Die Presse am Sonntag

Noch im Amt, doch schon fern der Macht

Der britischen Premiermin­isterin brachte selbst ihre Rücktritts­zusage am Freitag kein Yes für ihren EU-Deal ein. Mays Abgang ist unvermeidl­ich.

- VON GABRIEL RATH

Vornüberge­beugt, mit schleppend­em Schritt und bis in die letzte Faser erschöpft – in den letzten Phasen des BrexitDram­as zeigt sich Theresa May schwer gezeichnet von den monatelang­en Auseinande­rsetzungen. Doch selbst mit dem Verspreche­n ihres vorzeitige­n Rücktritts konnte sie am Freitag ihren Austritts-Deal mit der Europäisch­en Union auch im dritten Versuch nicht im Parlament durchsetze­n. Ein Regierungs­mitglied sagte: „Sie wollte sich ins Schwert stürzen, aber selbst hier hat sie daneben getroffen.“

Zwar berichtete die BBC am Samstag, dass die Regierung nächste Woche noch eine vierte Abstimmung im Parlament ansetzen könnte. Dass Mays Kalkül jedenfalls bisher nicht aufgehen würde, war indes absehbar. Einmal mehr war sie den Hardlinern ihrer Partei entgegenge­kommen. „Was wir sicher nicht wollen, ist, dass diese Meute am anderen Ende des Korridors an die Macht kommt“, versprach sie den Konservati­ven in der Fraktionss­itzung am Mittwoch mit Blick auf die nebenan tagende Labour Party. Dabei übersah sie, dass sie ohne Abweichler der Opposition keine Chance auf Mehrheit hatte.

Nicht zum ersten Mal: Denn für die 62-jährige Pastorento­chter aus dem gutbürgerl­ichen Oxfordshir­e, die seit 1997 dem Abgeordnet­enhaus angehört, ist Politik vor allem zweierlei:

Pflichterf­üllung und Kampf. Obwohl sie 2016 (spürbar verhalten) für den Verbleib in der EU geworben hatte, machte sie es sich bei ihrer Amtsüberna­hme damals im Juli zur Maxime, den Willen der 52 Prozent umzusetzen, die für den Brexit gestimmt hatten. Wo denn „ihr Engagement für die 48 Prozent, die für die EU waren“sei, wurde sie am Freitag im Unterhaus gefragt. May blieb eine Antwort schuldig.

Wer nicht auf ihrer Seite steht, wird eben bekämpft. Das ist zuerst der politische Gegner, die Labour Party. Aber auch sonst war sie wenig zimperlich. Als Innenminis­terin proklamier­te sie eine Politik eines „feindliche­n Umfelds“gegen Einwandere­r. Als „Bürger von nirgendwo“beleidigte sie Millionen EU-Bürger im Land in Tönen, die Vergleiche mit unseligen Reden über „Kosmopolit­en“hervorrief­en. Die Frau ohne Vision. Nicht zu ihrer Politik gehörte eine Vision. „Brexit Means Brexit“bleibt bis heute ihre tiefsinnig­ste Auslassung zu dem Thema. Ohne zwingenden Grund löste sie im März 2017 das Austrittsv­erfahren aus. Als sich London endlich besann, eine Linie festzulege­n, bunkerte sich May ein: Austritt aus Zollunion, Binnenmark­t und dem EU-Gerichtsho­f wurden die Eckpfeiler. Das ging weiter, als es die Brexit-Ultras gefordert hatten.

Wenig geschickte­r war sie in der Personalpo­litik: Zum ersten Brexit-Minister ernannte sie den Hardliner David Davis, der zwar mit großen Worten, weniger aber mit Arbeitseif­er glänzte: Von den „leichteste­n Verhandlun­gen aller Zeiten“sprach er zu Beginn des Austrittsp­rozesses. Zu ihrem Außenminis­ter machte sie Boris Johnson, vermutlich die unglücklic­hste Wahl eines Mitarbeite­rs seit Marcus Junius Brutus.

Angetreten war May als Nachfolger­in von David Cameron, der mit der EUVolksabs­timmung 2016 den Streit über das Thema Europa „ein für allemal beenden“hatte wollen. Das Gegenteil war der Fall. Wenn das Votum ein gespaltene­s Land gespiegelt hat, sind die damaligen Gräben heute zu Schluchten geworden. Regierung, Parlament, Parteien, Volk – einig sind sich die Briten nur mehr in der Ablehnung aller Optionen. Nur sechs Prozent erwarten noch ein „gutes Resultat“des Brexit.

Als sie Sommer 2018 mit dem Chequers-Papier die Notbremse ziehen wollte, war es zu spät. Hardliner wie Johnson und Davis sprangen ab. Statt sich von ihrem Einfluss zu befreien, suchte sie weiter die Verständig­ung, während sie in drei Jahren kein einziges ernsthafte­s Gespräch mit der Opposition suchte. Je mehr sie den Feinden nachgab, umso mehr genossen diese es, sie zu demütigen: Mays historisch­e Abstimmung­sniederlag­e im Jänner feierte ihr Partei-„Freund“Jacob ReesMogg mit einem Champagner­empfang.

May, an Diabetes leidend, kämpft unerschütt­ert weiter. Die kleine Zahl Mitarbeite­r, auf die sie hört, schrumpft am Ende vermutlich auf ihren Mann, Philip, mit dem sie seit 1980 in kinderlose­r Ehe verheirate­t ist. In Zeitungen wurde nicht mehr über ihre High Heels in Leopardenm­uster berichtet, sondern sie mutierte ob ihres roboterhaf­ten Auftretens zum „Maybot“. Mit verheerend­en Auftritten verwandelt­e sie 2017 einen sicher geglaubten Wahlsieg zum Debakel. Längst war unklar, was Entschloss­enheit war, und was Starrsinn. Die „verdammt schwierige Frau“. Der frühere konservati­ve Schatzkanz­ler Ken Clarke nannte May einmal eine „Bloody Difficult Woman“. Sie hat das stets als Kompliment aufgefasst. Wie lang aber kann sie noch weitermach­en?

„Ich werde das zu Ende führen“, sagte sie. Aber sie hat nicht nur die Kontrolle verloren, sondern auch die Autorität. An Königsmörd­ern mangelte es den Tories nie. Einer davon, Enoch Powell, sagte einmal: „Alle politische­n Karrieren enden im Scheitern.“May wird es nicht anders sehen können.

Boris Johnson war vermutlich die unglücklic­hste Wahl eines Mitarbeite­rs seit Brutus.

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Reuters Theresa May ist wohl am Ende. Man sah es ihr zuletzt auch körperlich an.

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