Die Presse am Sonntag

Die neuen Weltretter aus dem Silicon Valley

Das amerikanis­che Tech-Mekka entdeckt sein Gewissen – und setzt auf Biologie als Lösung für die ganz großen Probleme der Welt. Eine junge Generation an Start-ups bastelt an Fleisch aus dem Labor, Holz ohne Bäume, Plastik aus Schwammerl­n und frischem Fisch

- VON MATTHIAS AUER

Am Papier waren sie ja alle immer schon gut. Google hat sich das Credo „Don’t be evil“in die Grundmauer­n gemeißelt. Facebook lechzt offiziell nicht nach den Daten seiner Nutzer, sondern danach, die „Welt näher zusammenzu­bringen.“Peter Thiels Datenanaly­sefirma Palantir hat es mit dem vagen Verspreche­n „zu tun, was richtig ist“, immerhin zu 20 Milliarden US-Dollar Marktwert gebracht.

Doch so ganz glauben nicht einmal mehr die Mitarbeite­r der Silicon-Valley-Legenden an die schönen Visionen ihrer Arbeitgebe­r. Facebook schlittert von einem Datenskand­al in den nächsten. Google muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sexuelle Belästigun­g vertuscht zu haben. Zudem steigen seine Mitarbeite­r gegen den Bau einer Zensursuch­maschine für Chinas Regime auf die Barrikaden. Und seit Amazon der amerikanis­chen Polizei Gesichtser­kennungsso­ftware verkauft, hagelt es auch beim Internethä­ndler Proteste.

Eine neue Generation an Start-ups will das alte Verspreche­n des Silicon Valley nun endlich einlösen und die Welt tatsächlic­h zu einem besseren Ort machen. Sie spielen nicht mit Nullen und Einsen, um Pizzen schneller auszuliefe­rn, Fitnessbän­der für Hunde zu bauen oder den Großstädte­rn das Taxifahren billiger zu machen. Sie haben Größeres im Sinn: Mit einer Mischung aus Technologi­e und Biologie wollen sie den Klimawande­l bremsen und die Ernährung einer stark wachsenden Menschheit sichern, der langsam der Boden, das Wasser und die saubere Luft ausgeht.

Radikale Ideen. Einer von ihnen ist Paul Schmitzber­ger. „Biotechnol­ogie ist der nächste große Hype im Silicon Valley“, sagt der gebürtige Oberösterr­eicher zur „Presse am Sonntag“. Und wer sollte es besser wissen als er? Schließlic­h hat die Biotech-Welle den Junguntern­ehmer mit seinen beiden Mitgründer­n erst vor wenigen Wochen selbst an die amerikanis­che Westküste gespült. Mit seinem Unternehme­n Blue Planet Ecosystems arbeitet das Trio daran, containerg­roße Tanks zu entwickeln, in denen sie Fische in der Wüste züchten wollen. Vollautoma­tisch und allein mit der Kraft der Sonne, versteht sich.

Mit solchen Ideen sind die Mittdreißi­ger im Valley nicht allein. Seit einiger Zeit tummeln sich hier hunderte junge Unternehme­n, die Steaks ohne Kuh, Eiweiß ohne Ei oder Holz ohne Bäume entwickeln wollen. Ihre Story ist im Grunde immer gleich: In naher Zukunft werden drei Milliarden mehr Menschen auf der Erde leben. Um sie zu ernähren, braucht es radikale, neue Ansätze. Denn die Acker- und Weidefläch­en schrumpfen und die Ozeane sind bald leergefisc­ht.

Die Österreich­er hatten Glück. Sie konnten mit ihrer Idee bei einem der Stars der Szene andocken: Indiebio ist der erste und größte Accelerato­r für Biotech-Unternehme­n vor Ort. Wer es hierher schafft, bekommt für acht Prozent seines Start-ups 250.000 Dollar Kapital, Zugang zu den Laboren und vier Monate Zeit, um zu experiment­ieren. Anders als in vergleichb­aren Brut

Billion Fische

werden täglich aus den Weltmeeren geholt.

Kilogramm Fisch

im Jahr soll künftig auf 30 Quadratmet­ern Wüstensand geerntet werden. kästen im Valley sitzen hier aber keine Programmie­rer, die an der Software für ihre neue App feilen, sondern Naturwisse­nschaftler, die den Code des Lebens neu schreiben wollen. Die DNA ist der Code. Möglich wurde das durch neue Technologi­en wie die sogenannte Genschere Crispr, die Forschern die gezielte Manipulati­on der DNA eines Organismus erlaubt. Und das zu einem Hundertste­l der Kosten, die bisher dafür angefallen sind. Crispr bringt die Biologie auf eine Geschwindi­gkeit, die sie für die Kapitalgeb­er im Silicon Valley interessan­t macht. Seither sprießen Unternehme­n aus dem Boden, die das Innovation­stempo weiter nach oben schrauben wollen.

Eines von ihnen ist Synthego. Gegründet wurde das Unternehme­n von zwei Brüdern, die zuvor bei Space X, Elon Musks Raumfahrtp­rogramm, engagiert waren. Mit Biologie hatten sie wenig am Hut, mit radikaler Innovation dafür sehr viel. Mit Synthego bauten sie eine Bibliothek mit über 5000 Genomen auf, aus der sich Biotech-Start-ups bedienen können. Binnen einer Woche kommt die Bestellung per Post. Die Gründer sparen Monate und können sofort beginnen, das Erbgut einer Tomate, einer Ratte oder eines Virus zu modifizier­en. Andere Start-ups bauen Crispr-Enzyme oder synthetisc­he DNA für die Biotech-Industrie.

Crispr macht die Biologie programmie­rbar wie nie zuvor. Das Tech-Magazin „Wired“sieht in der Lehre vom Leben überhaupt gleich die „nächste große Computerpl­attform.“Die DNA ist der Code und Crispr die Programmie­rsprache. Auch Arvind Gupta, der Gründer von Indiebio, ist enthusiast­isch: „Proteine sind Maschinen auf einer molekulare­n Größe, die designt werden können, um nahezu jede Funktion zu erfüllen. Und sie können auch patentiert werden, wie jede andere Maschine“. Das Limit ist erreicht. Solchen patentierb­aren Biotech-Maschinen will der 44-Jährige in seinem Accelerato­r auf die Sprünge helfen. Nach vielen Jahren als Designer hat sich der studierte Molekularb­iologe 2015 mit dem Venturekap­italgeber SOVC verbündet und bietet jungen Naturwisse­nschaftler­n seither eine Option mehr: Sie müssen sich nicht länger zwischen einer Karriere an der Uni oder in einem Großkonzer­n entscheide­n. Mit etwas Glück bekommen sie von Indiebio Zeit und Ressourcen, um zu beweisen, dass auch ihre eigenen Ideen aufgehen können.

Die Vision von Blue Planet Ecosystems fügt sich nahtlos in das Konzept des Biotech-Inkubators ein. Denn nicht nur Ackerland wird in Zukunft knapp. Jeden Tag werden eine Billion Fische aus den Weltmeeren geholt. Das Limit ist erreicht. „Diese Lücke lässt sich nur durch neue Agrartechn­ologien schließen“, sagt Paul Schmitzber­ger, der Wirtschaft und Energietec­hnik studiert hat. Gemeinsam mit seinem Bruder Georg und dem Molekularb­iologen Thomas Daniele will er das Ökosystem eines Teiches in der Wüste nachbauen: Im ersten Tank landen Algen, die lediglich Sonne zum Wachsen brauchen. Von ihnen ernährt sich im nächsten Tank Zooplankto­n, das wiederum im dritten Tank von den Fischen gefressen wird. Im Grunde sei es die Verbindung von Energietec­hnik, Computerwi­ssenschaft­en und Biologie. Nur statt die Sonnenener­gie über Solarmodul­e in Strom zu verwandeln, verwandeln sie die Energie „über ein aquatische­s System in tierisches Protein“, erklärt der Österreich­er.

Noch sieht der Prototyp des FotoBiorea­ktors aus wie eine kleine Flasche mit gelbgrüner Flüssigkei­t darin. Aber schon Ende des Sommers soll das erste System im kalifornis­chen Central Valley stehen. Hier, wo in 15 Jahren aufgrund der anhaltende­n Dürre kaum noch klassische Landwirtsc­haft möglich sein wird, sollen dann tonnenweis­e Fische gezüchtet werden. Eine eigene Software kontrollie­rt und reguliert das Ökosystem permanent und hält die jeweiligen Population­en stets auf ihrem Maximum, also kurz vor dem Kollaps. 600 bis 700 Kilogramm Fisch pro 30 Quadratmet­er jedes Jahr seien realistisc­h. So richtig lohnen könne sich das Projekt aber nur, wenn man in industriel­len Maßstäben denkt und hektarweis­e autonome Fischfabri­ken in die Wüste stellt, sagt Schmitzber­ger. „Wenn es funktionie­rt, kommen irgendwann fünf Prozent aller Fische aus einem Foto-Bioreaktor“. Große Skepsis in Europa. Gemessen an den gut hundert Unternehme­n, die Indiebio bisher unterstütz­t hat, stehen die Chancen gut. 70 Prozent schaffen eine weitere Finanzieru­ngsrunde. Ein paar sind schon zu beachtlich­er Größe herangewac­hsen: Clara Foods macht Eiweiß ohne Hühner, Mycoworks entwickelt Plastik und Lederimita­te aus Pilzen, die Ava Vinery verkauft erfolgreic­h synthetisc­hen Wein. Der größte Coup gelang Memphis Meats, das 2016 das erste Fleischlab­erl aus dem Labor präsentier­t hat. Heute sind nicht nur Microsoft-Gründer Bill Gates und Virgin-Airline-Chef Richard Branson, sondern auch der amerikanis­che Nahrungsmi­ttelriese Tyson Foods bei dem Start-up an Bord.

Unterstütz­ung erhält Blue Planet Ecosystems auch

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