Die neuen Weltretter aus dem Silicon Valley
Das amerikanische Tech-Mekka entdeckt sein Gewissen – und setzt auf Biologie als Lösung für die ganz großen Probleme der Welt. Eine junge Generation an Start-ups bastelt an Fleisch aus dem Labor, Holz ohne Bäume, Plastik aus Schwammerln und frischem Fisch
Am Papier waren sie ja alle immer schon gut. Google hat sich das Credo „Don’t be evil“in die Grundmauern gemeißelt. Facebook lechzt offiziell nicht nach den Daten seiner Nutzer, sondern danach, die „Welt näher zusammenzubringen.“Peter Thiels Datenanalysefirma Palantir hat es mit dem vagen Versprechen „zu tun, was richtig ist“, immerhin zu 20 Milliarden US-Dollar Marktwert gebracht.
Doch so ganz glauben nicht einmal mehr die Mitarbeiter der Silicon-Valley-Legenden an die schönen Visionen ihrer Arbeitgeber. Facebook schlittert von einem Datenskandal in den nächsten. Google muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sexuelle Belästigung vertuscht zu haben. Zudem steigen seine Mitarbeiter gegen den Bau einer Zensursuchmaschine für Chinas Regime auf die Barrikaden. Und seit Amazon der amerikanischen Polizei Gesichtserkennungssoftware verkauft, hagelt es auch beim Internethändler Proteste.
Eine neue Generation an Start-ups will das alte Versprechen des Silicon Valley nun endlich einlösen und die Welt tatsächlich zu einem besseren Ort machen. Sie spielen nicht mit Nullen und Einsen, um Pizzen schneller auszuliefern, Fitnessbänder für Hunde zu bauen oder den Großstädtern das Taxifahren billiger zu machen. Sie haben Größeres im Sinn: Mit einer Mischung aus Technologie und Biologie wollen sie den Klimawandel bremsen und die Ernährung einer stark wachsenden Menschheit sichern, der langsam der Boden, das Wasser und die saubere Luft ausgeht.
Radikale Ideen. Einer von ihnen ist Paul Schmitzberger. „Biotechnologie ist der nächste große Hype im Silicon Valley“, sagt der gebürtige Oberösterreicher zur „Presse am Sonntag“. Und wer sollte es besser wissen als er? Schließlich hat die Biotech-Welle den Jungunternehmer mit seinen beiden Mitgründern erst vor wenigen Wochen selbst an die amerikanische Westküste gespült. Mit seinem Unternehmen Blue Planet Ecosystems arbeitet das Trio daran, containergroße Tanks zu entwickeln, in denen sie Fische in der Wüste züchten wollen. Vollautomatisch und allein mit der Kraft der Sonne, versteht sich.
Mit solchen Ideen sind die Mittdreißiger im Valley nicht allein. Seit einiger Zeit tummeln sich hier hunderte junge Unternehmen, die Steaks ohne Kuh, Eiweiß ohne Ei oder Holz ohne Bäume entwickeln wollen. Ihre Story ist im Grunde immer gleich: In naher Zukunft werden drei Milliarden mehr Menschen auf der Erde leben. Um sie zu ernähren, braucht es radikale, neue Ansätze. Denn die Acker- und Weideflächen schrumpfen und die Ozeane sind bald leergefischt.
Die Österreicher hatten Glück. Sie konnten mit ihrer Idee bei einem der Stars der Szene andocken: Indiebio ist der erste und größte Accelerator für Biotech-Unternehmen vor Ort. Wer es hierher schafft, bekommt für acht Prozent seines Start-ups 250.000 Dollar Kapital, Zugang zu den Laboren und vier Monate Zeit, um zu experimentieren. Anders als in vergleichbaren Brut
Billion Fische
werden täglich aus den Weltmeeren geholt.
Kilogramm Fisch
im Jahr soll künftig auf 30 Quadratmetern Wüstensand geerntet werden. kästen im Valley sitzen hier aber keine Programmierer, die an der Software für ihre neue App feilen, sondern Naturwissenschaftler, die den Code des Lebens neu schreiben wollen. Die DNA ist der Code. Möglich wurde das durch neue Technologien wie die sogenannte Genschere Crispr, die Forschern die gezielte Manipulation der DNA eines Organismus erlaubt. Und das zu einem Hundertstel der Kosten, die bisher dafür angefallen sind. Crispr bringt die Biologie auf eine Geschwindigkeit, die sie für die Kapitalgeber im Silicon Valley interessant macht. Seither sprießen Unternehmen aus dem Boden, die das Innovationstempo weiter nach oben schrauben wollen.
Eines von ihnen ist Synthego. Gegründet wurde das Unternehmen von zwei Brüdern, die zuvor bei Space X, Elon Musks Raumfahrtprogramm, engagiert waren. Mit Biologie hatten sie wenig am Hut, mit radikaler Innovation dafür sehr viel. Mit Synthego bauten sie eine Bibliothek mit über 5000 Genomen auf, aus der sich Biotech-Start-ups bedienen können. Binnen einer Woche kommt die Bestellung per Post. Die Gründer sparen Monate und können sofort beginnen, das Erbgut einer Tomate, einer Ratte oder eines Virus zu modifizieren. Andere Start-ups bauen Crispr-Enzyme oder synthetische DNA für die Biotech-Industrie.
Crispr macht die Biologie programmierbar wie nie zuvor. Das Tech-Magazin „Wired“sieht in der Lehre vom Leben überhaupt gleich die „nächste große Computerplattform.“Die DNA ist der Code und Crispr die Programmiersprache. Auch Arvind Gupta, der Gründer von Indiebio, ist enthusiastisch: „Proteine sind Maschinen auf einer molekularen Größe, die designt werden können, um nahezu jede Funktion zu erfüllen. Und sie können auch patentiert werden, wie jede andere Maschine“. Das Limit ist erreicht. Solchen patentierbaren Biotech-Maschinen will der 44-Jährige in seinem Accelerator auf die Sprünge helfen. Nach vielen Jahren als Designer hat sich der studierte Molekularbiologe 2015 mit dem Venturekapitalgeber SOVC verbündet und bietet jungen Naturwissenschaftlern seither eine Option mehr: Sie müssen sich nicht länger zwischen einer Karriere an der Uni oder in einem Großkonzern entscheiden. Mit etwas Glück bekommen sie von Indiebio Zeit und Ressourcen, um zu beweisen, dass auch ihre eigenen Ideen aufgehen können.
Die Vision von Blue Planet Ecosystems fügt sich nahtlos in das Konzept des Biotech-Inkubators ein. Denn nicht nur Ackerland wird in Zukunft knapp. Jeden Tag werden eine Billion Fische aus den Weltmeeren geholt. Das Limit ist erreicht. „Diese Lücke lässt sich nur durch neue Agrartechnologien schließen“, sagt Paul Schmitzberger, der Wirtschaft und Energietechnik studiert hat. Gemeinsam mit seinem Bruder Georg und dem Molekularbiologen Thomas Daniele will er das Ökosystem eines Teiches in der Wüste nachbauen: Im ersten Tank landen Algen, die lediglich Sonne zum Wachsen brauchen. Von ihnen ernährt sich im nächsten Tank Zooplankton, das wiederum im dritten Tank von den Fischen gefressen wird. Im Grunde sei es die Verbindung von Energietechnik, Computerwissenschaften und Biologie. Nur statt die Sonnenenergie über Solarmodule in Strom zu verwandeln, verwandeln sie die Energie „über ein aquatisches System in tierisches Protein“, erklärt der Österreicher.
Noch sieht der Prototyp des FotoBioreaktors aus wie eine kleine Flasche mit gelbgrüner Flüssigkeit darin. Aber schon Ende des Sommers soll das erste System im kalifornischen Central Valley stehen. Hier, wo in 15 Jahren aufgrund der anhaltenden Dürre kaum noch klassische Landwirtschaft möglich sein wird, sollen dann tonnenweise Fische gezüchtet werden. Eine eigene Software kontrolliert und reguliert das Ökosystem permanent und hält die jeweiligen Populationen stets auf ihrem Maximum, also kurz vor dem Kollaps. 600 bis 700 Kilogramm Fisch pro 30 Quadratmeter jedes Jahr seien realistisch. So richtig lohnen könne sich das Projekt aber nur, wenn man in industriellen Maßstäben denkt und hektarweise autonome Fischfabriken in die Wüste stellt, sagt Schmitzberger. „Wenn es funktioniert, kommen irgendwann fünf Prozent aller Fische aus einem Foto-Bioreaktor“. Große Skepsis in Europa. Gemessen an den gut hundert Unternehmen, die Indiebio bisher unterstützt hat, stehen die Chancen gut. 70 Prozent schaffen eine weitere Finanzierungsrunde. Ein paar sind schon zu beachtlicher Größe herangewachsen: Clara Foods macht Eiweiß ohne Hühner, Mycoworks entwickelt Plastik und Lederimitate aus Pilzen, die Ava Vinery verkauft erfolgreich synthetischen Wein. Der größte Coup gelang Memphis Meats, das 2016 das erste Fleischlaberl aus dem Labor präsentiert hat. Heute sind nicht nur Microsoft-Gründer Bill Gates und Virgin-Airline-Chef Richard Branson, sondern auch der amerikanische Nahrungsmittelriese Tyson Foods bei dem Start-up an Bord.
Unterstützung erhält Blue Planet Ecosystems auch