Wo die Neuen Rechten ihre geistigen Ressourcen schöpfen
Die österreichischen Identitären sind stark beeinflusst von der rechten Bewegung in Frankreich. Ihr intellektuelles Basislager liegt aber in Deutschland: der Antaios-Verlag von Götz Kubitschek.
„An diesem Tag ging ich schneller als gewöhnlich die Josefstädter Straße hinunter. Ein Beobachter hätte wohl gesagt, ich sei gelaufen [. . .] Ich kannte nur einen Gedanken: So rasch wie möglich ins Cafe´ Eiles.“In seinem Mix aus Unbeholfenheit und Aspiration ins Hochgeistige ist das 2017 erschienene Buch „Identitär!“eine unfreiwillig komische Lektüre. Martin Sellner erzählt darin, wie es 2012 anfing mit dem Grüppchen namens Identitäre Bewegung Österreich, das durch eine Spende des Moschee-Attentäters Brenton Tarrant in die internationalen Schlagzeilen geriet.
Nachdem „wir bereits anderthalb Melangen verzehrt hatten“, verkündet Sellner an diesem Tag seiner Studentenclique, die von einer Revolution gegen die „kulturelle Hegemonie“der Linken träumt, wovon die Zukunft Europas abhänge: davon, „dass wir den identitären Aufbruch aus Frankreich in die anderen Länder tragen“. Schluss also mit nur hochtrabenden Disputen über „Schuldkult, Metapolitik und Präraffaelismus“, die Franzosen machen’s vor, findet Sellner: „Immer an der vordersten Front der Ideengeschichte, mit einer brillanten und selbstbewussten Leichtigkeit“. Bilder, geil gefährlich. Frankreich hat nicht nur auf den Attentäter Brenton Tarrant inspirierend gewirkt. Sellners soeben geschilderte Begeisterung rührte von Bildern, die Aktivisten der damals brandneuen sogenannten Ge-´ neration´ Identitaire im Oktober 2012 auf dem Dach einer halb fertigen Moschee in Poitiers zeigten, fünf Tage vor dem Jahrestag der Schlacht von Tours und Poitiers 732: ein heiliges Datum für die Verteidiger des „Abendlandes“, die vom Kampf des Franken Karl Martell gegen die muslimischen Mauren eine Linie ziehen zu heutigen Kämpfen gegen die Masseneinwanderung. Auf den Fahnen der Aktivisten prangte der griechische Buchstabe Lambda, wie angeblich auf den Schilden der Spartaner im Abwehrkampf gegen die Perser. Sellner und seine Freunde nahmen nun Kontakt mit den Franzosen auf. Und begannen „irgendwann“, sich identitär zu nennen – ein Wort, das Sellner zufolge alle Sinnfragen beantwortet: „Die entscheidenden Fragen ,Wer sind wir‘, ,Woher kommen wir‘, ,Wohin gehen wir‘ waren in diesem Begriff enthalten.“
Woher kommt die kleine, aber lautstarke Jugendbewegung Gen´era-´ tion Identitaire, die seit 2012 aktivistisch auf sich aufmerksam macht? Sie ist ein mittlerweile autonomer Ableger des 2003 gegründeten Bloc Identitaire, der 2009 zu einer Partei wurde, die mittlerweile „Les Identitaires“heißt. Der Bloc Identitaire hatte sich nach dem Verbot der nationalrevolutionären Bewegung Unite´ Radicale etabliert – ein Mitglied hatte 2002 einen Anschlag auf den damaligen Präsidenten, Jacques Chirac, verübt. Zwei der Mitbegründer des Bloc Identitaire waren bereits in der Unite´ Radicale maßgeblich aktiv: und zwar der gegenwärtige Parteivorsitzende der „Identitaires“, Fabrice Robert, sowie der 2012 von Sellner und Co. so bewunderte Philippe Vardon, Initiator der Gen´eration´ Identitaire. Vardon wechselte allerdings später von den Identitären zum Front National. Antiliberal, antikapitalistisch. Die französischen Identitären verbinden Kritik an muslimischer Masseneinwanderung – Stichwort „Großer Austausch“– mit antikapitalistischen Tönen: Gegner sind vor allem die „Gleichmacher“Liberalismus und Kapitalismus. Letzterer wird für sie vor allem durch die USA verkörpert –
Jahre.
Seit 2012 existiert die identitäre Bewegung auch in Österreich.
Mitarbeiter.
Laut eigenen Angaben gibt es 45 ehrenamtliche Mitarbeiter und mehr als 600 Personen, die den Verein finanziell unterstützen. manche meinen, die Amerikaner würden die Muslime als „fünfte Kolonne“zur Zerstörung Europas benutzen. Man betont die Einigkeit Europas, das seine nationalen und regionalen Identitäten erhalten und gemeinsam gegen den „Bevölkerungsaustausch“kämpfen soll. Und man propagiert einen „Ethnopluralismus“: Unterschiedliche Völker und Kulturen seien wertvoll, gerade deswegen dürften sie sich nicht vermischen. Jeder müsse an seinem Platz bleiben, zwecks Erhaltung seiner (ethno)kulturellen Essenz. Einfluss von Guillaume Faye. Viele Inspirationen bezogen die Identitären von der „Nouvelle Droite“, der Neuen Rechten. Diese verbreitete sich seit den 1960er-Jahren von Frankreich aus und bezog auch ideologische Elemente der Linken ein. Wichtigster Vordenker für die aus der Unite´ Radicale kommenden Mitbegründer der französischen Identitären war denn auch ein alter Theoretiker der Neuen Rechten: der schon in den 1970erund 1980er-Jahren aktive Publizist Guillaume Faye, der vor wenigen Wochen, am 6. März, gestorben ist. Faye propagierte eine Art europäischen Nationalismus, übrigens unter Einbeziehung Russlands („Eurosibirien“). Er entwickelte auch den Begriff des „Ethnomasochismus“für die Tendenz, die eigene Geschichte und die eigenen Werte im Vergleich mit anderen Kulturen herabzusetzen. Migration als Verschwörung. Das Schlagwort „Großer Austausch“(„Grand Remplacement“) wiederum, das der Attentäter Brenton Tarrant als Titel seines „Manifests“wählte und das nicht nur bei den Identitären ein zentraler Slogan ist, kommt vom heute 72-jährigen Autor und Politiker Renaud Camus. Er ist sowohl für sein Engagement für die Rechte von Homosexuellen bekannt als auch für seine Texte und politischen Aktivitäten gegen Frankreichs Identitäts- und Kulturverlust. 2011 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel „Le Grand Remplacement“. Er glaubt an einen gezielten Bevölkerungsaustausch als kapitalistische Strategie – eine Idee, die schon in den Siebzigern im Umlauf war. Mittels Einebnung der ethnischen und kulturellen Unterschiede, so Camus, wolle man eine Welt aus entwurzelten, willfährigen Arbeitssklaven schaffen.
Das intellektuelle Basislager für Österreichs Identitäre liegt trotzdem nicht in Frankreich, sondern in Deutschland. Die Begeisterung über die „Helden von Poitiers“(die Moschee-Aktivisten) trieb Sellner und seine Freunde 2012 zu einer Konferenz der Identitären im südfranzösischen Orange. Dort lernten sie den deutschen Verleger Götz Kubitschek kennen. Kubitschek, der auch dem äußeren Rand der AfD (konkret Politiker Björn Höcke) viel theoretische Munition liefert, zählt sich selbst zur Neuen Rechten. Vor allem stellt er sich in die Tradition einer „Konservativen Revolution“(den Begriff prägte der Schweizer Publizist Armin Mohler für diverse rechte Denker der Weimarer Republik, im Bemühen, sie vom Nationalsozialismus abzugrenzen). Kubitschek propagiert auch wie die Identitären einen von linken Strategien inspirierten rechten Aktivismus. Sein Verlag Antaios, sein Magazin „Sezession“und das von ihm mitgegründete „Institut für Staatspolitik“bieten Österreichs Identitären heute publizistische Plattformen – und, wie Sellner selbst in seinem Buch „Identitär!“schreibt – „geistige Ressource und Kompass“.