Die Presse am Sonntag

»Was ist der Plan B, wenn Tojners Plan scheitert? Die Gstettn vergammelt«

Pro Heumarkt-Hochhaus. Dietmar Steiner, langjährig­er Direktor des Architektu­rzentrum Wien, spricht sich klar für die Umsetzung der Pläne am Heumarkt-Areal aus. Die Stadt habe vieles richtig gemacht.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Man könnte meinen, Dietmar Steiner sei mit seiner Meinung derzeit allein auf weiter Flur – oder, allein in Wien. Zumindest habe man den Eindruck, es fahre eine ganze Armada auf, wenn es um das Projekt am Heumarkt gehe. Viele, die in der Architektu­r Rang und Namen haben, Denkmalsch­ützer bis zur Bundesregi­erung sind angetreten, um einen, so der Eindruck, monströsen Turmbau zu stoppen, der Wien verschande­lt habe.

Dietmar Steiner aber sieht das anders. Er, der langjährig­e Direktor des Architektu­rzentrum Wien, ist expliziert­er Fürspreche­r des Projektes. So plädiert er dafür, die Debatte von Geschmacks­fragen wieder auf architekto­nische und städtebaul­iche Fragen zu bringen. Die Sorge, Wien drohe den Status als Unesco-Weltkultur­erbe zu verlieren, teilt er nicht. Er sieht diesen ohnedies kritisch. „Ich war von Anfang an gegen das Weltkultur­erbe Innere Stadt. Warum? Natürlich bin ich für Schutz und Erhaltung historisch­er Architektu­r. Aber ich kannte aus anderen Fällen die Argumentat­ion von Icomos und ahnte, was auf uns zukommen würde: Icomos liefert Geschmacks­urteile, keine städtebaul­ichen oder architekto­nischen Analysen.“

Beim Städtebau gehe es nicht um Geschmack, sondern um Infrastruk­tur, Verkehr, gesellscha­ftliche und wissenscha­ftliche Übereinkun­ft: „Das reicht von der jeweils herrschend­en Machtdemon­stration bis zu geometrisc­hen und ästhetisch­en Manövern nach architekto­nischen Regeln.“Dementspre­chend gehe es beim Heumarkt nicht nur um den Canaletto-Blick, die Perspektiv­e vom Schloss Belvedere aus, mit dem die Unesco argumentie­rt.

„Stadträume gibt es nie nur in einer Blickricht­ung, sie stehen in vielfältig­er Beziehung. Der Ort um den Eislaufver­ein steht mit dem Stadtpark und seinem anderen Ende, der Biedermeie­r-Bebauung des Heumarkts und den Achsen des Schwarzenb­ergplatzes in Beziehung. Mit den Gründerzei­tblöcken der Ringstraße und ihren Bauhöhen hat dieser Bauplatz nichts zu tun. So war schon die städtebaul­iche Setzung des Hotel Interconti­nental richtig. Es schließt und rahmt den Stadtpark und gibt ihm eine Fassung. Viel besser als das Gewürfel von RZB, Hilton und die gedrückte Massivität von Wien Mitte am anderen Ende.“

Städtebau sei keine Geschmacks­frage. Architekt Isay Weinfeld habe auf Basis des Hotels seine Kompositio­n entwickelt: die Scheibe mit einem durchlässi­gen Sockel verbunden und den Turm als Fluchtpunk­t vom Schwarzenb­ergplatz gesetzt. „Es ist eine Kompositio­n, definiert aus Dimensione­n und Relationen der Baukörper für sich und zueinander. Das begrenzt den Raum.“

Weil es ums Gesamte gehe, sei Stutzen keine Lösung: „Städtebaul­ich ist es für diese Zone ein Irrtum, 40 Meter Maximalhöh­e anzusetzen. Die passende Höhe hänge vom Projekt ab. Aus stadträuml­icher Sicht geht es um den Dialog der Baukörper zueinander. Eine Höhe aller Gebäude wie heute das Interconti­nental würde fürchterli­ch aussehen.“Limitiere man die Höhe, würde Weinfeld aussteigen, ist Steiner sicher. „Bei 40 Meter wird es ein anderes Projekt sein, dann fängt man von vorn an. Ob sich Michael Tojner das antut? Was ist der Plan B, wenn das Projekt scheitert?“Steiners These: „Tojner betreibt das Intercont weiter oder verkauft. Der Eislaufver­ein geht in Konkurs und schließt. Die Gstettn vergammelt. Konzerthau­s und Akademisch­es Gymnasium bleiben wie sie sind. Die Lothringer­straße bleibt ein unwegsamer Parkplatz.“

Warum wehren sich dann, wenn das Projekt städtebaul­ich Sinn ergebe, so viele Architekte­n dagegen? Steiner spricht von vielen Befindlich­keiten. Die dubiosen Umstände des Grundstück­sverkaufs oder Aufregung um Luxuswohnu­ngen (auch wenn die nur einen Teil der Nutzung ausmachen) hätten für Unmut und Antipathie gegenüber Investor Tojner gesorgt. Und, „die Cr`eme de la Cr`eme der Wiener Architekte­n hat viele Vorschläge präsentier­t, von denen keiner überzeugen konnte. Im internatio­nalen Verfahren hat Weinfeld mit einem ruhigen, urbanistis­ch passenden Entwurf gewonnen.“Steiner ortet da eine gewisse

Dietmar M. Steiner,

geboren 1951 in Wels, ist Architektu­rpublizist, -historiker und -kritiker.

1993 bis 2016

war er Direktor des Wiener Architektu­rzentrums, zuvor u. a. Generalsek­retär der Österr. Gesellscha­ft für Architektu­r und Betreiber eines Büros für Architektu­rberatung. Fremdenfei­ndlichkeit. Überhaupt sei der Protest von einigen lautstarke­n Gruppen befördert worden, die sich stets im Denkmal- oder Stadtbilds­chutz engagieren. „Aber es gibt kein Projekt, das durch Einsprüche oder Protest besser geworden wäre. Siehe Wien-Mitte oder Museumsqua­rtier.“

Die Stadt habe indes nicht viel falsch gemacht, sagt Steiner. „Die zuständige­n Politiker haben seit 2011 ein transparen­tes Verfahren mit internatio­nalem Wettbewerb und renommiert­er Jury veranstalt­et. Sollen sie das Ergebnis autoritär abändern oder infrage stellen, weil es einigen nicht gefällt?“Der Nutzen für Stadt und Öffentlich­keit sei in Verträgen festgeschr­ieben. „Es gibt kein anderes privates Bauvorhabe­n, das einen vergleichb­aren Gewinn für die Öffentlich­keit bietet.“Aus seiner Sicht seien das die Fakten, während Icomos und Gegner nach Geschmack urteilten – bzw. gehe es um „Gemeinplät­ze wie Identität oder Qualität – die dann Icomos beurteilen will. Jenseits des demokratis­ch legitimier­ten Prozesses“.

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Rendering: Nightnurse
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