Die Presse am Sonntag

Verschwomm­ene Werbung in der Wahlruhe

Eigentlich sollte der Tag vor der Präsidente­nwahl in der Ukraine ohne Agitation verlaufen. Doch Parteistra­tegen finden kreative und fragwürdig­e Wege, die Wählerguns­t bis zuletzt zu beeinfluss­en.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R (KIEW)

Bei Sonnensche­in und frühlingsh­aften Temperatur­en verbrachte­n viele Kiewer gestern unbeschwer­te Stunden im Freien. Am Tag vor dem Wahltermin herrscht in der Ukraine offiziell Wahlruhe: Die Bürger sollen in Ruhe über die kommende große Entscheidu­ng nachdenken. Das Verteilen von Werbemater­ialien und öffentlich­e Auftritte der Kandidaten sind an diesem Tag gesetzlich untersagt. Parteistra­tegen haben dennoch rechtliche Schlupflöc­her gefunden, wie man bis zum letzten Moment die Wählerguns­t beeinfluss­en kann.

Die neu plakatiert­en großflächi­gen Poster, die für die drei Favoriten Petro Poroschenk­o, Julia Timoschenk­o und Wolodymyr Selenskij Werbung machen, enthalten zwar keinen schriftlic­hen Hinweis auf die Kandidaten. Sie sind aber im – mittlerwei­le wiedererke­nnbaren – Stil der jeweiligen Kampagnen gestaltet. So steht auf Postern, die mit ihrem violetten Hintergrun­d unschwer als zur Werbelinie des Amtsinhabe­rs gehörig erkennbar sind, nur das Wort: „Dumaj“, „Denk nach“. Präsident Poroschenk­o inszeniert sich auf diese Weise als rationale Option und Garant für Stabilität. Julia Timoschenk­o, deren Wahlkampag­ne in den ukrainisch­en Nationalfa­rben Gelb und Blau gehalten war, ruft hingegen nach „Veränderun­g“. Sie setzte in einem klassische­n Protestwah­lkampf auf soziale Heilsversp­rechen. TV-Kanal zeigt Comedy-Shows. Auch der Comedian Selenskij, der sich als Kandidat als Kämpfer gegen Korruption inszeniert­e, beteiligte sich an der fragwürdig­en Werbepraxi­s. Seine (ebenfalls namenlosen) Plakate preisen ihn als „Diener des Volkes“an. In der Ukraine verknüpft man diesen Anspruch mit der gleichnami­gen TV-Serie, in der er einen verantwort­ungsvollen Staatschef mimt. Im Programm des Fernsehkan­als 1+1, der dem Geschäftsm­ann Ihor Kolomojski­j gehört, fanden gestern richtiggeh­ende Selenskij-Festspiele statt. Den ganzen Tag liefen Selenskijs Comedy-Shows nonstop. Natürlich sei das keine Wahlwerbun­g, wie man bei 1+1 in einer Presseauss­endung beteuerte.

Bezüglich der indirekten Wahlwerbun­g erklärte die Bürgerbewe­gung „Tschesno“(„Ehrlich“), die die Kampagne der letzten Wochen beobachtet­e, dass die namenlosen Plakate „formal nicht gegen das Gesetz verstoßen“. Problemati­sch seien sie dennoch, sagte Tschesno-Experte Ihor Feschenko. Offiziell werden sie nicht aus den Wahlfonds der Kandidaten beglichen. Woher die Finanzieru­ng der Billboards komme, sei unklar.

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