. Nur sechs Prozent erwarten noch ein „gutes Resultat“des Brexit.
Als sie Sommer 2018 mit dem Chequers-Papier die Notbremse ziehen wollte, war es zu spät. Hardliner wie Johnson und Davis sprangen ab. Statt sich von ihrem Einfluss zu befreien, suchte sie weiter die Verständigung, während sie in drei Jahren kein einziges ernsthaftes Gespräch mit der Opposition suchte. Je mehr sie den Feinden nachgab, umso mehr genossen diese es, sie zu demütigen: Mays historische Abstimmungsniederlage im Jänner feierte ihr Partei-„Freund“Jacob ReesMogg mit einem Champagnerempfang.
May, an Diabetes leidend, kämpft unerschüttert weiter. Die kleine Zahl Mitarbeiter, auf die sie hört, schrumpft am Ende vermutlich auf ihren Mann, Philip, mit dem sie seit 1980 in kinderloser Ehe verheiratet ist. In Zeitungen wurde nicht mehr über ihre High Heels in Leopardenmuster berichtet, sondern sie mutierte ob ihres roboterhaften Auftretens zum „Maybot“. Mit verheerenden Auftritten verwandelte sie 2017 einen sicher geglaubten Wahlsieg zum Debakel. Längst war unklar, was Entschlossenheit war, und was Starrsinn. Die „verdammt schwierige Frau“. Der frühere konservative Schatzkanzler Ken Clarke nannte May einmal eine „Bloody Difficult Woman“. Sie hat das stets als Kompliment aufgefasst. Wie lang aber kann sie noch weitermachen?
„Ich werde das zu Ende führen“, sagte sie. Aber sie hat nicht nur die Kontrolle verloren, sondern auch die Autorität. An Königsmördern mangelte es den Tories nie. Einer davon, Enoch Powell, sagte einmal: „Alle politischen Karrieren enden im Scheitern.“May wird es nicht anders sehen können.
Boris Johnson war vermutlich die unglücklichste Wahl eines Mitarbeiters seit Brutus.