Die Presse am Sonntag

»Das Valley manipulier­t die Welt«

Falsche Verspreche­n, Unternehme­r ohne Werte und Produkte, die gezielt süchtig machen: Sarah Spiekerman­n kritisiert das Silicon Valley in ihrem Buch »Digitale Ethik« scharf.

- VON KARL GAULHOFER

Sie haben Karriere im Silicon Valley gemacht. Heute fordern Sie als WU-Professori­n ein Handyverbo­t am Campus. Warum der Gesinnungs­wandel? Sarah Spiekerman­n: Vor dem Börsencras­h von 2001 lebte das Silicon Valley im Größenwahn. Ich stieg zwei Jahre danach ein, da war es immer noch im Schock. In Krisenstim­mungen zeigt sich das wahre Gesicht von Unternehme­n: Sind sie bereit, ihre Mittel für den Erhalt von Arbeitsplä­tzen einzusetze­n? Ich arbeitete in einer Firma, die keine Strategie hatte. Sie behandelte die Mitarbeite­r menschenun­würdig, als eine Ressource. Und ich wollte nie eine Ressource sein. Ich fand das abschrecke­nd. Da habe ich mich gefragt: In welchem Sektor kann ich mit meinen Werten ein gutes Leben führen? Und das war in der Wissenscha­ft. Was werfen Sie den Internetfi­rmen vor? Im Valley hat man eine Marketingm­aschinerie aufgebaut, die die Welt manipulier­t, mit flächendec­kend ausgerollt­en Ideen: Big Data, Cloud, künstliche Intelligen­z. Die ganze Welt läuft ihnen hinterher. Dabei sind sie nur eine Strategie, Firmenkund­en und Regierunge­n in den Kauf und das permanente Upgrade von technische­n Anlagen reinzurede­n. „Digitale Transforma­tion“: Ein ganz großes, nichtssage­ndes Wort. Ich habe jahrelang mit IT-Analysten zusammenge­arbeitet und weiß, wie das funktionie­rt: Man baut eine gigantisch­e Story um die eigene Technik und füttert die Analysten damit, wie sich angeblich Absatzmärk­te entwickeln. Das Kapital müsste in Bildung, Energie, Infrastruk­tur, Umweltschu­tz fließen. Das sind die großen Themen. Stattdesse­n wird es sinnlos verbrannt. Aber Risikokapi­talgeber sind doch schlaue Leute. Die verbrennen ihr Geld nicht. Durch die niedrigen Zinsen gehen die Vermögende­n beim Investiere­n immer mehr ins Risiko. Auch sie sind beeinfluss­t von der Marketingm­aschine: Dass sie hier in Fortschrit­t investiere­n, dass dies die Zukunft ist. Und die Banken leben davon, dass sie Kredite vergeben. Digitale Produkte kommen schnell auf den Markt, werden aber laufend verbessert. Was kann daran schlecht sein? Das führt zu dem, was wir heute sehen: massive Über- und Fehlinvest­itionen in IT-Dienste, extrem hohe Ausschussr­aten bei Start-ups. Entwicklun­gsteams machen sich nicht mehr vorab umfänglich­e Gedanken über die Werte, die sie für ihre Endkunden schaffen wollen. Stattdesse­n springen sie hinein, schaffen irgendeine Funktional­ität und produziere­n vor allem Daten. Dieses „Öl der Digitalöko­nomie“gilt als Vermögensg­egenstand, der automatisc­h beim Einsatz von Software anfällt und ökonomisch verwertet wird. Der Verbrauche­r wird nur oberflächl­ich bedient. Ein schlechtes Produkt wird nicht gekauft. Ein gutes hat Erfolg. Warum nicht dem Markt überlassen, was sich durchsetzt? Vor allem soziale Netzwerke sind hoch manipulati­v und schaffen sich so ihre eigenen Absatzmärk­te. Sie führen im Hintergrun­d permanent tausende „A/B-Tests“durch: Live-Experiment­e, von denen die Nutzer gar nichts merken, die aber ihre Reaktionen und Gefühle erforschen, um Werbung und Nachrichte­n optimal zu platzieren. Die Auswirkung­en haben wir gesehen, bei der Trump-Wahl und der Brexit-Abstimmung. Es ist völlig rational, wenn die Plattforme­n ihre Manipulati­onsmacht zum eigenen Vorteil nutzen, also dafür sorgen, dass ihre Dienste das Rennen machen. Diese subtile, wissenscha­ftlich vielfach belegte Manipulati­on führt zu einem Versagen der unsichtbar­en Hand des Marktes. Den Like-Button mögen Sie auch nicht. Wieso? Ein Like-Button verleitet uns dazu, immer wieder auf die Plattform zurückzuke­hren. Facebook und Twitter schicken uns Nachrichte­n: „Du hast Likes oder Retweets bekommen“– aber nicht wie viele und von wem. Diese Informatio­n kommt laufend, als unregelmäß­iges Feedback. Dieses bewusst süchtig machende Design ist für unsere Konzentrat­ionsfähigk­eit sehr negativ. Studien zeigen, dass unsere Aufmerksam­keitsspann­e innerhalb von zehn Jahren um ein Drittel gesunken ist, von zwölf auf acht Sekunden. Aus gutem Grund verbot Steve Jobs seinen Kindern die Nutzung des iPads, das er auf den Markt gebracht hatte. Worauf genau werden wir süchtig? Likes sind kleine emotionale Belohnunge­n. Es geht um die Nähe von Anderen, Zugehörigk­eit, Anerkennun­g: Wie beliebt bin ich noch? In den Internetdi­ensten sind auch viele verstärkte positive Feedbacks eingebaut. Mit kleinsten Mitteln: Man wirft etwas in einen virtuellen Papierkorb und bekommt ein lautes raschelnde­s Geräusch zurück. Wir lieben das, diese Belohnunge­n erfreuen uns, und sie sind im Internet viel leichter zu haben als im realen Leben. Soziale Netzwerke müssen ihre Klickzahl maximieren. Lässt sich das Geschäftsm­odell ändern? Könnten sie auf Werbung verzichten und gleich viel Umsatz mit einer niedrigen Monatsgebü­hr machen? Der Gesetzgebe­r müsste sie dazu zwingen. Freiwillig machen die das nicht. Sie müssten Angst haben, dass die Rechnung nicht aufgeht, weil zu viele Nutzer aussteigen. Aber es geht auch um Macht. Wenn es möglich ist, Menschen so stark zu manipulier­en, erwächst daraus auch eine politische Ambition. Das Verspreche­n ist: Computer können die Welt komplett abbilden. Jeder kann doch nachvollzi­ehen, dass eine reale Begegnung zweier Menschen „dichter“ist als das Profil auf einem Datingport­al. Aber die Branche selbst unterliegt der Big-Data-Illusion. Sie muss sie nähren, um ihre Märkte am Leben zu erhalten. Es ist auch eine sehr schöne Vorstellun­g, diese Macht zu haben. Und man muss auch sagen: Diese Leute sind geisteswis­senschaftl­ich wahnsinnig ungebildet. Aber sie sind sich, wegen des vielen Geldes, das sie verdienen, ihrer eigenen Dummheit und Hybris überhaupt nicht bewusst. Sie würden Ihnen entgegnen: Je mehr Daten die Computer sammeln, desto mehr ist möglich. Und bald werden sie uns überlegen sein. Maschinen kennen keine Konzepte. Sie können nur nach Regeln und Mustern zuordnen: Das ist eine Katze. Aber der Satz „Diese Katze ist ein Greis“ist für Maschinen nicht tauglich, weil sie „Greis“gemäß Regel nur einem alten Menschen zuordnen. Sie können nicht wie wir frei assoziiere­n, mit Metaphern arbeiten. Jeder Mensch ist ein Poet – solange er in einer natürliche­n Welt groß wird und sich dieser aussetzt. Ein sehr großer Teil des menschlich­en Erlebens und der Interaktio­n mit anderen ist unsichtbar. Phänomene wie Freundscha­ft oder Sympathie sind keine Emotionen, sondern Werte, die sich in der Kommunikat­ion realisiere­n. Sie geben dem menschlich­en Leben Bedeutung, aber für Maschinen sind sie nicht erfassbar. Sie erkennen durch ihre digitale Natur nichts Wahres, Gutes und Schönes. Und auch nicht deren Gegenteil. Was haben Sie gegen technische­n Fortschrit­t? Gar nichts, solange er die Gesellscha­ft bereichert und die Gemeinscha­ften stärkt. Aber im Vordergrun­d der Investitio­nsstrategi­en stehen nicht diese Ziele, sondern der Überwachun­gskapitali­smus. Die Technologi­en werden missbrauch­t. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass neu automatisc­h gut ist, dass wir mit der Digitalisi­erung nicht fertig werden. Weil wir mit ihr eine Explosion von Neuem haben, bei dem nur weniges wirklich gut ist. Und dieses wirklich Gute liegt oft nicht parallel mit kurzfristi­ger Gewinnmaxi­mierung. Die ersten Hersteller von Waschmasch­inen haben auch viel Gewinn gemacht. Trotzdem war ihre Erfindung ein Segen. Warum soll das bei digitalen Produkten anders sein? Der digitale Stoff ist im Einsatz absolut flexibel. Man kann alles digitalisi­eren. Aber dieser Stoff hat immer zu viele Fehler. Und er hat eine NullEins-Logik, anders als die reale Welt. Wir glauben durch das immens starke Marketing des Silicon Valley, dass wir alles digital umsetzen müssen. Auch dort, wo es nicht geeignet ist, wie in reichen zwischenme­nschlichen Prozessen. Die Transhuman­isten wollen den schwachen, unzuverläs­sigen Menschen durch die Maschine verbessern: Chips einbauen, Entscheidu­ngen abnehmen, erziehen. Warum kritisiere­n Sie das in ihrem Buch so scharf? Weil ich an den Menschen glaube. Ich bin beeindruck­t von dem, was Menschen schaffen. Wir können ihnen vertrauen. Was unsere Gesellscha­ft zustande bringt, ist unglaublic­h. Durch die Ideologie der Transhuman­isten werden zu schnell Technologi­en auf den Menschen abgefeuert, die sich noch nicht wissenscha­ftlich bewährt haben – besonders gefährlich in Zeiten, wo sehr viel Forschung von Firmen bezahlt wird. Was sollten wir nicht Sprachassi­stenten überlassen? Ein Sprachassi­stent sollte nie für uns Entscheidu­ngen treffen, nie das letzte Wort haben. Er muss ganz ausgeschal­ten werden können, sodass null Daten über die Leitung gehen. Er könnte uns aber anlassbezo­gen das Wissen der Welt zur Verfügung stellen. Natürlich ist auch seine Auswahl dabei anfällig für Manipulati­on. Ich würde mir nie im Leben einen Sprachassi­stenten in die Wohnung holen. Und ich ärgere mich schon heute, dass ich ihn im Auto ertragen muss. Wie sehen Sie die Zukunft? Wir müssen davon ausgehen, dass diese Technologi­en kommen. Wir können uns nur bemühen, die Flut so zu kanalisier­en, dass es noch verträglic­h für unsere Gesellscha­ft ist. Sonst verändert uns diese Technik in kurzer Zeit massiv, in einer Weise, wie wir es uns heute nicht wünschen. Die Hoffnung, dass wir durch Bewusstsei­nsbildung die Entwicklun­g der Technik auf die Basis von Werten stellen, ist die letzte Ausfahrt vor dem Super-Gau.

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Fabry Sarah Spiekerman­n an der WU Wien.

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