Zwischen Hass und Halloumi: Im Netzwerk der Identitären
Identitären-Chef Martin Sellner wird vorgeworfen, Teil einer terroristischen, rechtsextremen Gruppierung zu sein. So sieht er gar nicht aus. Wie sich die Neue Rechte als Popkultur-Phänomen neu erfindet, warum sich nationalistische Gruppierungen internatio
Adrette Frisur, hippe Kleidung, verschmitztes Lächeln, gewählte Worte. So tritt der 30-jährige Martin Sellner, Chef der Identitären, gemeinhin auf, wenn er mit Medien spricht oder sich mit Videobotschaften an seine Fans wendet. Diese Woche wirkte er aber ein wenig aufgeregter. Er sprach von Ungerechtigkeiten und der Repression, die er momentan erdulden müsse.
Die Staatsanwaltschaft Graz ermittelt zum wiederholten Male gegen ihn und seine Bewegung. Dieses Mal wegen des Verdachts der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung. Auf das Privatkonto Sellners ging Anfang 2018 eine Spende von 1500 Euro ein. Sie stammt von jenem rechtsextremen Terroristen, der 50 Muslime im neuseeländischen Christchurch (siehe Seite 39) erschossen hat.
Die Spende wurde im Zuge eines Finanzstrafverfahrens gegen Sellner entdeckt. Er weist jede Schuld von sich. Die türkis-blaue Regierung prüft nun die Auflösung von Vereinen, die den Identitären zugeordnet werden. Verfassungsschutz wie Experten stufen die Organisation als rechtsextrem ein. Sellner selbst soll einer der führenden Figuren der sogenannten Neuen Rechten in Europa sein.
Kaum zu glauben, wenn man ihn so sieht – denn er und seine Anhänger haben in Optik, Auftreten und Habitus nur wenig mit dem gemein, was der Österreicher gemeinhin als Klischeebild eines Neonazis im Kopf hat. Da denkt man eher an auftrainierte Glatzköpfe mit Springerstiefeln und Bom
berjacke. Der Parade-Neonazi hört angeblich Metal, ist dem Alkohol zugetan, und ab und zu rutscht ihm dann auch die Hand zum Hitlergruß aus.
Diese Sorte Rechtsextremer sieht man im Umfeld der Identitären auch. Die Mehrheit ihrer Anhänger ist aber jung, gebildet. Selbst nennen sie sich gern ironisch IBster – sie tragen T-Shirts im Street-Art-Style, probieren sich als YouTuber. Bei ihren Veranstaltungen wird Neo-Folk gespielt, es gibt Burgerstände, die auch auch Halloumi verkaufen. Für die Vegetarier. Sellner selbst zitiert gern linke Bands wie Tocotronic – zur Verwirrung seiner Rezipienten.
Anders als die Burschenschaften, die zum Teil auch im rechtsextremen Milieu angesiedelt sind, sind die Identitären kein reiner Männerverein. Frauen stehen bei ihren Veranstaltungen in der ersten Reihe. Das ist gut fürs Image – und gut, um Gegendemonstranten von Gewalt abzuhalten. Auf den Punkt gebracht: Die Identitären sehen aus wie linke Bobos und haben auch ihre Methoden des politischen Protests abgekupfert. Sie haben eine moderne Popkultur für sich erfunden.
Schale und Verpackung der Identitären sind also frisch – die rechtsextremen Ideologien und Traditionen, auf die sie sich beziehen, aber alt: Sie sind völkisch, rassistisch – auch wenn sich nationale Bewegungen nun internationale Unterstützung suchen und sich vernetzen. Casa Pound. Die Identitären entstanden von der neofaschistischen italienischen Casa-Pound-Bewegung beeinflusst um die 2000er-Jahre in Frankreich. Sie waren anfangs eher ein Internetphänomen, mit Aktionen fielen sie erst ab den 2010er-Jahren auf. In Frankreich demonstrierten sie etwa 2010 mit Schweineköpfen maskiert vor einem Schnellimbiss – ähnliche Aktionen gab es auch andernorts.
Eine der lautesten Identitären-Landesgruppen war von Anfang an jene in Österreich, die offiziell 2012 gegründet wurde. Erstmals medial aufgefallen sind sie im Jahr 2013 bei der sogenannten Votivkirchenbesetzung. Damals haben sich Flüchtlinge aus Protest gegen die restriktive Abschiebungspolitik dorthin zurückgezogen. Identitäre stürmten die Kirche, um sie zurückzuerobern. Weitere Aktionen folgten. So stürmten sie 2016 während einer Aufführung von Elfriede Jelineks Stück „Die Schutzbefohlenen“mit Kunstblut und Flugzetteln ausgerüstet die Universität Wien.
Im selben Jahr besetzten sie das Dach der steirischen Grünen in Graz mit einem Transparent mit dem Schriftzug „Islamisierung tötet“.
Die international beachtetste Aktion war der Ausflug der Identitären auf das Mittelmeer mit dem Schiff C-Star im Jahr 2017. Sie gaben an, so Europa verteidigen zu wollen.
Die Identitären stellen bei Aktionen gern Frauen in die erste Reihe.